Nach dem Amoklauf-Alarm an einem Kölner Gymnasium und dem Selbstmord eines verdächtigten Schülers gerät die Polizei immer stärker in Erklärungsnot. Die nordrhein-westfälische Schulministerin Barbara Sommer und Innenminister Ingo Wolf kündigten an, den sich häufenden Widersprüche zum Vorgehen der Ermittler sorgfältig nachzugehen. Auch die Kölner Staatsanwaltschaft hat sich eingeschaltet.
Nach einem Gang zur Toilette nicht wieder aufgetaucht
Unklar ist, unter welchen Umständen der 17-Jährige nach einem Gespräch mit der Polizei am Freitag das Schulgebäude verließ. Der Schüler, der in Verdacht stand, ein Blutbad am Georg-Büchner-Gymnasium anrichten zu wollen, nahm sich mit einem Sprung vor eine Straßenbahn das Leben. Lehrer der Schule behaupten, der Junge sei den Beamten bei dem gemeinsamen Gespräch entwischt. Ein Sprecher der Bezirksregierung bestätigte entsprechende Angaben des stellvertretenden Schulleiters im "Kölner Stadt-Anzeiger". Der Schüler sei nach einem Gang zur Toilette nicht wieder aufgetaucht. Daraufhin hätten sich Lehrer und Beamte gemeinsam auf die Suche nach ihm gemacht; die aber blieb ohne Erfolg.
Polizeipräsident Klaus Steffenhagen hingegen hatte erklärt, der Junge sei nicht geflohen. Das Gespräch sei bereits beendet gewesen, bevor der Junge erklärt habe, er müsse zur Toilette gehen. Die Beamten hätten daraufhin das Schulgebäude verlassen. "Aus den Ermittlungsakten ergeben sich keine Aussagen oder Tatsachen, die belegen, dass die Beamten wussten, dass der Schüler von der Toilette nicht mehr zurückkehrte", sagte der Polizeipräsident zum Vorgehen der Beamten.
Kritiker hatten der Polizei vorgeworfen, die Selbsttötung möglicherweise mitverschuldet zu haben. In dem Gespräch hatten die Beamten klären wollen, warum der Jugendliche Bilder eines amerikanischen Schulmassakers auf einer Website veröffentlicht hatte. Seine Eltern waren nach Polizeiangaben nicht hinzugezogen worden, weil es sich um eine so genannte Gefährderansprache und nicht um eine Vernehmung gehandelt habe.
Der Kölner Staatsanwalt Alf Willwacher sagte, er wolle sich zu den unterschiedlichen Darstellungen zunächst nicht äußern. "Wir werden jetzt erst einmal mit beiden Seiten sprechen, um zuverlässig und gesichert Auskünfte erteilen zu können", sagte er der Nachrichtenagentur AP. Das Schul- und Innenministerium hat inzwischen eine umfassende Prüfung des Falls veranlasst. "Wir arbeiten bei der Aufklärung der Gesamtumstände eng zusammen", teilten die Minister Wolf und Sommer mit. Erst danach sei eine endgültige Bewertung des Geschehens an der Schule möglich.
"Verantwortungslose Schlaumeierdiskussionen"
Die nordrhein-westfälische Polizeigewerkschaft wies die Kritik an der Kölner Polizei erneut zurück. "Die Schlaumeierdiskussionen im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz sind verantwortungslos und unerträglich", sagte der Vorsitzende Rainer Wendt. Sie provozierten Nachahmungstäter und Trittbrettfahrer. Im Fall des Kölner Gymnasiums war die Polizei zunächst davon ausgegangen, einen unmittelbar bevorstehenden Amoklauf des 17-Jährigen und eines 18-jährigen Mitschülers verhindert zu haben.
Am Montag hatte die Kölner Staatsanwaltschaft dann bekanntgegeben, dass die beiden Freunde die Planungen für ein Blutbad offenbar schon vor Wochen gestoppt hatten. Der 18-Jährige befindet sich inzwischen mit seinem Einverständnis in einer psychiatrischen Klinik.