Chinas rapide Aufrüstung im Bereich der Marine, aber auch in der Raketenproduktion, stellt die Welt vor ungeahnte Herausforderungen. Dabei geht es nach Ansicht von Sicherheitsexperte Christian Mölling für Europa – anders als für die USA – nicht so sehr um den Anspruch, mit Chinas militärischem Aufwuchs mitzuhalten, sondern um Grundsätzlicheres. "Die Instabilität wächst. Noch mehr Dinge werden risikoreich. Politische Entscheidungen werden noch unsicherer", sagt Mölling, Senior Fellow beim Brüsseler Thinktank "European Policy Center" in der neuesten Ausgabe des stern-Podcasts "Die Lage – International". Der Krieg in der Ukraine liefere China als einem Land, das seit Jahrzehnten selbst keinen großen Krieg geführt habe, einen wertvollen Datenschatz, der wichtige Erkenntnisse für die eigene Aufrüstung liefern könne.
China priorisiere das Thema Aufrüstung seit Langem und habe die dafür notwendigen Ressourcen strategisch aufgebaut. Das Ergebnis werde nun sichtbar: "Die Chinesen bauen pro Jahr mehr Marine-Schiffe als die Amerikaner", so Mölling. "Das ist eine Wahnsinns-Maschinerie, die da jetzt gerade läuft." Aktuelles Beispiel: der chinesische Flugzeugträger "Fujian", der vor wenigen Tagen in Dienst gestellt wurde. Kampfjets an Deck des Kriegsschiffs starten mithilfe ultramoderner, elektromagnetischer Katapulte.
Die Debatte um mangelndes Tempo bei der Aufrüstung in Deutschland, die die Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick vom Kiel Institut für Weltwirtschaft und Niall Ferguson von der US-Elite-Universität Stanford kürzlich mit einem Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" angeheizt hatten, sieht Mölling kritisch. "Deutschlands Aufrüstung schreitet bei Weitem nicht schnell genug voran. Sie stottert vielmehr vor sich hin", schreiben die beiden Autoren und fordern unter anderem eine stärkere Auslastung der bestehenden Rüstungsbetriebe, einen deutlich stärkeren Fokus auf unbemannte Systeme und eine weitgehende Entkoppelung von den USA bei der Aufrüstung Deutschlands.
Bedrohung durch Russland oder China: "Wie lassen sich Kriege künftig gewinnen?"
"Es stimmt nicht, dass wir über die Hälfte unserer neuen Waffen in den USA bestellen", stellt Sicherheitsexperte Mölling in diesem Zusammenhang klar. Andererseits seien US-Rüstungsunternehmen der europäischen Konkurrenz, was Digitalisierung und Cyberfähigkeiten betrifft, teils um Jahrzehnte voraus. Angesichts des Technologievorsprungs von Firmen wie Palantir oder Anduril würden deutsche Mitbewerber offen sagen: "Sorry, da kommen wir nicht hinterher", so Mölling. Auch aus dem aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine einen Primat unbemannter Systeme in künftigen Konflikten abzuleiten, führt nach Möllings Überzeugung in die Irre. "Das unterschlägt total, dass die Ukraine den Krieg durch die Drohnen aktuell zwar nicht verliert, aber ihn eben auch nicht gewinnt. Wir müssen doch fragen: Wie lassen sich Kriege militärisch gewinnen?"
Der Wunsch der "FAZ"-Autoren nach einer großen Lösung für die auch nach seiner Ansicht zu langsame deutsche Aufrüstung sei aus ökonomischer Sicht zwar nachvollziehbar, so Mölling. Er lasse aber die Ausgangslage außer Acht. "Meine Sorge ist, dass wir für eine große Lösung gar nicht die Zeit haben. Was wir brauchen, sind viele kleine Lösungen."