Der Oppelner Abiturient Lukasz Pakulaz ist enttäuscht: "Ehrliche Schüler werden genauso bestraft wie Betrüger", bedauert er. Doch der junge Oberschlesier musste am Mittwoch und Donnerstag wie die rund 14 000 anderen Abiturienten der westpolnischen Region noch einmal die Abiturarbeiten in den Fächern Polnisch und Geschichte schreiben. Bildungsminister Miroslaw Sawicki ordnete eine Wiederholung an, nachdem ein Teil der Prüfungsfragen kurz vor dem Prüfungstermin im Internet veröffentlicht worden war. Damit unterstützte er die Entscheidung von Schulrat Franciszek Minor, der seit Tagen der bei den Schülern wohl meistgehasste Mann ist.
Bekannte Fragen führten zu Gelächter
Auch in Polen treffen die Schulen Vorkehrungen, um Schummeleien bei den Abiturarbeiten möglichst auszuschließen. Handys werden eingesammelt, Tische weit auseinandergerückt, Papier wird nur von der Schule ausgegeben. Doch in diesem Jahr war es bereits vor dem ersten Federstrich zum Betrug gekommen. "Was beim Polnisch-Abitur ablief, war nicht normal", sagte die Abiturientin Jola der Zeitung "Nowa Trybuna Opolska". "Als die Umschläge mit den Prüfungsfragen geöffnet wurden, lachte der ganze Saal. Vielleicht haben zwei bis drei Leute ohne Vorbereitung geschrieben." Jola wählte eine der Prüfungsfragen, die nicht zuvor im Internet veröffentlicht worden war - doch das taten insgesamt nur drei Prozent der Schüler.
Ansturm auf die Internet-Seite
Sawicki traf sich am Montagabend in der Aula des Gymnasiums von Glubczyce mit Schülern, Lehrern und Eltern und verteidigte seine Entscheidung als "richtig und notwendig". Wenn sich Hinweise bestätigten, dass auch in anderen Regionen Prüfungsfragen durchgesickert sind, kämen auch dort Wiederholungen auf die Schüler zu, drohte er und erntete Pfiffe und heftigen Protest. Vergeblich protestierten die Schüler gegen eine Kollektivstrafe. Sie alle würden zur Verantwortung gezogen für einen Fehler, den nicht die Jugendlichen begangen hätten.
Kurz nachdem die Prüfungsfragen im Internet-Portal "sciaga.pl" veröffentlicht waren, stieg die Zahl der Nutzer sprunghaft an. Wie viele Schüler sich in nächtlicher Vorbereitung fit für die Prüfung machten, kann nur vermutet werden.
"Leck" in der Schulbehörde
Schuldgefühle haben die schummelnden Schüler nicht. Zum einen wissen sie nur zu gut, welche Bedeutung eine gute Abiturnote angesichts der massiven Jugendarbeitslosigkeit in Polen hat. Zum anderen sind die jungen Polen aus ihrem Alltag durchaus vertraut mit den zahlreichen Korruptionsskandalen, von den großen Affären in Politik und Wirtschaft bis zur Alltagskorruption mit "gekauften" Führerscheinen und Examensnoten. Das "Leck" wird denn auch in der Schulbehörde selbst vermutet. Ein Kreis von Verdächtigen sei bereits ermittelt, teilte die Oppelner Staatsanwaltschaft mit.
Den Schülern, die sich nun noch einmal dem Abi-Stress aussetzen müssen, hilft das wenig. Nach heftigen Protesten bereiten sie sich nun auf die zweite Prüfung vor. Die Prüfungsfragen wurden diesmal von einer anderen Abteilung der Schulbehörde erarbeitet, und die Abiturienten können sicher sein, dass die Behörden auch das Internet im wachsamen Blick haben. So hilft nur Lernen und der traditionelle Glücksbringer polnischer Schüler: rote Unterwäsche am Tag der Abiprüfung.
Von Eva Krafczyk/DPA