Forschung Danke, Zwillinge!

Zwillinge, die genetischen Doppelgänger, sollen den Schlüssel zum Geheimnis des Menschen bergen. Was macht uns zu denen, die wir sind? Unsere Natur? Die Umwelt? Die "lebenden Laboratorien" gewähren überraschende Einblicke - heute mehr denn je.

Ooooch, wie niedlich! Gleich zwei! Und wie ähnlich sie einander sind! Alle Zwillingseltern kennen solche Sprüche und dazu die halb bewundernden, halb mitleidigen Mienen staunender Mitmenschen, wenn sie ihre doppelten Lottchen oder Hänschen durch die Gegend kutschieren. Natürlich sind es besonders die Einlinge, für die genetische Doppelgänger wie von einer mystischen Aura umhüllt scheinen. In beinahe allen alten Kulturen ranken sich deshalb auch Mythen und Legenden um die Doppelgeborenen. Zwillinge brachten angeblich Glück oder Pech, waren mal mit dem Himmel im Bunde, mal mit der Hölle und wurden entsprechend verehrt oder auch verfolgt. Nur eins waren sie offenbar nie: ganz normal, so wie die anderen.

Auch heute noch umgibt sie ein besonderer Nimbus. Doch sind es inzwischen vor allem Wissenschaftler, die sich für die zwei aus einem Ei interessieren. Schon 1875 kam Francis Galton, ein Cousin von Charles Darwin, dem Begründer der Evolutionstheorie, auf den entscheidenden Gedanken: An Zwillingen lässt sich studieren, welche Eigenschaften Menschen ererbt und welche sie erst später in ihrem Leben angenommen haben. Aber was ist wichtiger? "Nature" oder "nurture", Natur oder Erziehung und Umwelt? Was prägt den Menschen?

Den Menschen verbessern

Schon Forscher wie Galton plagte das Verlangen, den Menschen nicht nur zu verstehen, sondern auch gleich zu verbessern. Den britischen Menschen jedenfalls. Nicht, weil der es besonders nötig gehabt hätte, sondern damit er als Auserwählter herrsche über den Rest der Welt. Galton begründete neben der Zwillingsforschung auch die "Eugenik", die Lehre von den "Wohlgeborenen", den "Gutgezüchteten", wie es treffender heißen sollte.

Ihr degoutanter Ursprung ändert nichts daran, dass Galton eine Schicksalsfrage gestellt hatte: Was macht uns zu denen, die wir sind? Noch immer wird um die Antwort gestritten. Und immer wieder sind es Zwillinge, die im Zentrum der Auseinandersetzungen stehen, "die lebenden Laboratorien", wie sie eine amerikanische Forscherin nennt. Wer Galtons Frage bedenken will, kommt an Zwillingen nicht vorbei.

Trotz des frühen Anschubs kam die Methode erst voran, nachdem psychologische Verfahren entwickelt worden waren, die es gestatten sollten, Temperament und Intelligenz zu messen. Denn natürlich interessierte die Wissenschaft vom verbesserten Menschen nicht nur Körperwuchs, Haar- und Hautfarbe, sondern mindestens ebenso Geist und Charakter.

Ziel: die Herrenrasse

Vor allem in Deutschland wurde die Forschung ab den 1920er Jahren vorangetrieben. An ihrer Spitze stand damals der Genetiker Otmar Freiherr von Verschuer, der den Nazis später in der Praxis zu geben versuchte, wonach deren Ideologen lauthals schrien: eine Herrenrasse. Der Gedanke war nicht neu, die Mittel zu seiner Realisierung aber sind in ihrer Grauenhaftigkeit unübertroffen.

Eine Sünde, ja ein Verbrechen wäre es, so behauptete einer von Verschuers Doktoranden, diese nie wiederkehrende Chance für die Zwillingsforschung ungenutzt zu lassen. Es war Josef Mengele. Und die Chance, die ihn so faszinierte, bot sich im Konzentrationslager Auschwitz. Etwa 3000 zumeist noch kindliche Zwillinge fielen "Onkel Mengele" dort in die Hände. Nachdem er sie mit Süßigkeiten verwöhnt hatte, infizierte er sie mit Krankheitserregern oder injizierte Chemikalien in die kleinen Augen, um aus braunen Pupillen arisch-blaue zu machen. Nicht einmal 200 Zwillinge überlebten die unsäglichen Torturen. Verständlich bei diesen Wurzeln, dass die Zwillingsforschung nicht nur in Deutschland bis heute mit Naserümpfen beobachtet oder gänzlich abgelehnt wird. Doch vor allem die vergangenen Jahre haben Verblüffendes hervorgebracht.

