Vor dem frisch gestrichenen Gebäude der alten Börse stehen Trauben von Touristen und bestaunen das Panorama der Prachtbauten an der Newa: den Winterpalast, die Admiralität und die glänzenden goldenen Kuppeln der Isaakskathedrale. Nur einige Straßenecken weiter sieht es schon ganz anders aus. In einem heruntergekommenen Hinterhof liegen zerbrochene Flaschen und verrostete Dosen, mitten drin steht ein kaputtes Auto auf platten Reifen. An den Häuserwänden gibt es Parolen gegen Staatschef Wladimir Putin und US-Präsident George W. Bush.
Ein Albtraum aus alten Rohren und abgeblätterter Farbe
Im dritten Stocks eines der Häuser lebt Anatoly Litwinow. Alte Holzbriefkästen säumen den Eingang, alte Leitungsrohre laufen an den Wänden lang, an den Türen blättert die Farbe ab. Litwinow wischt einen Haufen Schmutz und Zigarettenkippen auf ein Kehrblech. "Es ist ein Albtraum", sagt Litwinow und deutet auf die Umgebung. Das Haus, in dem er wohne, sei nach 105 Jahren tatsächlich renoviert worden, berichtet er. Aber das Gebäude, in dem er arbeite, verfalle weiter. Nach einer nicht beendeten Reparaturarbeit klafft in einer Wohnungsdecke ein Loch - und natürlich auch im Boden der darüber liegenden Wohnung.
Das beste Licht scheint nur auf den wichtigen Plätzen
Und dabei wird von offizieller Seite alles getan, um die Stadt Peters des Großen, dessen Schaufenster zum Westen, zu ihrer 300-Jahr-Feier und den dabei anstehenden großen Ereignissen, wie dem Treffen der beiden Präsidenten oder dem russisch-europäischen Gipfel, im besten Licht erscheinen zu lassen. Auf den wichtigsten Plätzen sind Arbeiter mit Hochdruck damit beschäftigt, den Rasen zu mähen, Blumen zu pflanzen oder die Straßen neu zu asphaltieren.
Nun ist diese Augenwischerei, diese Politik des schönen Scheins, nichts spezifisch Russisches. Überall auf der Welt wird bei großen Anlässen ähnlich verfahren. Und in St. Petersburg gab es schon immer den Kontrast zwischen den großartigen Bauten an der Newa, den gepflegten Boulevards und dem engen Durcheinander in weiten Teilen dahinter. Die Vorbereitungen auf die Feiern haben diesen Gegensatz nur deutlicher zu Tage treten lassen.
Frau Petersburg mag Make-up statt Sport
"Die Feiern sind in meiner Straße noch nicht angekommen", sagt eine Frau, die sich nur Marina nennt. Sie nennt auch ihre Adresse und gibt eine kurze Beschreibung: "Völlige Verwüstung." Der etwa 60-jährige Waleri sagt es anders. St. Petersburg sei wie eine Frau, die aufwache und, anstatt etwas Sport zu treiben, nur ihr Make-up auflege. "Sie sieht gut aus, aber innerlich geht's ihr schlecht."