Anderen Menschen beim Sex zusehen zu wollen, finden wohl ziemlich viele Menschen grundsätzlich spannend. Sonst würde die Porno-Branche wohl kaum Milliarden-Umsätze machen. Bei einigen geht die Lust am Spannen allerdings deutlich weiter. Einer hat sie aber wohl auf die Spitze getrieben: 29 Jahre lang schaute Gerald F. in seinem Spanner-Motel in Colorado seinen Gästen beim Sex zu. Bis der Rücken irgendwann nicht mehr mitmachte. Er sah alles, was Menschen so im Bett anstellen. Und wurde nie erwischt.
Schon als Kind war Gerald F. ein Spanner, das erzählt er in einem ausführlichen Artikel im Magazin "The New Yorker". Seine Eltern sprachen nicht über Sex, dafür schaute er heimlich seiner Tante zu, die in einem eigenen Haus auf der Farm der Eltern wohnte – und gerne nackt darin herumlief. Später ging er auf Tour durch die Stadt und suchte nach unzureichend geschlossenen Fenstern. In den Sechziger Jahren kaufte er schließlich das Motel in Colorado. Ausschließlich, um seine Gäste begaffen zu können.
Spannerschlitz in der Decke
Das einstöckige Gebäude hatte einen Dachstuhl, in dem er bequem herumlaufen konnte. In mehr als einem Dutzend der 21 Räume schnitt er dann 15 mal 35 Zentimeter große Löcher in die Zimmerdecke und bedeckte sie mit Aluminium-Lamellen. So sahen sie aus wie Belüftungsschächte. Und er konnte auf Knien seine Gäste sehen. Die übrigen Räume gab er an Familien und ältere Gäste. Nur die sexuell interessanten Gäste wollte er auch bespitzeln könne.
Die trieben in seinen Räumen beinahe alles, was man sich so ausdenken kann. Von verheirateten Paaren, Prostituierten, den heimlichen Treffen Homosexueller bis zum Gruppensex. F. machte fleißig Notizen, Fotos schoss er keine. Und auch, wenn ihn manche Paare richtig heiß machten: Andere brachten ihn wortwörtlich zum Einschlafen. Nur um den Sex ging es ihm aber nicht. Auch der heimliche Blick in das Leben anderer Menschen hatte eine geradezu magische Wirkung auf ihn, er fühlte sich mächtig und allwissend.
Kein schlechtes Gewissen
Seine Frau wusste die ganze Zeit Bescheid. Und unterstütze ihn sogar. Sie fand die Beobachtungen so spannend, dass sie ihn erst dazu anregte, Notizen anzulegen, was genau er gesehen hatte. Manchmal brachte sie ihm sogar Snacks auf seinen Beobachtungsposten. So richtig teilte sie seine Leidenschaft aber nicht. Nur, wenn es mal besonders heiß zur Sache ging, legte sie sich zu ihm und spannte mit. Und legte dann selbst mit ihm los.
Nach mehr als 29 Jahren bemerkte der Spanner aber sein Alter: Das Rumgekraxel auf dem Dachboden wurde immer anstrengender, der Rücken machte nicht mehr mit. 1995 verkaufte F. das Motel. Schuldig fühlte er sich nie. „Es ist kein Eingriff in die Privatsphäre, wenn sich keiner beschwert“, rechtfertigt er seine Spannerei mit beeindruckender Gedankenakrobatik. Bei Leuten, die heimlich gemachte Nacktbilder ins Internet stellten, sei das etwas ganz anderes. Er würde solche Leute gnadenlos verurteilen, gab F. gegenüber dem "New Yorker" an.
Zeuge wieder willen
Nur eine Sache würde er heute wohl ganz anders machen: 1977 beobachtete er durch seinen Spanner-Schlitz, wie ein Drogendealer seine Freundin umbrachte. Das junge Paar hatte mehrere Wochen in dem Raum gewohnt, F. hatte mehrfach ihren wilden Sex verfolgt – und detailliert aufgeschrieben. Dass der Mann Drogen verkaufte, störte ihn zwar. An die Polizei gab er es aber nicht weiter. Der hatte bereits mehrfach Dealer gemeldet, passiert war nichts.
Dann sah er, wie der Dealer Drogen an Teenies verkaufte – und entschied sich zu handeln. Als beide nicht im Raum waren, spülte er die Drogen im Klo hinunter. Als der Mann merkte, dass sie verschwunden waren, gab er seiner Freundin die Schuld. Der Streit eskalierte immer weiter. Und F. musste mitansehen, wie die junge Frau am Ende gewürgt wurde. Als der Mann von ihr abließ, lebte das Opfer noch, F. entschied, genug gesehen zu haben, unternahm aber nichts. Am nächsten Morgen fand eine Angestellte die Tote. F. gab die Daten des Täters der Polizei. Doch die stellten sich als gefälscht heraus, der Täter wurde nie gefunden.
Beinahe 40 Jahre später belastet die Geschichte F. immer noch so sehr, dass er endlich mit ihr herausrücken möchte. Seit 1980 steht er im Kontakt mit dem Journalisten Gay Talese, der seine Geschichte nun veröffentlicht hat. Erst jetzt war er bereit, endlich der Öffentlichkeit seine Spanner-Geschichte erzählen. Selbst, wenn ihm deswegen eine Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung und Mitwisserschaft an einem Mord drohen könnte.