Während sich alle Welt noch immer streitet, ob das genetische Kopieren von Menschen zumindest für medizinische Zwecke erlaubt sein soll, sind die Klone längst unter uns. Denn nichts anderes als genetische Ebenbilder sind Zwillinge. Jedenfalls die eineiigen, "monozygoten", wie Experten sagen. Zweieiige, "dizygote", sind genau genommen nur zufällig am selben Tag geborene Geschwister.

Nur wenige Zwillinge kommen durch

Wir sehen nicht allzu viele Doppelgänger auf der Straße. Doch weit mehr Menschen, als wir vermuten, sind in den ersten Wochen im Mutterleib nicht allein. Ungefähr zwei Drittel aller Schwangerschaften enden spontan, manche gänzlich unbemerkt. Es gibt also auch etliche Zwillinge, die im Mutterleib verschwinden.

Am Ende sind es nur ein bis zwei Prozent der Neugeborenen, die zu zweit zur Welt kommen. Die Quote eineiiger Zwillinge liegt noch deutlich niedriger und weltweit bei etwa 1 zu 250. Warum das so ist und warum es überhaupt zu monozygoten Zwillingen kommt, weiß niemand. Viele Faktoren spielen offenbar mit. So gibt es Familien, in denen häufiger Zwillinge geboren werden als in anderen. Und sogar die Ernährung der Mütter könnte wichtig sein. Das zeigte jüngst eine Studie des amerikanischen Reproduktionsmediziners Gary Steinman vom Long Island Jewish Medical Center. Danach haben Frauen, die Fleisch- und Milchprodukte zu sich nehmen, eine fünffach höhere Chance für eine Mehrlingsschwangerschaft als Mütter, die sich vegan ernähren und auf tierische Lebensmittel verzichten.

Das Zwillingsschicksal entscheidet sich jedenfalls schon früh. Und das sollte es auch. Teilt sich nämlich die Zygote, der erste Keim des neuen Lebens, erst 13 Tage nach der Befruchtung oder gar noch später in zwei oder mehrere Embryonen auf, gelingt die Trennung nicht mehr vollständig. Denn die Zellen haben mit ihrer Spezialisierung begonnen und sind keine Alleskönner mehr wie zuvor. Die Folge: Siamesische Zwillinge. Zumeist sind sie am Rumpf zusammengewachsen und selten lebensfähig.

Harte Randlage

Teilt sich die Zygote dagegen bis zum vierten Tag nach der Befruchtung, reifen beide Kinder mit eigener Plazenta in einer eigenen Fruchthöhle. Ideale häusliche Bedingungen also. Findet die Trennung nur einen Tag später statt, teilen sich die beiden Kinder eine Plazenta. Wer sich dann beim Ansatz der Nabelschnur mit einer Randlage begnügen muss, sieht harten neun Monaten entgegen, falls es überhaupt noch zur Geburt kommt.

Trennungen zwischen dem achten und zwölften Tag führen schließlich auch zu einer gemeinsamen Fruchthöhle. Dabei kann es besonders gefährlich werden, wenn sich die Nabelschnüre verheddern oder - so soll es bei Elvis Presley und seinem tot geborenen Bruder Jesse gewesen sein - der eine Zwilling den anderen mit seiner Nabelschnur erdrosselt.

Die Zwillingen nachgesagte und von ihnen selbst auch immer wieder berichtete innige Verbundenheit reicht selbst in solchen Fällen oft über den Tod hinaus. Den Verlust der anderen Hälfte empfinden viele wie eine grausame Amputation. Etwa 2000 solcher Einzelschicksale haben sich bei den "Twinless Twins" organisiert. Ihr Gründer, der Amerikaner Raymond Brandt, fühlte sich mit seinem Bruder auch Jahrzehnte nach dessen Tod verbunden: "Wirst du als Zwilling geboren, dann stirbst du auch als Zwilling."

