Der amerikanische Autor und Familienbiograf Laurence Leamer über die Ängste der Kennedys, ihre Suchtprobleme und die besondere Rolle der behinderten Rosemary
Was fasziniert die Welt an dieser Familie?
Erstens ist ihre Geschichte das ultimative, mythische amerikanische Einwanderer-drama. Zweitens hat John F. Kennedy mehr als jeder andere Präsident den amerikanischen Optimismus verkörpert, dieses Gefühl, dass wir alles und noch mehr schaffen können. Durch seinen Tod haben wir viel von der Leichtigkeit verloren, die einst typisch war für unsere Nation. Die zahllosen Verschwörungstheorien, die sich um den Mord ranken, sind Beweis dafür, dass viele Amerikaner mit diesen Tod bis heute nicht fertig geworden sind und fest daran glauben wollen, dass dahinter mehr steckt als der sinnlose Akt eines Wahnsinnigen. Und drittens üben die vielen Dramen dieser zugleich beeindruckenden und furchtbaren Familie eine morbide und gelegentlich auch böswillige Faszination aus: Nichts bereitet mehr Vergnügen als das Unglück von Menschen, die jünger, reicher und schöner sind als man selbst.
Sie kennen fast alle Mitglieder der Familie. Wie werden sie mit den Katastrophen fertig, die sie mit beängstigender Regelmäßigkeit heimsuchen?
Sie haben eine erstaunliche Fähigkeit, mit Tragödien umzugehen, vielleicht auch, weil sie daran gewöhnt sind. Alle, die ich kennen gelernt habe, sind nach außen hin extrem positiv. Andererseits haben acht Familienmitglieder zugegeben, dass sie drogensüchtig oder alkoholkrank sind oder waren, und es gibt noch weitere, von denen man weiß, dass sie Suchtprobleme haben. Für die Kennedys der dritten Generation sind die Anonymen Alkoholiker mittlerweile mindestens genauso wichtig wie die katholische Kirche. Wenn sich die Clan-Mitglieder zu Thanksgiving auf Cape Cod treffen, veranstalten sie AA-Familiensitzungen.
Ist die Sucht ausschließlich eine Folge der Familientragödien?
Die Kennedys sind Iren, und Iren haben einen fast schon genetischen Hang zum Alkoholismus. Überdies ist die durchaus berechtigte Angst vorm Tod bei ihnen allgegenwärtig. Roberts Sohn David war davon besessen. Er glaubte fest an den Fluch der Kennedys und ging daran zugrunde. Viele von ihnen bekommen Morddrohungen. Ihre Erfahrung hat sie gelehrt, dass die Welt voller Verrückter ist, die sie als wandelnde Zielscheiben betrachten, und sei es auch nur, um das Gesetz der Serie zu vollstrecken. Edward Kennedy beispielsweise hat in vielen Situationen nackte Angst. Es kam schon vor, dass er sich bei einer Fehlzündung zu Boden warf.
Hat er mit Ihnen darüber gesprochen?
Er spricht über alles, nur nicht über seine Ängste, den Unfall von Chappaquiddick und seine Brüder. Seine Welt ist voller Gespenster. Darum ist er so unglaublich aktiv: Er will keine Sekunde Zeit haben, um zurückzublicken. Ich halte ihn für einen der größten Senatoren, die Amerika je hatte, obwohl er sich gelegentlich hemmungslos betrinkt und unmöglich benimmt. Daran kann man erkennen, welche Dämonen ihn jagen.
Welche Familientragödie hat die Kennedys am meisten geprägt?
Das Schicksal von Rosemary, weil es selbst verschuldet war. Ihr Vater Joseph war kein Mann, der die Dinge einfach so hinnahm, auch nicht die Behinderung seiner Tochter. Er fürchtete sich vor der Schande, die Rosemary zum Beispiel durch eine Schwangerschaft über die Kennedys bringen könnte. Sie war das einzige Familienmitglied, das er überhaupt nicht kontrollieren konnte. Zugleich hat kein Kennedy so viel Gutes bewirkt wie Rosemary, wenngleich der Preis, den sie dafür bis heute zahlt, unerträglich ist. Auf ihre Weise hat sie Amerika mehr verändert als ihre berühmten Brüder. Ohne ihre Schwester hätten Eunice und Jean nie die "Special Olympics" und die Stiftung "Very Special Arts" gegründet, weltweit aktive Organisationen, die Millionen von Behinderten das Leben erleichtern. Und ohne ihre Tante hätten sich nie so viele junge Kennedys für Ausgestoßene engagiert.
Glauben Sie an eine politische Zukunft für die dritte Generation?
Bis vor kurzem hätte ich das verneint. Aber vielleicht hat die Wahl von Arnold Schwarzenegger zumindest die Shrivers elektrisiert.
Interview: Stefanie Rosenkranz
Laurence Leamer lebt in Washington und schreibt an seinem dritten Buch über den Clan
Laurence Leamer, Die Frauen der Kennedys, Bertelsmann, 1994. The Kennedy Men, William Morrow & Co., 2001