Icke muss vor Jericht Der Frust des Staatsdieners

Er sah in seiner Arbeit keinen Sinn mehr, deshalb wurde aus einem Polizisten ein Krimineller. Einer, der gemeinsam mit einem Kollegen vietnamesische Asylbewerber ausraubt und demütigt. Nach der Haft will der depressive Ex-Polizist Altenpfleger werden.

Er habe sich "ohnmächtig gegenüber Straftätern" gefühlt, erklärt Udo Riesbeck* dem Richter. Darum fasste der Polizist den Entschluss, den kleinen vietnamesischen Zigarettenhändlern endlich mal zu zeigen, wer hier das Sagen hat. Er schüchterte sie ein, demütigte und beraubte sie - gemeinsam mit einem jüngeren Kollegen. Die Beute teilten sich die Beamten. Das waren für jeden nur läppische 291 Euro und eine halbe Monatsmarke der Berliner Verkehrsbetriebe.

"Ich dachte, ich lese nicht richtig, was in der Anklage steht", sagt der Richter. "Sie hatten doch eine schöne, sichere Stellung. Wie kann man da drei oder fünf Euro abgreifen?" Geld sei nicht der Grund gewesen, antwortet der ehemalige Polizeihauptmeister, der damals 2400 Euro netto verdiente. Zerknirscht und weinerlich müht sich der 42-Jährige um eine Begründung: "Es war Dummheit und Arroganz."

"Ich war frustriert, ich wollte ja was Gutes tun"

Das Berufsleben des untersetzen Blonden begann mit einer Lehre zum Baufacharbeiter. Ab 1986 diente er bei den Grenztruppen der DDR, dann wurde er vom Bundesgrenzschutz übernommen. Vor 15 Jahren kam er zur Bundespolizei, zuletzt war er stellvertretender Zugführer bei der Mobilen Kontroll- und Überwachungseinheit der Bahnpolizei. Die sichert Großveranstaltungen ab, fährt Streife und kontrolliert Verdächtige auf den Bahnhöfen. "Selten hatten wir gute, sinnvolle Einsätze. Oft standen wir stundenlang auf Bahnübergängen herum oder am Alexanderplatz und erteilten Reisenden Auskünfte", sagt der Angeklagte.

Ein anderes Aufgabengebiet war die Bekämpfung des illegalen Zigarettenhandels. "Aber das hat nicht viel gebracht: Wir schrieben eine Anzeige, eine Stunde später waren sie wieder da", sagt Riesbeck. Demotivierend sei das gewesen, eine stumpfsinnige Sisyphosarbeit. "Man konnte keine Ergebnisse seiner Arbeit sehen. Ich war frustriert, ich wollte ja was Gutes tun." Sechs Mal habe er Versetzungsanträge zur Landespolizei gestellt, erfolglos. Auch sein Privatleben war desolat: Der zweifache Vater lebte allein, mied soziale Kontakte und litt unter Depressionen.

72 Euro und eine Simkarte

Aus all dem Frust entstand dann die Idee, Vietnamesen zu terrorisieren. Sein 15 Jahre jüngerer Kollege Michael Andresen*, dem Vorgesetzte immer wieder mangelnde Selbstständigkeit bescheinigt hatten, machte mit. Der 27-Jährige mit dem weichen Lockenhaar und den braunen Kulleraugen sagt, er verstehe sein damaliges Verhalten nicht: "Ich schäme mich dafür. Ich hatte keine Schulden, ich habe mich wohl hinreißen lassen." Er hatte nicht den Mut, seinen Vorgesetzten zu stoppen.

Am Abend des 2. Dezember 2009 griffen sich die Uniformierten ihr erstes Opfer: einen 21-jährigen Vietnamesen. Als Rache für die vielen vietnamesischen Zigarettenschmuggler, gegen die sie machtlos gewesen waren. Der kam von einer Geburtstagsfeier und wollte zurück ins Ausländerwohnheim. Trotz Kälte verlangten die Beamten, er solle Jacke und Hose ausziehen. Nur mit der Unterhose bekleidet musste er sich durchsuchen lassen. Die Polizisten raubten ihm eine Monatskarte der Berliner Verkehrsbetriebe im Wert von 72 Euro und zerbrachen die Simkarte seines Handys. Danach durfte er sich wieder anziehen. Dann nahmen die Beamten eine Zigarettenstange aus dem Auto, stopften diese unter die Jacke des Vietnamesen und lachten. Ihr Opfer verstand nicht, was sie sagten. Es hatte Angst und verschwand, als Andresen ihn dazu aufforderte.

