Vor dem Erbtsreit: Letzte Zusammenkunft beim Begräbnis des Baulöwen "Mörtel" Lugner mit Schwiegersohn und FPÖ-Politiker Leo Lugner, dessen Ehefrau und Mörtel-Tochter Jacqueline, Ex-Frau Christina "Mausi" Lugner, Witwe Simone Lugner (v. l.)
Das groteske Boulevardstück um den Wiener Society-König Richard "Mörtel" Lugner wird auch nach dessen Tod fortgeschrieben. Ihn selbst hätte das womöglich amüsiert.
Wien gilt seit jeher als Metropole des Boulevard-Theaters. Ob Mozarts "Zauberflöte" oder die bis heute beliebten Stücke des Volksdramatikers Johann Nepomuk Nestroy, sie alle wurden zuallererst für den hochverehrten Pöbel aufgeführt. Oder wie man heute im Falle der Lugners sagen müsste: zu Geld gekommener "White Trash".
Komödie, großes Drama und Volksbelustigung fanden damals in unvergleichlicher Weise auf den windschiefen Bühnen der Glasscherbenviertel zueinander. Die mediale Inszenierung des Lebens jenes illustren Baulöwen Richard Lugner darf in dieser Tradition gesehen werden. Selbst sein Spitzname "Mörtel" wirkt so, als hätte man ihn aus dem Alt-Wiener Volksstück "Lumpazivagabundus" entlehnt. "Sie haben Zeitungen jetzt, da das Pfennig-Magazin, da ist um einen Pfennig all's Mögliche drin", heißt es da in den 1830ern als Vorausahnung der heutigen Wiener Klatschpresse.
"Mörtel" Lugner: Erbstreit nach Requiem
Wer fürchtete, mit dem Tod der Hauptfigur sei der letzte Vorhang für dieses Schmierentheater gefallen, darf aufatmen: Lugners Erben bespielen die Bühne ihres verblichenen Clan-Vaters geradezu mit Bravour. Beim bunt inszenierten Begräbnis im Stephansdom hatte der Baulöwe noch selbst Regie geführt. Neben einem Schlagerstar, einer Motorradrocker-Eskorte, dem Opernball-Zylinder auf dem knallroten Sarg sowie den Funkemariechen der Faschingstruppe "Loretto" übten die illustren Hinterbliebenen bereits ihre künftigen Hauptrollen: als Darsteller einer Tragikomödie.
"Nur keinen Streit, meine Damen – da kommt der Herr vom Haus", heißt es bei Nestroy. Am vergangenen Montag geriet die Testamentseröffnung beim Notar zum Akt einer solchen Posse. In den Wochen zuvor hatte eine Art Burgfrieden geherrscht, da Schwiegersohn Leo Lugner, ein geborener Herr Kohlbauer, schließlich Wahlkampf führte und für die FPÖ in den Nationalrat einziehen wollte. Trotz des fulminanten Wahlsieges der Blauen verfehlte er das Ziel nur knapp. Die Verankerung der Lugners in der einwandererfeindlichen Partei wirkt skurril, lockt das familieneigene Einkaufszentrum am Neubaugürtel im Gemeindebezirk Rudolfsheim-Fünfhaus doch vornehmlich osteuropäische und muslimische Kundschaft an.
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Gekündigt und gedemütigt
Nun sollte es zum Showdown kommen: Die 42-jährige Witwe Simone hatte sich als Nachfolgerin an der Spitze des abgeschrabbelten Einkaufsparadieses gesehen, wo ihr dann aber am 1. Oktober, einen Tag nach dem Wahlsonntag, gekündigt worden war. Geschäftsführer Gerald Friede erklärte gegenüber der Austria Presse-Agentur, dass man redlich versucht habe, die letzte in der Parade der zahlreichen Lugner-Frauen in die Leitung zu integrieren. Doch habe sie unschöne Bemerkungen über das Unternehmen in Medien platziert. "Kein Unternehmen dieser Welt lässt es zu, dass ein Mitarbeiter über die Medien Fehlinformationen verbreitet und das Unternehmen schädigt", so Friede. Außerdem habe Lugner-Tochter Jacqueline mit wenig Freude vernommen, dass die 14 Jahre ältere Stiefmutter ihr ausschließlich die Rolle als Geschäftsführerin des defizitären Lugner-Kinos zubilligen wollte.
Obgleich der Termin in der Notariatskanzlei Stunden dauern sollte, kam es zu keiner Einigung. Florian Höllwarth, Anwalt der Witwe, berichtete den Medien, die Anwesenden hätten nur "bedingt akzeptiert", was dort verkündet worden sei. Nun kommt es also erst zu einer "Inventarisierung" der Besitztümer und etwaiger Schulden, was wohl Monate dauern wird.
"Mörtel" Lugner hätte die Aufmerksamkeit wohl amüsiert
Simone Lugner wiegelt inzwischen ab, es gäbe "keinen Erbstreit", was auch daran liegen könnte, dass es für sie nicht allzu viel zu erben gibt. Sie hoffe auf ein "klärendes Friedensgespräch – mit Mediator". Lugners Immobilien hatte der Magnat vorab an seine Kinder aus diversen Ehen verschenkt. Die Lugner City gehört nicht zur Erbmasse, da sie Teil einer Stiftung ist. Bleiben also Schmuck, Kunstwerke und Bargeld, über deren Wert nun erst befunden werden muss. Den toten Baumeister und Opernball-Impresario hätte all dies vermutlich sogar amüsiert, denn er kannte nur eine Währung: die öffentliche Aufmerksamkeit.
Kleine Loge, große Bühne: Richard Lugner begrüßte auf dem Wiener Opernball medienwirksam weltberühmte Diven – und Dieter Bohlen. Vom Ersbtreit ahnte damals noch keiner etwas.
Die Philosophin Isolde Charim hat die vermutlich tiefsinnigste Deutung des Phänomens "Mörtel Lugner" angestellt. Sein Status als öffentliche Figur sei "nur möglich in einem Land, das keine erfolgreiche Revolution erfahren hat". Im Aufstieg der Person Lugners sei deutlich geworden, "was rechte Anti-Eliten-Bestrebungen letztlich sind", schrieb sie in der Wochenzeitung Falter. "Das Antielitäre, das sie meinen, bedeutet nicht: Aufhebung der Privilegien. Es bedeutet nicht: gleiches Recht für alle – sondern Aneignung der Privilegien."
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Ohne diesen Gedanken intellektuell verinnerlicht zu haben, belegen die Erben Lugners diese These. Die sechste Ehefrau der schönsten Leich von Wien fand schnell zu neuer Freude. Bei der Adaption des Münchner Oktoberfestes im Wiener Prater präsentierte sie sich im grell-schwarzen Trauer-Dirndl. Was soll man dazu sagen, außer das, was Nestroy so genial formuliert hat: Der Mensch ist gut, aber die Leute sind schlecht.