Ihr Bedauern richtete die Krankenschwester der Berliner Charité am Mittwoch an die Hinterbliebenen der Opfer und an ihren Klinikchef. Zum Tod der schwer kranken Menschen, die die heute 54-jährige Angeklagte mit einer Medikamenten-Überdosis umgebracht haben soll, sagte die hagere Frau mit dem strengen Blick im Berliner Landgericht: "Ich weiß im Nachhinein, dass das nicht richtig war." Sie habe jedoch im Sinne der sterbenskranken Patienten und letztlich zu deren Wohl gehandelt, betonte die frühere Angestellte der Charité in einer Erklärung zum Prozessauftakt. Vier Tötungen auf der Intensivstation der Kardiologie gab sie in einem verlesenen Teilgeständnis zu. Für zwei weitere Todesfälle und zwei versuchte Morde, die ihr ebenfalls zur Last gelegt werden, sei sie aber nicht verantwortlich.
Angeklagte räumt nur vier Tötungen ein
Die Staatsanwaltschaft legt der langjährigen Fachkraft sechs Morde sowie zwei Mordversuche an Europas größtem Universitätsklinikum zur Last: Ein Patient ist nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht an der Überdosis, sondern an Magenbluten gestorben. Ein weiterer Mordversuch sei gescheitert, weil Kollegen der Krankenschwester sofort Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet hätten. "Die Angeklagte hat sich aus Machtwillen als Herrscherin über Leben und Tod aufgespielt", sagte Staatsanwalt Thorsten Neudeck. Auch aus Wut über einen unruhigen Patienten solle sie eigenmächtig zur tödlichen Spritze gegriffen und aus Heimtücke und niederen Beweggründen gehandelt haben. Die Opfer waren zwischen 48 und 77 Jahren alt.
Hinter Panzerglas verfolgte die Angeklagte im grauen Blazer mit orange-gemustertem Schal im Saal 500 den Prozessauftakt. Nachdem ihr Teilgeständnis von ihrem Anwalt verlesen war, erhob sie sich und fügte stockend hinzu: "Ich bedauere, dass ich mit meiner Hand in das Schicksal eingegriffen habe." Dafür werde sie büßen müssen. Bei einer Verurteilung wegen Mordes droht ihr eine lebenslange Freiheitsstrafe. Es sei nicht einfach in dieser Welt, in der die Menschen älter und noch älter werden könnten, sagte die gläubige Frau. Ob sie damit Regelungen zur aktiven Sterbehilfe fordern wollte, blieb offen.
Glaube an Gott hilft ihr
Immer wieder sorgen Fälle bundesweit für Aufsehen, in denen schwer kranke oder alte Menschen in Kliniken oder Heimen getötet werden, teilweise auch aus Mitleid. Das Wort Mitleid gebrauchte die Angeklagte am Mittwoch nicht. Sie ließ mitteilen, dass der Glaube an Gott ihr die Haft erleichtere.
Anfang Oktober des Vorjahres war die Frau verhaftet worden. Mehr als zehn Jahre galt sie bei ihren Charité-Kollegen als kompetent und zuverlässig. Ein Pfleger hatte die Schwester im August des Vorjahres beobachtet, wie sie einen Patienten etwas in den Arm spritze, obwohl die Ärzte die Therapie des Schwerstkranken bereits abgebrochen hatten. Der Anwalt der Nebenklage, Klaus-Dieter Bendig, kritisierte, dass der Pfleger erst nach sieben Wochen seinen Verdacht mitgeteilt habe. Das zeige das Versagen von Kontrollstrukturen in der Klinik.
Todesspritze im Beisein des Ehemannes
Die Anklage listet auch den Tod einer 48-Jährigen vom September des Vorjahres auf. Die geistig verwirrte Frau lag demnach mit schwerer Herzmuskelschwäche auf der Station, als die Schwester ihr eine Überdosis des blutdrucksenkenden Mittels NPN gespritzt haben soll, während der arglose Ehemann am Bettrand saß. Wenig später starb das Opfer.
Von Arbeitskollegen, die als Zeugen aussagten, wurde sie als respektierte und kompetente Kollegin beschrieben. "Sie hat sich besonders gut um die Angehörigen gekümmert", lobte ein 42-jähriger Krankenpfleger. Zuletzt habe sie jedoch verändert. "Menschlich kaputt und ausgebrannt", habe seine Kollegin in den letzten Jahren gewirkt, sagte ein 35-jähriger Kollege als Zeuge. Zusätzliche freie Tage habe die geschiedene Frau aber nicht haben wollen. Einmal habe sie über den Tod eines Patienten schallend gelacht, sagte der 35-Jährige. "Das war so unangemessen, so merkwürdig." Sie habe sich dann entschuldigt. "Die Charité ist doch kein Ort, wo jemand umgebracht wird, da tut man sich schwer, zur Polizei zu gehen", sagte der Mann zu der Frage, warum der Stein nicht eher ins Rollen kam.
Wiederbelebung "mache keinen Sinn"
Einen Hinweis auf die Absichten der Schwester machte ein Arzt schon Ende 2001 aus. Als er mit ihr einen Patienten wieder beleben wollte und dies lange dauerte, habe sie das Beatmungsgerät abstellen wollen, weil das doch alles keinen Sinn mehr mache. Er sei perplex über die "maßlose Kompetenzüberschreitung" gewesen, sagte er vor Gericht. Er habe ihr gesagt, solche Entscheidungen lägen allein beim Arzt. Danach habe er den Eindruck gehabt, dass die Schwester das akzeptiert habe. Es habe auf der Station auch Gerüchte gegeben, dass sie manchmal unsanft mit Patienten umgegangen sei. Zum Thema Sterbehilfe habe sie jedoch keine radikale, sondern eine sehr vernünftige Ansicht gehabt.
"Ich habe das nicht für möglich gehalten", sagte der 42-jährige Pfleger, der zehn Jahre mit der Angeklagten zusammenarbeitete. "Wir konnten uns zu keiner Zeit vorstellen, dass sie etwas mit der Tat zu tun haben könnte", bestätigte der Stationsarzt. Nach einer Anzeige seitens der Klinik war die Schwester im vergangenen Oktober verhaftet worden. Der Prozess wird am kommenden Mittwoch mit der Befragung weiterer Zeugen fortgesetzt. Bei einer Verurteilung wegen Mordes droht der Angeklagten eine lebenslange Freiheitsstrafe.