Ischingers Welt Was Kohl und Genscher ganz anders machten als Merz und Wadephul

Ischinger Kohl Genscher
Kanzler Helmut Kohl (r.) mit seinem Außenminister Hans-Dietrich Genscher bei einer Kabinettssitzung im Februar 1989. Wolfgang Ischinger arbeitete damals unter Genscher im Auswärtigen Amt
© Sepp Spiegl / Imago Images
Wolfgang Ischinger ist einer der erfahrensten deutschen Diplomaten. Für den stern blickt er hinter die Fassaden: Muss Außenminister Wadephul um seinen Job bangen?

Herr Ischinger, was hat Sie in dieser Woche überrascht?
Überrascht hat mich, und zwar alles andere als positiv, die Ankündigung des US-Präsidenten, wieder Atomtests durchführen zu lassen. Ich finde das problematisch, auch weil für mich bis zur Stunde nicht klar ist, was für eine Art von Test eigentlich gemeint ist.

Was ist denn daran so problematisch?
Ich musste mich in meiner Zeit im Auswärtigen Amt intensiv mit nuklearstrategischen Themen auseinandersetzen, und eins habe ich im Kopf behalten: Der Verzicht auf tatsächliche nukleare Testexplosionen, den die USA schon in den 90er-Jahren ausgesprochen und vollzogen haben, bedeutet nicht, dass das sichere Funktionieren von amerikanischen Nuklearwaffen in Zweifel steht. Das ist mit modernen technologischen Mitteln wie Computersimulationen machbar. Und wenn man tatsächlich wieder Testexplosionen durchführen würde, kann der Gegner bestimmte Schlüsse ziehen. Da gibt es Millionen von Daten, die man eigentlich dem Gegner nicht zur Verfügung stellen möchte.

Wolfgang Ischinger
© Lennart Preiss / DPA

Zur Person

Wolfgang Ischinger war von 2001 bis 2006 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in den USA, von 2006 bis 2008 dann in Großbritannien. Anschließend übernahm er die Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz, die er bis heute führt

Warum machen die Amerikaner das trotzdem?
Ich kann mir vorstellen, dass Donald Trump sich über Putin ärgert, der mit immer neuen Angriffswaffen "säbelrasselt". Man denkt sich wohl: Wir dürfen denen das nicht einfach so durchgehen lassen. Meine große Sorge ist, dass im Frühjahr 2026 der sogenannte New-Start-Vertrag ausläuft – und dann wäre die jetzt seit vier Jahrzehnten bestehende vereinbarte Beschränkung beider Seiten bei interkontinentalen ballistischen Systemen am Ende. Natürlich kann man jetzt sagen, wie Ronald Reagan vor 40 Jahren: Wir rüsten die einfach zu Tode, weil wir stärker sind. Auf die globale Stabilität wird sich das aber eher negativ auswirken. Hoffentlich wird ein Weg gefunden, doch wieder zu Rüstungskontrolle zurückzukehren, künftig möglichst auch unter Einbeziehung Chinas.

Außenminister Johann Wadephul wird, unter anderem weil er das heutige Syrien mit Deutschland 1945 verglich, heftig kritisiert, besonders aus der eigenen Fraktion. Wie viele Tage im Amt geben Sie ihm noch?
Ich sehe das, was passiert ist, als kleine Karambolagen. Ob es um seine Äußerungen zu China oder jetzt Syrien geht – für mich ist der Aufruhr eher ein Beispiel unserer Empörungskultur. Aus einem Missverständnis entsteht eine gewaltige Rauchwolke. Dabei bin ich überzeugt: Wadephuls abgesagter China-Besuch wird sicher in naher Zukunft nachgeholt. Beim Thema Syrien: Ich verstehe, dass in den Fraktionen die Nervosität groß ist. Die Abgeordneten kommen aus ihren Wahlkreisen nach Berlin zurück und sagen: Das einzige Thema, wonach die Wähler mich fragen, ist Migration. Gibt es jetzt Abschiebungen, ja oder nein? Daher die Aufregung, wenn der Außenminister andeutet: Achtung, ihr müsst die Erwartungen etwas herunterschrauben.

Wie wurde das eigentlich früher gehandhabt, vor der Erfindung der Empörungskultur?
Ich war jahrelang persönlicher Referent von Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Und der ärgerte sich immer mal wieder massiv über seinen Bundeskanzler Helmut Kohl, weil der etwas verkündete, was nicht mit ihm, dem Koalitionspartner, abgesprochen war. Genscher wäre aber niemals zur "Bild-Zeitung" gerannt, um denen das zu erzählen. Der sagte dann Folgendes: Ischinger, setz dich mal hin und schreib Folgendes auf: "Sehr geehrter Herr Bundeskanzler … ." Den knallharten Brief musste ich dann persönlich im Büro des Bundeskanzlers abgeben, damit das bloß nicht in dritte Hände geriet. So sind nur ganz selten schwere Meinungsunterschiede ans Licht der Öffentlichkeit gekommen. Bei Schröder und Fischer war es ähnlich.

