Schon die Notärztin hatte Gasgeruch in dem Haus festgestellt. Sie hatte am Dienstagnachmittag als erste alarmierte Helferin das hinter einer mörtelgrauen Mauer verborgene zweistöckige Gebäude im Westerhausener Mühlenweg betreten. Das Gas war bislang allerdings eher als Begleitumstand eines Familiendramas wahrgenommen worden. Der Vater der 32-jährigen Kati G. hatte im zum Schlafraum umfunktionierten Wohnzimmer des Hauses die Leichen seiner Tochter und ihres Mannes Heiko, 33, gefunden. Seine elfjährige Enkelin Franziska, die ihm mit letzter Kraft die Tür geöffnet hatte, litt ebenso unter Vergiftungserscheinungen wie ihre jüngere Schwester Jennifer und die Söhne Christopher, 8, und Steven, 13. Die Symptome der Jungs waren so schwer, dass sie mit Hubschraubern in eine Spezialklinik in Halle geflogen wurden.
Bislang waren die Ermittler davon ausgegangen, dass sich die Eltern mit einer unbekannten giftigen Substanz das Leben nehmen wollten, ihre Kinder aber unversehrt bleiben sollten. In der Nähe der Leichen wurde eine angebrochene Flasche Apfelsaft gefunden, in der das Gift vermutet wurde. Für diese Selbstmordthese sprachen die auf dem Küchentisch bereitgelegten Krankenkassen-Karten der Kinder, eine Visitenkarte des Hausarztes und vor allem die Bank-Karten der Eltern.
Diese Sichtweise muss nun aber möglicherweise korrigiert werden, sagt Peter Pogunke, Sprecher der zuständigen Polizeidirektion Harz zu stern.de. Erste Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung der Eltern, die am Mittwoch in der Magdeburger Gerichtsmedizin obduziert worden waren, deuten darauf hin, dass das Gas nicht Begleiterscheinung, sondern Ursache der Tragödie war.
Nach Pogunkes Angaben habe sowohl bei der 32-jährigen Kati G. als auch bei ihrem 33-jährigen Mann Heiko eine "an sich tödliche" Kohlenmonoxid-Konzentration im Blut festgestellt werden können. "Das spricht für eine Gasvergiftung", sagt Pogunke. Zudem habe eine erste Begutachtung der Heizungsanlage im Haus des Ehepaares ergeben, dass es sich bei dieser um eine "Eigenkonstruktion" des als handwerklich geschickt bekannten Familienvaters handele. Er hatte offenbar eine Ölheizung unfachgemäß auf Gasbetrieb umgerüstet. Sie komme als mögliche Quelle der erhöhten Kohlenmonoxid-Konzentration in Frage, so Pogunke. "Damit können wir auch einen Unfall nicht mehr ausschließen." Genauere Details wollen die Ermittler am Montag auf einer Pressekonferenz in Halberstadt bekannt geben.
Die Familienträgödie hatte seit ihrem Bekanntwerden am Dienstag nicht nur in der 2300-Seelen-Gemeinde Westerhausen am Rande des Harzes, sondern bundesweit Bestürzung und Spekulationen ausgelöst. Denn weder die Ermittler noch die schnell ins Brodeln gekommene Gerüchteküche hatten eine Erklärung, ein Motiv für einen Doppelselbstmord zu Tage fördern können. Ein Abschiedsbrief, der Aufschluss hätte geben können, ist bislang auch nicht aufgetaucht.
Die Familie lebte nach Erkenntnissen der Ermittler seit acht Jahren in dem Ort, hatte offenbar eher weniger Kontakt zu den Nachbarn. Die wussten dafür aber Gerüchte zu verbreiten: Dass sich Kati G. nicht besonders gut mit ihrer Schwiegermutter verstanden habe, ist noch das harmloseste. Von Eheproblemen und schweren finanziellen Sorgen wurde zudem getratscht. Das weisen Freunde und Angehörige, die am Hauseingang Kerzen angezündet und einen Zettel mit der Aufschrift "Wir werden Euch nie vergessen" befestigt haben, indes entschieden zurück.
Der grüne Familien-Bus, der noch immer vor der mörtelgrauen Grundstücksmauer steht, sei seit kurzem abbezahlt, das Haus wäre es in zwei Jahren gewesen, sagte Heiko G´s Cousine Stefanie Behrens der "Mitteldeutschen Zeitung". Sichtbare Hinweise auf Geldprobleme hatten auch die Ermittler zunächst nicht gefunden: Die Familie habe zwar "nicht üppig", aber "ordentlich" gelebt, hatte die Polizei bereits am Mittwoch erklärt. Selbst die Leukämie-Erkrankung des jüngsten Sohnes habe die Familie nur noch wenig belastet, sagen Angehörige. "Er war über den Berg", so Behrens. Mit drei Jahren sei die Krankheit diagnostiziert worden, mittlerweile habe der Junge nur noch halbjährlich zur Kontrolle nach Magdeburg gemusst.
Die Zukunft der Kinder, die alle außer Lebensgefahr sind und zurzeit von der Öffentlichkeit abgeschottet psychologisch betreut werden, ist bislang noch ungeklärt. Bisher sei im Jugendamt keine Entscheidung getroffen worden, erklärte eine Sprecherin des Landkreises. Man suche aber gemeinsam mit der Familie eine Lösung. "Wir werden alles dafür tun, dass die Kinder nicht auseinander gerissen werden", hatte Stefanie Behrens der Mitteldeutschen Zeitung bereits gestern gesagt. Die Ermittler werden trotz der überraschenden Wende die Untersuchung der Eltern fortsetzen und auch weiter Freunde, Angehörige und Bekannte befragen, sagt Peter Pogunke. "Es liegt im Interesse aller, Klarheit zu bekommen."