Zoodirektor Petr Fejk überkommen in diesen Tagen Zweifel am Verhalten der Spezies Mensch. Zum Beispiel, wenn sich durch das Fiepen seines Handys wieder eine SMS ankündigt. "Bastard" liest er dann oder: "Warte nur?" oder: "Du Mörder!" Tierfreunde senden ihm diese Hassbotschaften, seit Zeitungen die Nummer seines Mobiltelefons in den Hilfsappellen für den flutgepeinigten Prager Zoo veröffentlichten. Denn Fejk war es, der beim Evakuieren von über 1000 Tieren auch den Tod einiger seiner Schützlinge abnickte. Im Leben der Tiere in freier Wildbahn mag Töten und Sterben ja übliches Phänomen sein, aber bitte nicht im Zoo!
Das Publikum litt mit
Misha, der Bär, sechs Jahre alt, starb an Atemdepression, nachdem ihm Tierarzt Roman Vodicka eine durchaus riskante Dosis des Narkotikums Ketamin gespritzt hatte. Bert, der Löwe, zehn Jahre alt, wurde mit einer Überdosis Immobilon eingeschläfert. Nilpferdstute Lentilka, 14, wurde erschossen, weil sie in Panik Pfleger gefährdete, Elefantenbulle Kadir, 35, um seinen stundenlangen Kampf gegen das Ertrinken zu beenden. Das Publikum litt mit. "Viele suchen jetzt einen Sündenbock", sagt der Zoodirektor. "Der bin ich."
Fejk ist einer der wenigen im Prager Zoo, deren Bürowände nicht nur Tierbilder zieren. 37, sportlich, Schnelldenker, ein hartnäckiger Manager mit Gefühl für Natur. Seit sechs Jahren leitet er die Direktion, hatte "vorher wenig mit Tieren zu tun und viel mit dem Philosophiestudium". Er fragt sich, warum kaum jemand die Namen der 14 in Tschechien ertrunkenen Menschen kennt, aber fast jeder die der neun toten Säuger aus seinem Zoo. Warum ein Zwergseebär die Leute mehr bewegt als das Leid von Menschen, deren Häuser im Arbeiterviertel Karlin zusammenstürzten? Die Robbe machte Schlagzeilen. Gaston schwamm aus dem Becken rund 400 Kilometer elbabwärts und wurde im deutschen Wittenberg eingefangen. Beim Rücktransport verendete er im Auto seiner weinenden Pfleger.
"In der Flut keine Chance"
"Vielleicht ist es das schlechte Gewissen", sagt Fejk. "Anders als wir Menschen hatten die Tiere in der Flut keine Chance, sich selbst zu retten. Ein Zoo ist wie ein Gefängnis für die Tiere, die der Mensch aus der Natur herausgerissen hat. Das wurde uns dramatisch vor Augen geführt."
Prag gilt weltweit als ein moderner Tiergarten im Aufbruch. Der neue Direktor hatte die Philosophie geändert. Weg vom Ideal des Zucht- und Sammelbetriebs für seltene Arten. Statt keimfreier Kachelkäfige setzte Fejk auf Großgehege, Gruppenhaltung, reizreiche Umwelt. Weniger Langeweile für Besucher und Tiere. Der Zoo als klug inszenierte Wildnis mit 400 Arten auf 60 Hektar - eine Werbung für die Natur. 700 000 Besucher im Jahr sollten ein Gefühl fürs Ökosystem des Planeten bekommen.
Zwei Fünftel der Ausstellungsfläche verwüstet
Nach der großen Flut herrscht seltsame Stille auf dem Gelände. Ein Sommertag mit Nieselregen. Noch ist der Tiergarten für Besucher geschlossen, zwei Fünftel der Ausstellungsfläche hat das Hochwasser verwüstet. Wortlos fahren Pfleger der Morgenschicht Schlamm in Schubkarren weg. Das Platschen von Gummistiefeln auf glitschigen Planken ist lauter als das Pfeifen und Kreischen aus den Volieren hinter dem Eingang. 90 Vögel sind tot. Auf dem Fußboden unter den Leguankäfigen bewegen sich drei zugeschnürte Leinensäcke mit fünf Pythonschlangen. Im Brutkasten lagern bei 30,8 Grad die sechs geretteten Leguaneier, ein Jungtier ist gerade geschlüpft.
