USA Heftiger Streit um Mädchen- und Jungenschulen

Die US-Regierung will öffentlichen Schulen grundsätzlich erlauben, Jungen und Mädchen getrennt zu unterrichten. Das Vorhaben stößt auf großen Widerstand.

"Das ist ein Angriff auf die Rechte der Frauen", schimpft Terry O'Neill von der "Nationalen Organisation für Frauen" in Washington. Sie ist empört, dass die US-Regierung öffentlichen Schulen grundsätzlich erlauben will, Jungen und Mädchen getrennt zu unterrichten. Dazu benötigten Schulen bislang eine Ausnahmegenehmigung. Auch deshalb besuchen derzeit nur in einigen Dutzend der 93.000 öffentlichen Schulen in den USA Jungen und Mädchen jeweils eigene Klassen - das aber, so manche Prognosen, wird sich bald deutlich ändern.

Der Plan der Regierung signalisiert einen bildungspolitischen Richtungswechsel. Jahrzehntelang galt die gemeinsame Erziehung von Mädchen und Jungen in den Schulen als unantastbar. Die so genannte Koedukation sollte traditionell benachteiligten Mädchen bessere Bildungsmöglichkeiten ermöglichen. Inzwischen aber glauben viele Wissenschaftler und Politiker, dass getrennte Klassen sowohl für Jungen als auch Mädchen besser sein könnten. Selbst im Wahljahr findet diese Idee parteiübergreifend Unterstützung von konservativen Republikanern bis hin zu liberalen Demokraten wie der ehemaligen First Lady und jetzigen Senatorin Hillary Clinton.

Mädchen sind in getrennten Klassen häufig selbstbewusster

Doch es gibt auch erbitterten Widerstand von Frauengruppen und Bürgerrechtlern gegen die neue Politik. Das ganze werde damit enden, dass "bald an der Ausbildung der Mädchen gespart wird", befürchtet O'Neill. Zudem werde es für Männer schwerer, Frauen als gleichberechtigte Partner am Arbeitsplatz zu akzeptieren, wenn sie nicht schon in der Schule mit ihnen konkurrieren mussten.

Die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen - darunter auch viel beachteter Studien in England und Australien - legen nahe, dass zumindest manche Jungen und Mädchen besser lernen, wenn sie unter sich sind. "Das Machogehabe von Klassenkameraden verleidet Mädchen häufig den Spaß an Fächern wie Physik und Mathematik", erklärt die Pädagogik-Professorin Carolyn Calahan (Universität Virginia). In getrennten Klassen seien Mädchen oft selbstbewusster. Auch Jungen würden ihre Leistung häufig verbessern, "weil sie sich auf das Lernen konzentrieren, statt darauf, die Mädchen zu beeindrucken".

Mädchen und Jungen gewinnen nicht nur durch getrennte Klassen

Die Nachfrage nach reinen Jungen- und Mädchenschulen in den USA ist jedenfalls groß. In den meist teuren Privatschulen besuchen bereits eine halbe Million Kinder und Jugendliche getrennte Klassen, so der "Bundesverband für gleichgeschlechtliche Erziehung" in Poolesville (Maryland). "Es ist nur fair, dass Eltern und Kinder an öffentlichen Schulen endlich dieselben Wahlmöglichkeiten erhalten", unterstützt die Senatorin Kay Bailey Hutchinson den Regierungsplan.

Der Vorsitzende eines Schul- und Elternvereins in Albany im Bundesstaat New York, Tom Carroll, war bereits vor eineinhalb Jahren vom Konzept getrennter Klassen überzeugt. Deshalb gründete er zwei der wenigen öffentlich finanzierten reinen Mädchen- und Jungenschulen. In den ersten zwölf Monaten hätten sich die Punktzahlen der Kinder im standardisierten Lesetest verdoppelt, in dem für Mathematik sogar verdreifacht. "In Kürze wird es eine Explosion bei der Anzahl von reinen Mädchen- und Jungenschulen geben", meint er.

Die Erziehungswissenschaftlerin Lea Hubbard (Universität Kalifornien) warnt allerdings vor der jüngsten Entwicklung. Mädchen und Jungen würden durch getrennte Klassen nicht nur gewinnen. "Wir müssen auch darüber diskutieren, was sie verlieren können - nämlich den normalen und alltäglichen Umgang miteinander."

Tobias Peter, dpa

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