Kürzlich habe ich in einer selten genutzten Tasche meine erste Maske wiedergefunden und wurde fast ein bisschen nostalgisch. Dieser rührende kleine Baumwolllappen, blau kariert, handgenäht von einer der Frauen aus dem Nachbardorf und verkauft im örtlichen Blumenladen – ach ja, damals war’s, in jenem fernen Frühjahr 2020, als keiner was wusste und alle sich so durchwurschtelten. Ich erinnere mich noch, dass ich die Maske deutlich seltener gewaschen hatte, als angeraten war (und abgekocht schon gar nicht, Himmel!), weil ich sie so hübsch fand und sie länger halten Inzwischen befinde ich mich in der vierten Maskenphase: Nach diversen Alltagsmasken, OP-Masken im Zehnerpack und FFP2 in Weiß trage ich derzeit bevorzugt FFP2 in Bunt (gegen einen nicht geringen Aufpreis), weil mich dieser Poliklinik-Look auf Dauer einfach ermüdet hat. Wenngleich ich zugebe, dass FFP2 ab 25 Grad Außentemperatur zur Gesichtssauna wird, habe ich mich an die Dinger in einer Weise gewöhnt, die mir gelegentlich etwas unheimlich ist. Im Winter fand ich es super, allzeit eine warme Schnute zu haben. Ebenfalls super fand ich, dass ich aufhören konnte, mich mit Make-up oder getönter Tagescreme fugenlos zu verspachteln, das Zeug färbt sowieso sofort ab und verschmiert aufs Unschönste das Maskeninnere. Lippenstift? Komplett sinnlos, also weg damit. Einzig Wimperntusche schien noch eine Option, aber ab einem gewissen Zeitpunkt war auch die obsolet. Wer sollte mich denn auch mit Maske in der Bahn, in der Fußgängerzone oder im Supermarkt erkennen und sich denken: Gott, diese Winnemuth hat aber echt Kaninchenaugen?sollte. Liebe Güte, was waren wir unschuldig.
ungeschminkt, dank fehlender Schutzmaske
Ergebnis: Die eine Maske wurde Pflicht, die andere jahrzehntelang getragene Maske, die man sich automatisch jeden Morgen nach dem Zähneputzen aufmalte, fiel dafür weg. Da ich in der Regel bestenfalls eine halbe bis eine Stunde pro Tag Maske trage, gucke ich jetzt erstmals seit Jahrzehnten den Rest der Zeit in das Gesicht, das ich tatsächlich habe, Kaninchenaugen, blasse Lippen und alles. Ziemlich okayes Gesicht, kann ich mit leben. Wieso eigentlich vorher nicht? Für den Fall, dass die Maskenpflicht in absehbarer Zeit fällt (bloß nicht! Delta-Variante!), werde ich ganz bestimmt nicht wieder anfangen, mich anzumalen – sorry, liebe Kosmetikindustrie. Nach eineinhalb Jahren Entzug bin ich clean, in jeder Hinsicht.
Meike Winnemuth: Um es kurz zu machen
Meike Winnemuth schreibt Kolumnen, seit sie Buchstaben kennt, seit 2013 auch für den stern. Lange hatte sie einen kolossalen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Autoren, die 900-Seiten-Wälzer hinkriegen. Inzwischen hat sie sich damit abgefunden, dass sie eine Textsprinterin mit Kurzstreckenhirn ist und bekennt sich zum norddeutschen Motto "Nicht lang schnacken". Wenn sie sich dann allerdings doch mal zu einem richtigen Buch quält, wird das verrückterweise gleich ein Bestseller wie ihr Reisebuch "Das große Los. Wie ich bei Günter Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr".
Interessant fand ich, wie leicht es inzwischen ist, anderen Leuten ins Gesicht zu sehen und quasi an der Maske vorbeizugucken. Zuvor hatte ich öfter mal gedacht, dass ich kaum noch das Alter von Leuten halbwegs korrekt schätzen kann, ich habe schon mächtig danebengelegen (was mal mehr, mal weniger schmeichelhaft für die Betroffenen war). Mein Friseur Jörg, Fachmann in Beautyfragen, behauptet, dass sich seit dem flächendeckenden Einsatz von Botox und Aufspritzungen das gefühlte Standardalter auf Mitte, Ende 30 einpendelt, und zwar auch für Mittzwanzigerinnen: Die Regungslosigkeit des Gesichts mache älter, sagt er.
Die Gestik rückt in den Vordergrund
Gesichter täuschen also. Nicht aber das, worauf ich seit der Maskenpflicht umso aufmerksamer achte: Körperhaltung, Gestik, Stimme, Lachfältchen um die Augen. Ich habe jetzt, bilde ich mir ein, ein deutlicheres Bild von jemandem, als wenn ich nur auf die paar Quadratzentimeter Mund-Nasen-Partie achte. Neulich habe ich einer (vermutlich älteren, aber wer weiß das schon?) Dame mit FFP2-Maske im Drogeriemarkt, der die Lebensfreude aus allen Poren spritzte, gesagt: „Sie sehen ja gut aus!“ Sie stutzte, sie lachte, sie nickte und sagte: "Danke schön! Ja, finde ich auch.“