Niemand kennt die Tiere so gut wie die Pfleger. Sie reden von ihnen wie von lieben Freunden. Petr Kabatek steht neben dem umgestürzten "Imbiss zum Nilpferd". Nebenan im Gehege liegt apathisch ein 18 Jahre altes Flusspferdmännchen von über drei Tonnen. "Mein trauriger Slavek", sagt Kabatek. Das Hochwasser trug das Tier im Elefantenhaus so hoch hinauf, dass es sein Maul aus dem oberen Fenster des Klinkerbaus stecken konnte. "Seine Partnerin wurde erschossen, seine Tochter Barbora ertrank, jetzt ist er einsam", sagt der Pfleger. "Früher verputzte Slavek 15 Kilo Heu, zehn Kilo Gemüse und drei Kilo Brot am Tag - jetzt nicht mal mehr ein Drittel der Ration."
"Es war zu spät"
Jedes Tier hier hat seine Geschichte, und oft ist es der Mensch gewesen, der sie durch Fehler geprägt hat. Zuchterwägungen spielten früher im Zoo eine entscheidende Rolle. Als Bert im November 1992 aus dem Löwenpark Givskud in Dänemark nach Prag kam, "da war er ein toller Kerl und kam seinen männlichen Pflichten stets bravourös nach", wie seine Pflegerin berichtet. In Prag aber brauchte der Zoo keinen Löwennachwuchs, Berts Hypersexualität war lästig, er wurde kastriert. Er verlor seine Mähne. Bot ein trauriges Bild, wenn er völlig apathisch und depressiv im Gehege lag. Der elf Jahre alte Löwe sollte am 13. August als Letzter aus dem Raubtierhaus gerettet werden. Man habe etwas unternehmen müssen, "sonst wäre er ertrunken", sagt Tierarzt Roman Vodicka. Aber die gespritzte Dosis des Betäubungsmittels war zu hoch. "Es war zu spät, wir hatten auch keine Transportkisten mehr."
Wenn man dem Zoo einen Vorwurf machen könnte, dann am ehesten den, dass die ältesten, hinfälligsten, schwierigsten Tiere als letzte in Sicherheit gebracht werden sollten. Erst wurden die Tiere gerettet, bei denen sich das leichter und mit größeren Erfolgsaussichten bewerkstelligen ließ, dann kamen die Problemkandidaten dran. Zum Beispiel der Bär Misha.
Verzogen und viel zu fett
Misha, geboren 1996 in Nordamerika, war kein Ausstellungstier. Polizeibeamte hatten ihn am 8. Juni 1999 bei dem berüchtigten Discothekenbesitzer in Prag beschlagnahmt, der einen Killer auf seine Frau gehetzt hatte. Der Bär war völlig zahm, aber verzogen und viel zu fett, weil ihn der Gangster zur Gaudi seiner Vasallen mit Zucker, Erdbeeren und Schlagsahne voll zu stopfen pflegte.
Nach drei Monaten gab der Zoo ihn zu einem Privatpfleger. Als der starb, kehrte Misha am 11. April dieses Jahres zurück ins Bärengehege. "Ich musste ihn mit einer starken Dosis immobilisieren", sagt der Tierarzt, "er wurde gefährlich. Als er aufhörte zu atmen, habe ich noch intravenös kreislauf- und atemstimulierende Mittel gespritzt." Vergebens, Misha starb.
Das Betäuben der Amurleoparden klappte dagegen vorzüglich. Sie zählen zu den Paradeexemplaren im Zoo. "Weltweit gibt es nur noch gut 50 Tiere dieser Art, 30 sind in Zoos registriert", sagt Direktor Fejk, "wir haben dank guter Kontakte nach Russland sechs davon." Der Zoo hält sich dabei strikt an das Washingtoner Artenschutzabkommen, das die Ein- und Ausfuhr seltener wild lebender Tiere zu kommerziellen Zwecken untersagt.
Sri Lanka offerierte ein Ersatztier
Wie geht es weiter im Prager Zoo? Die Versicherung wird einen Teil der zerstörten Einrichtung erstatten, Tierschäden sind nicht versichert. "Weil Tiere nicht gekauft, sondern mit anderen Zoos getauscht werden." Sri Lanka offerierte ein Ersatztier für den erschossenen Elefanten Kadir. Fejk möchte die Frachtkosten mit Hilfe von Sponsoren und Spenden bezahlen. Der Transport kostete voriges Jahr für zwei australische Gorillaweibchen 26 000, für Gorilla Pong 16 000 Euro. Bescheidene Summen angesichts eines Gesamtschadens von bis zu zehn Millionen Euro.