Sehr ähnliche gedankliche Muster

Die Verschmelzung beider Leben ist manchmal so eng, als ginge es nicht mit rechten Dingen zu. Die britische Hirnforscherin Susan Blackmore wollte es vor einigen Jahren genau wissen und ließ Zwillingspaare in verschiedenen Räumen zunächst einmal zeichnen, was ihnen gerade in den Sinn kam. Im zweiten Teil der Versuchs dann sollte ein Zwilling eine vom Computer vorgegebene Zeichenidee zu Papier bringen und dem anderen per Gedankenübertragung mitteilen.

Erwartungsgemäß scheiterten diese Versuche kläglich. Andererseits überraschten die Resultate aus dem ersten Teil der Untersuchung: Wenn Zwillinge einfach nur malten, was ihnen einkam, waren die Übereinstimmungen zwischen beiden hoch und gingen manchmal bis in so feine Details wie das Dekor einer Tasse.

Wie es scheint, sind die gedanklichen Muster, die Art ihrer Gehirne, zu assoziieren und sich ein Bild von der Welt zu machen, bei Zwillingen ungewöhnlich ähnlich. Schichtaufnahmen mit Magnet-resonanztomografen, die es Forschern erlauben, Gehirnen bei der Arbeit zuzusehen, haben das inzwischen bestätigt. Kein Wunder also, wenn Zwillinge vielleicht den Eindruck haben, sie seien Teil des anderen. Die meisten eineiigen Zwillinge brauchen bis zum vierten Lebensjahr - und damit etwa ein Jahr länger als die meisten anderen Kinder -, um sich als Individuum zu begreifen.

Wie weit geht ihre Gleichheit?

Aber wie weit geht ihre Gleichheit wirklich? Werden uns nicht nur Äußerlichkeiten vererbt, sondern auch unser Temperament, gar unsere Art, zu trauern, zu lieben oder glücklich zu sein? Eineiige Zwillinge leben als Kinder normalerweise in derselben Familie. Sie teilen also nicht nur die Erbanlagen, sondern auch wichtige Einflüsse ihrer Umwelt. Eltern, andere Geschwister, oft auch Freunde und die Schule. Sehen solche Zwillinge nicht nur gleich aus, sondern verhalten sich auch noch wie Spiegelbilder, wundert das kaum jemanden.

Thomas Bouchard von der Universität von Minnesota begann darum schon vor mehr als 25 Jahren nach Exoten zu suchen. Er fand für seine Studie weltweit etwa 70 Zwillingspaare, die während ihrer Kindheit ein unterschiedliches Zuhause gehabt und einander manchmal sogar über Jahrzehnte hinweg nicht gesehen hatten. Das Ergebnis seiner Arbeit fasste Bouchard 1990 so zusammen: "Für die meisten psychologischen Eigenschaften ist der Effekt eines gemeinsamen Elternhauses vernachlässigbar."

Berühmt wurden die Prachtexemplare aus seiner Sammlung. Die "Jims" etwa, Bouchards erstes Paar. Im Alter von vier Wochen waren sie getrennt worden, nach 39 Jahren kamen sie wieder zusammen - und glichen sich wie ein Ei dem anderen. Jim Springer und Jim Lewis kauten beide Fingernägel, bekamen zur selben Tageszeit Kopfschmerzen, rauchten Kette, waren gut in Mathe und taten sich bei der Rechtschreibung schwer. Beide hatten einen Hund namens Toy und je zwei Ehefrauen, Linda und Betty. Sogar die Reihenfolge der Eheschließungen stimmte überein.

Die meisten Eltern erziehen gleich

War das nicht der Beweis? Eine schon vor Bouchards Studie abgeschlossene Untersuchung seiner Universität an adoptierten Kindern kam zu ganz ähnlichen Schlüssen: Die allermeisten Eltern, hieß es da, böten "funktionell äquivalente" Umgebungen. Gemeint war: Eltern sind als Erzieher so austauschbar wie Fließbandarbeiter.

