Die Nachbarn zucken mit den Schultern. Keiner will den Geiselnehmer und seine Freundin gekannt haben, der am Mittwoch bei einer Wohnungsräumung vier Menschen und dann sich selbst erschossen hat. "Sie waren nie dabei, wenn wir gegrillt haben oder vor dem Haus zusammensaßen", erzählt ein älterer Mann, der im mittleren Stock des Hauses wohnt. "Ich lebe seit zwölf Jahren hier und habe sie nie gesehen."
Thema sei das Paar aber fast von Beginn an immer wieder bei den Eigentümerversammlungen gewesen. "Sie haben ihre Nebenkosten nicht gezahlt und auch auf Mahnungen nicht reagiert." Die Drohung der Zwangsräumung stand immer im Raum. Dass sie so ein blutiges Ende nimmt - mit fünf Toten - kann im Haus niemand fassen.
Am Mittwochabend steht die Tür zum Block 115 mit seinen zehn Eigentumsparteien weit offen. Im Flur hängt beißender Brandgeruch. Auf den Stufen zum fünften Stock liegen Aschereste verstreut. Niemand hatte Zeit, die Spuren der Polizeistürmung aufzuräumen. Die Tür zur Wohnung ist versiegelt, aber durch das Aufbrechen lässt sie sich nicht mehr vollständig schließen. Ein schmaler Spalt gibt einen kleinen Ausschnitt des Flurs frei - ein roter Fleck auf dem Boden erinnert an das Grauen des Vormittags.
Zwangsräumung im Frühjahr angekündigt
Vor dem Haus wirkt in den Abendstunden alles friedlich. Die Rabatten sind gepflegt. An den Tischen und Bänken aus Beton unter großen Buchen sitzen Teenager und schwatzen. Immer wieder kommen Menschen vorbei, um einen Blick auf den Tatort zu werfen. "Wo war es denn?", fragt ein Mann mit seiner Frau an der Seite.
Er hat den ganzen Tag während der Arbeit die Tragödie mitverfolgt und will sich nun ein Bild machen, was in seiner Nachbarschaft passiert ist. "Da oben", zeigt ein Passant auf den fünften Stock. Das Paar blickt betrübt hinauf. Sie könne es nicht verstehen. Die Stimmung in der Siedlung sei gut, erzählt der Mann. "Viele treffen sich regelmäßig zum Grillen oder organisieren Straßenfeste. Aber es gibt natürlich immer Leute, die sich raushalten."
Die Siedlung, Ende der 90er Jahre aus ehemaligen US-Kasernen und Wohnungen entstanden, hat vielen Familien die Möglichkeit geboten, günstig Wohnraum zu kaufen. Die Partnerin des Geiselnehmers hat sich damit offensichtlich übernommen, zumal weder sie noch ihr Partner eine Arbeitsstelle hatten. "Im Frühjahr kam dann der Brief mit der Zwangsräumung", sagt der Nachbar. "Sie hätten das verhindern können, wenn sie die Schulden sofort gezahlt hätten." Warum sie das nicht getan haben? Der Mann schüttelt unwirsch den Kopf.
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Intakte Gemeinschaft - mit einer Ausnahme
Eine ältere Frau geht zur Tür. "Meine Tochter wohnt hier. Ich hole jetzt meine Enkel ab, ich will nicht, dass sie über Nacht in diesem Haus bleiben." Während der Tat war ihre Familie in Sicherheit gebracht worden, aber noch immer seien alle aufgewühlt, sagt sie und verschwindet im Hausflur.
Ob er sich nicht unwohl fühlt, nach den grausamen Vorfällen im Haus? Der Nachbar schüttelt den Kopf. "Wieso? Es ist doch alles vorbei." Die anderen Hausbewohner seien sehr nett - die Gemeinschaft sei intakt - eben bis auf die eine Ausnahme. "Aber Verrückte gibt es überall."
Zwei Männer und Frauen mit Rädern nähern sich zögernd dem Eingang. In den Händen je eine große Sonnenblume. Ohne sich umzusehen, legen sie die Blumen am Eingang nieder, halten kurz inne. Dann verlassen sie den Ort. "Wir kennen eines der Opfer", sagt eine der Frauen unter Tränen und wendet sich ab.
Am Donnerstagmorgen sind die Sonnenblumen bereits angetrocknet. Zwei kleine Blumensträuße sind noch dazugekommen. Daneben brennen zwei Kerzen. Nur die Fernsehteams erinnern an das blutige Geschehen am Mittwoch. Ansonsten ist auf den Wegen kaum ein Mensch zu sehen.