Jugendliche haben immer weniger Ahnung von der Natur. Für viele geht die Sonne im Norden auf, Kühe geben H-Milch und brauchen dafür acht Zitzen - solche und andere wirre Ansichten förderte der Jugendreport Natur 2010 zutage, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Die Unkenntnis wuchs in den letzten Jahren. Was die von Lobbyverbänden unterstützte Untersuchung verschweigt: Bei Erwachsenen sieht es offenbar nicht besser aus.
Für den Jugendreport befragte der Natursoziologe Rainer Brämer von der Universität Marburg 3.000 junge Menschen im Alter von 11 bis 15 Jahren in sechs Bundesländern. Pate standen der Deutsche Jagdschutz-Verband und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald.
Die Ergebnisse sind teilweise erschreckend: Elf Prozent der Jugendlichen verordneten den Sonnenaufgang nach Norden, zehn Prozent nach Süden und neun Prozent nach Westen. Aber immerhin: 59 Prozent wussten die richtige Antwort.
Wie viele Wochen zwischen zwei Vollmondnächten liegen, wussten 40 Prozent, ein Viertel der Befragten hatte allerdings keine Ahnung. Dass Hühner am Tag drei und mehr Eier legen, meinten viele der Jugendlichen, nur ein Drittel wusste: Mehr als ein Ei schafft keine Henne.
Selbst auf den Leim gegangen
"Aus welcher Holzart werden Dachstühle gebaut?" - diese Frage würde auch Erwachsene auf eine harte Probe stellen. "Fichte/Tanne" gaben acht Prozent der Jugendlichen die laut Studie richtige Antwort. Allerdings gingen sich die Verfasser da selber auf den Leim. Dachstühle aus Eiche sind zwar teuer, in Deutschland aber keine Seltenheit. 24 Prozent der Jugendlichen votierten für das edle Holz, ihre Antwort wurde aber als falsch eingestuft.
Ein Blick in die sei 1996 aufgelegten Jugendreporte zeigt in der Tat: Die Jugendlichen haben sich in den Jahren tendenziell eher von der Natur entfernt. "Natur ist etwas menschenfremdes", konstatierte Brämer beispielsweise 2002.
Eine in einem Brämer-Kurs erbrachte Arbeit kommt aber auch zu dem Schluss, Naturentfremdung sei "kein jugendspezifisches Problem". Wissensfragen wie die nach der Zitzen-Zahl einer Kuh wurden dabei zwar nicht gestellt. Aber von den befragten Berufstätigen meinten unter anderem knapp 85 Prozent, dass Tiere eine Seele haben - genau so viele wie bei den Kindern und Jugendlichen.
Ohnehin scheint der Vorwurf, Jugendliche seien technikversessen und zu doof für die Natur, ein gern wiederholter zu sein. Die Arbeit verweist auf eine andere Veröffentlichung des Wissenschaftlers Brämer, in der dieser eine Literaturrecherche aus dem Jahr 1992 erwähne, "in welcher Berck und Klee zeigen konnten, dass die Klagen über den Verlust biologischen Grundwissens bei Kindern bereits eine hundertjährige Tradition haben."