Haben also tatsächlich die Gene das Sagen? Natürlich hatte das auch schon der Gründer der Zwillingsforschung angenommen. Es sei seine einzige Sorge, schrieb Francis Galton, dass er zu viel beweise und seine Ergebnisse darum verworfen würden. Es widerspreche nun mal jeglicher Erfahrung, dass Erziehung und Umwelt so unbedeutend seien. Nur bei der Handschrift hätten seine Zwillingspaare keine Gemeinsamkeiten gezeigt. Dabei hätte er nur genauer hinsehen müssen: Oft nämlich ist der eine Zwilling Rechtshänder, der andere favorisiert die Linke, und beide Handschriften wirken wie gespiegelt.

Doch was ist mit all den anderen Zwillingspaaren, die nicht nur die Gene, sondern auch die Erziehung geteilt haben und trotzdem ganz unterschiedlich sind? All jene, die nicht in Shows auftreten, sich nicht in Klubs organisieren und bei Vergleichsstudien keine 100 Punkte holen?

Anfechtbare Forschungsergebnisse

Bouchard kam schon deshalb in schiefes Licht, weil er den Zugang zu seiner Datenbank und damit die Kontrolle der Ergebnisse verwehrte. Außerdem sind einige Dutzend getrennt aufgewachsener Zwillingspaare zwar ein schönes detektivisches Ergebnis. Statistisch aber ist es wenig belastbar angesichts Millionen von Zwillingspaaren überall auf der Welt. Und selbst bei den Paaren in der Studie lohnt ein zweiter Blick.

Als die Psychologin Susan Farber sich nämlich die Geschichten von 121 angeblich im Säuglingsalter getrennten und nach Jahrzehnten unter Forscherblicken wiedervereinten Zwillingspaaren vornahm, fand sie schließlich nur noch drei, bei denen es auch tatsächlich so gewesen war. Doch hatten die Untersuchungen dieser Zwillinge angeblich einen außerordentlich hohen erblichen Anteil der Intelligenz bewiesen. Farber: "Eine wissenschaftliche Farce."

Das Beispiel der sexuellen Orientierung zeigt, wie unklar selbst einleuchtende Resultate der Zwillingsforschung sein können, Hirnuntersuchungen und genetische Analysen legen dafür eine biologische Basis nahe, auch wenn die noch nicht verstanden ist. Und was sagen Zwillingsstudien?

Sehr unterschiedliche Ergebnisse

Die Amerikaner Michael Bailey und Richard Pillard untersuchten Anfang der 1990er Jahre 161 homosexuelle Männer, die alle einen Zwillings- oder zumindest einen Stiefbruder hatten. Ergebnis: 52 Prozent der genetisch identischen Brüder waren ebenfalls schwul, dazu 22 Prozent der dizygoten und 11 der Stiefbrüder. Klare Sache, oder? Als die Studie in Australien wiederholt wurde, lag die Quote nur noch bei 20 Prozent für monozygote Paare. Für dizygote war sie so gut wie null.

Aber selbst wenn das Ergebnis genau wie in den USA ausgefallen wäre, was dann? "Wenn Gott mir im Traum erschiene und das Ergebnis einer perfekten Zwillingsstudie mitteilte, würde ich ihn fragen: "Okay, da ich nun weiß, dass die Erblichkeit 0,469327 ist, was mache ich damit? Sag mir, was mir das sagen soll!" So der Evolutionsbiologe Richard Lewontin. Zwillingsforscher verwechselten Koinzidenz mit Kausalität, monieren Kritiker wie er. Denn sicherlich habe zum Beispiel die überwiegende Mehrzahl aller Menschen, die stricken, zwei X-Chromosomen im Erbgut und die allermeisten jener, die nie zu den Nadeln greifen, ein X- und Y-Chromosom, Kennzeichen des männlichen Geschlechts. Heißt das aber, fragt Lewontin, zwei X-Chromosomen seien die Ursache fürs Stricken?

Dass alles in unserem Leben von unseren Genen beeinflusst wird, ist eine Binsenweisheit. Wo wir sind, ist unser Organismus, und in dem steckt in jeder Zelle mit Ausnahme der roten Blutkörperchen das komplette Erbgut mit seinen knapp 30 000 Genen. Aber wie genau wirken sie? Und wann?