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Scholz und Baerbock waren viel massiver

Aber liegt der Fehler nicht im System? Zu Anfang sagte man: Ab jetzt gibt es wieder Außenpolitik aus einem Guss. Merz macht die Außenpolitik zur Chefsache, Wadephul agiert nur als sein verlängerter Arm. In der Praxis funktioniert das aber nicht …
Die fachlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Kanzler Scholz und seiner Außenministerin Baerbock waren viel massiver. Was wir jetzt sehen, ist eigentlich leicht zu überbrücken. In den großen strategischen Fragen gibt es zwischen Auswärtigem Amt und Kanzleramt keine Widersprüche. Im Übrigen will ich daran erinnern: Im Grundgesetz steht ganz explizit, dass jeder Minister dem Parlament gegenüber für sein Ressort verantwortlich ist. Wir sind hier eben nicht in Amerika, wo der Außenminister nichts anderes als eine Art persönlicher Referent des US-Präsidenten ist. 

Fänden Sie persönlich denn, dass wir Syrer jetzt in großem Stil abschieben sollten?
Es gibt rechtliche Vorgaben. Der Bundeskanzler hat dazu doch das Richtige gesagt: Der Bürgerkrieg in Syrien ist beendet. Deshalb entfallen jedenfalls für viele Menschen die Gründe für Asyl in Deutschland. Ich bin überzeugt, dass man auch viele freiwillige Rückkehrer finden wird. Das muss man fördern. Ich denke, man muss kein Hardliner beim Thema Migration sein, um zu sagen: Wenn das Thema nicht entschieden angepackt wird, könnte das zu einem weiteren Anwachsen der AfD führen. 

"Erinnert an Deutschland von 1945": Wadephul besucht zerbombte Vororte in Syrien
"Erinnert an Deutschland von 1945": Wadephul besucht zerbombte Vororte in Syrien
© Foto: Dominik Butzmann
"Erinnert an Deutschland von 1945": Wadephul besucht zerbombte Vororte in Syrien
© n-tv.de

Auch aus der Ukraine kamen über die letzten Monate wieder Flüchtlinge, und zwar über 100.000 junge Männer zwischen 18 und 22 Jahren, seit Selenskyj ein Gesetz erlassen hat, das ihnen die Ausreise ermöglicht. Was will der ukrainische Präsident damit bezwecken?
Ich nehme an, dass er damit in seinem Land ein wenig Druck aus dem Kessel nehmen wollte. Und wenn ein junger Ukrainer das Gefühl hat: Ich muss jetzt hier nach über drei Jahren mal raus, und er kommt für eine sehr kurze Zeit nach Deutschland – kein Problem. Aber: Es ist unser strategisches Ziel, mit sehr viel Geld und Waffenlieferungen den Ukrainern bei der Verteidigung ihres Landes zu helfen. Deshalb können wir es für die jungen Männer natürlich nicht zusätzlich attraktiv machen, hier länger zu bleiben.

Und zuletzt, Herr Ischinger: Wo bleibt das Positive in dieser Woche?
Die Diplomatie lebt! In letzter Zeit klagten viele darüber, dass Diplomatie nicht funktioniert, dass alle nur noch an militärische Mittel denken. Wir haben in dieser Woche beim chinesisch-amerikanischen Gipfel in Südkorea aber den Gegenbeweis bekommen. Ich habe immer vermutet, dass auch ein Donald Trump keinen Dauerzwist mit Xi Jinping haben will, sondern am Ende auch mit China einen Deal machen will. Genau das ist jetzt passiert, das ist gut so, und darauf kann man aufbauen. Die beiden haben nicht alle Themen gelöst, aber es ist zumindest ein Schritt in Richtung Koexistenz.

Das ist auch für uns Europäer ein Zeichen, nicht alles zu verteufeln, was mit China zu tun hat. Das amerikanische Beispiel zeigt: Wenn man Realpolitik betreibt, kann man mit China nach einem vernünftigen Deal suchen. Allerdings sollten wir als EU dafür nicht als 27 separate Zwerge auftreten, sondern mit einem klaren und gemeinsamen europäischen strategischen Ansatz mit einer Stimme sprechen.

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