Am Stadtrand ausgesetzt

Noch übler erging es einem Landsmann etwa eine halbe Stunde später: In dünner Jacke und Flip-Flops war der Vietnamese vom gleichen Wohnheim zu einer nahe gelegenen Tankstelle gelaufen und hatte sich Zigaretten gekauft, als er auf die Uniformierten stieß. Sie stiegen aus ihrem Polizeiauto und wollten seinen Ausweis sehen. Der war im Wohnheim, 50 Meter entfernt. Dorthin zu gehen lehnten die Kontrolleure ab, stattdessen durchsuchten sie den Vietnamesen in ihrem Auto.

Sie fanden eine Zigarettenschachtel, ein Handy und 18 Euro. 50 Euro forderten die Polizisten von dem Asiaten - weil er keine Papiere bei sich habe. Andernfalls müsse man ihn festnehmen. "Okay, machen Sie doch", schlug der Kontrollierte vor. Daraufhin fuhren die Polizisten mit ihm los und ließen ihn nach wenigen Minuten aussteigen - mit Handy und Zigaretten. "Mein Geld", sagte der Vietnamese, doch die Räuber scheuchten ihn weg.

Der Beraubte gab nicht auf: "Ohne mein Geld gehe ich nicht!" Daraufhin musste er wieder ins Auto steigen und sein Handy abgeben. Nach 20-minütiger Fahrt wurde er am Kragen gepackt und nach draußen befördert. Die Beamten drohten, ihn zu schlagen, wenn er sich nicht entferne. So büßte der Vietnamese nicht nur 18 Euro, sondern auch sein Handy ein. Da stand er nun, in einer Dezembernacht, an einem verlassenen Bahngelände, in Flip Flops und dünner Jacke. Es dauerte Stunden, bis er durchfroren im Heim ankam.

"Im Polizeiauto saßen die Großen, draußen die Kleinen"

Dort verbreitete sich schnell die Kunde von den raubenden Polizisten. Außerdem wuchs die Zahl der Opfer, denen ähnliches geschehen war. Sie wandten sich an die Leiterin des Wohnheims. Die hatte noch nicht das Vertrauen in die Polizei verloren und erstattete Anzeige. Auf Fotos erkannten die Zeugen ihre Peiniger. Deren Telefonate wurden abgehört, darunter auch Gespräche, in denen sich die beiden über ihre Taten unterhielten. Angst vor Entdeckung plagte sie damals nicht. Riesbeck meint dazu: "Im Polizeiauto saßen die Großen, draußen die Kleinen."

Sie wurden festgenommen und gestanden: 13 Männern nahmen sie zwischen 3 und 300 Euro ab, vielen auch die Handys. Einen schlug Riesbeck zu Boden, als dieser das Nummernschild des Polizeiautos ablesen wollte.

Keine leichte Zeit für einen Polizisten im Gefängnis

Drei Jahre und neun Monate muss Manuel Andresen dafür in Haft, sein Kollege bekommt ein Jahr mehr, weil er die treibende Kraft war und seinen Untergebenen anstiftete. Sie werden wegen schweren Raubes bestraft: Eine härtere Strafe für "Raub im Amt", so der Richter, hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen: Man habe damit wohl nicht gerechnet. Der Vorsitzende hat wenig Verständnis für die Taten der Angeklagten. Allerdings kann er die Unzufriedenheit im Job nachfühlen: "Das ist eine Situation, in die viele Staatsdiener mal geraten."

Den Verurteilten steht eine harte Zeit bevor: Als ehemalige Polizisten müssen sie damit rechnen, von ihren Mithäftlingen tyrannisiert zu werden. Andresen und seine Verlobte hoffen, dass er die Strafe im offenen Vollzug verbüßen darf. Er will sein Abitur nachholen und studieren. Udo Riesbeck, der auf seine Bitte hin bereits aus dem Polizeidienst entlassen wurde, könnte sich nach der Haft eine Pflegetätigkeit vorstellen: "Ich möchte etwas machen, mit dem ich hinterher zufrieden bin."

* Namen von der Redaktion geändert

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