Bedeutung der Erbanlagen falsch eingeschätzt

Nach der mit dicken Backen gefeierten Entschlüsselung des genetischen Codes 2000 hat es in den vergangenen Jahren eine stille Revolution gegeben, die das Bild von der Bedeutung der Erb- anlagen erheblich verändert hat. Dazu haben auch die ersten Klonversuche bei Säugetieren beigetragen, die zeitlich verzögerte Erzeugung von eineiigen Zwillingen also.

Waren dabei die Gene der kopierten Rinder, Schafe oder Mäuse auch identisch, so waren sie selbst es nur selten. Natürlich sind auch menschliche eineiige Zwillinge optisch und auch sonst nicht ganz und gar gleich. Doch beim künstlichen Kopieren war es anders. Die Klone waren krank, selten lebensfähig. Eine ganze Weile rätselte die Forschergemeinde, woran die vielen Fehlversuche liegen könnten. Sie untersuchten ihre Technik Schritt für Schritt, änderten hier, verfeinerten dort. Doch nichts half.

Schließlich kamen sie darauf, dass der bis dahin gängige Vergleich des Erbguts mit einem dicken, kodierten Buch die wirklichen Verhältnisse im Organismus - auch im menschlichen - nur unzureichend traf. Eher war es wohl so etwas wie eine dicke Partitur mit Tausenden von Notenzeilen für ein großes Orchester. Das statische Bild vom Erbgut ist inzwischen einem überaus dynamischen gewichen.

Kakophonie von Dilettanten

Bleiben wir zunächst im Bild: Musiker können nacheinander vom selben Blatt spielen, und doch wird jeder seine eigene Interpretation wählen. Aber selbst wenn alle Noten auf das Feinste gesetzt und anschließend richtig gedruckt wurden, wird ein schlechter Musiker selten über nervtötendes Gequietsche hinauskommen. Und genau darum waren offenbar so viele Klontiere krank oder wurden schon tot geboren. Zwar war das Erbgut des Originals, die "Partitur", richtig und vermutlich auch unbeschädigt in die geliehene und entkernte Eizelle übertragen worden, die es brauchte, um einen Embryo zu erzeugen. Doch dessen Erbgut wurde in der "künstlichen" Umgebung falsch interpretiert. Nicht genetischer Wohlklang erfüllte darum die Ställe der Kloner, sondern die Kakophonie von Dilettanten.

Im Genom, unserem gesamten Erbgut, liegt für Forscher inzwischen unübersehbar das "Epigenom" versteckt. Jene Spiel- und Regieanweisungen, die festlegen, wann ein Gen zu "tönen" und wann es still zu sein hat. Als "junk", Müll, galten früher all die Teile der DNS, die nicht zu einem Gen gehörten. 90 Prozent des Erbguts sollten also leeres genetisches Geplapper aus Millionen Jahren Evolution sein. Mit dieser Einschätzung sind Wissenschaftler heute sehr viel vorsichtiger.

Das dirigierende und interpretierende Epigenom ist offenbar auch für die oft nur geringen Unterschiede zwischen eineiigen Zwillingen verantwortlich. Im Laufe der Zeit können die aber erheblich zunehmen: Eine Studie unter der Leitung des Spaniers Manuel Esteller zeigte im vergangenen Jahr, dass die Aktivitätsmuster ihrer Gene, die vom Epigenom vorgegeben werden, bei unterschiedlichen Lebensbedingungen immer weiter auseinander laufen. Die alte Partitur wird neu interpretiert.

Galton stellte die falsche Frage

Unsere genetische Grundausstattung ändert sich nicht im Laufe des Lebens. Aber was die Gene anstellen, scheint erheblich unter dem Einfluss der Umwelt zu stehen. Anders gesagt: "Nature" und "nurture", angeborene Natur und Erfahrungen, können nicht getrennt werden. Nur im lebenslangen Zusammen- und Wechselspiel werden sie zu einem sinnvollen Ganzen. Galton hat 1875 also schlicht die falsche Frage gestellt. Und es hat ziemlich lange gedauert, bis wir das begriffen haben.

Wieder waren es die Zwillinge, die uns dazu verholfen haben. Hätten wir eher auf das geschaut, was sie trennt, und nicht so gebannt auf das, was sie augenfällig verbindet, dann hätten wir sie auch als zwei eigenständige Menschen wahrgenommen und nicht als kuriosen Doppelpack.

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