Alte Nutztierrassen Bedrohte blonde Lockenpracht

  • von Angelika Unger
Artenvielfalt ist nicht nur in den Tropen ein Thema: Viele alte Nutztierrassen sind vom Aussterben bedroht. Für die Landwirtschaft hätte ihr Verschwinden unabsehbare Folgen.

Fünf Ferkel drängeln sich um die Zitzen der Muttersau. Die liegt ihrer Box im Stroh und schaut unbeeindruckt unter wolligen blonden Locken auf den Nachwuchs herab. Wollige blonde Locken? Richtig gelesen. Wer Schweine nur als schmutzigrosafarbene Borstentiere kennt, wird staunen, wenn er ein Mangalitza-Wollschwein sieht.

Wenn er denn das Glück hat, einem dieser Tiere zu begegnen. Das Wollschwein nämlich ist eine seltene alte Rasse, weltweit gibt es nur noch 1900 Exemplare. Einige von ihnen leben in der "Arche Warder", Europas größtem Zentrum für seltene und vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen.

"Das Fleisch des Mangalitza-Wollschweins hat einen hohen Fettanteil. Das war bei den Verbrauchern irgendwann nicht mehr gefragt", sagt Arche-Direktor Kai Frölich. Die Folge: Die Wollschweine wurden nicht mehr nachgezüchtet. Ein Schicksal, das viele Rassen auf der "Arche Warder" eint: Oft schon Jahrhunderte alt, zählen einige heute nicht einmal mehr 200 Tiere weltweit. Um den Bestand zu sichern, wären mindestens 25-mal so viele nötig.

Dichte Locken gegen Sonnenbrand

Warum aber ist es überhaupt wichtig, dass die alten Rassen erhalten bleiben? Jedes Tier und jede Rasse besitzt einen genetischen Code, der etwa bestimmt, welche Farbe das Tier hat, wie viel Milch es geben kann, ob es widerstandsfähig gegen Krankheiten ist. Stirbt eine Rasse aus, ist ihr genetisches Material für immer verloren - und damit auch die Vorzüge der Rasse, die man sich in der Zucht zunutze machen kann.

"Das Mangalitza ist genügsam und kann wesentlich besser mit Klimaschwankungen umgehen als andere Schweinerassen", zählt Frölich auf. Teures Mastfutter braucht es nicht, und dank seiner dichten Locken fühlt es sich das ganze Jahr über draußen wohl - ganz anders als die Hochleistungsschweine, die sich im Winter auf der Weide schnell eine Lungenentzündung holen können und im Sommer einen Sonnenbrand.

Viel Fleisch, viel Milch - aber keine Kraft zu laufen

Genau das nämlich ist das Dilemma der Landwirtschaft: Hochgezüchtete Tiere mögen viel Fleisch produzieren, viele Eier legen, viel Milch geben. Sie sind jedoch oft extrem empfindlich und anfällig für Krankheiten. "Kühe geben heute bis zu 15.000 Liter Milch; sie sind aber kaum in der Lage, das Eiweiß und Fett zu ersetzen, das durch die Milch entzogen wird. Oft schaffen sie es nicht mal aufs Fahrzeug, wenn sie ins Schlachthaus gefahren werden sollen", sagt Karl Fikuart von der Bundestierärztekammer.

Und noch etwas anderes beunruhigt die Tierärzte: "Der in den Rassen zur Verfügung stehende Genpool verkleinert sich dramatisch", sagt Fikuart. Das beste Beispiel für diese Entwicklung ist der kanadische Holstein-Bulle "Starbuck": Bis zu seinem Tod im Jahr 1998 zeugte er mit Hilfe künstlicher Besamung mehr als 200.000 Nachkommen in aller Welt, 685.000 Portionen seines gefrorenen Samens wurden in 45 Länder exportiert.

Auch wenn Züchter von "Starbucks" Vorzügen schwärmen und für sein Erbgut oder das des 2000 geklonten "Starbuck 2" astronomische Preise zahlen - Tierärzte befürchten Spätfolgen, wenn so viele Tiere nur einen Vater haben. Da Erbkrankheiten über viele Generationen verdeckt weitergegeben werden können, könnte so eine ganze Rasse in Gefahr geraten.

Bereits heute macht sich bemerkbar, dass Züchter weltweit auf das Erbgut weniger Tiere zurückgreifen, sagt Fikuart: "Wir haben heute wesentlich mehr Klauenerkrankungen als früher - dieses Merkmal haben Züchter lange vernachlässigt." Und so geben hochgezüchtete Kühe zwar mehr Milch, können aber wegen entzündeter Klauen nicht mehr stehen und müssen geschlachtet werden. "Bei vielen alten Rassen hingegen sind die Klauen sehr fest, weil sie im Gebirge gehalten wurden", erläutert Fikuart.

Woche für Woche verschwindet eine Nutztierrasse

Erkenntnisse wie diese sind dafür verantwortlich, dass mehr und mehr Bauern wieder mit den genügsamen und robusten alten Rassen züchten wollen. Zudem hat der Bio-Boom die besten Voraussetzungen für ihre Rückkehr geschaffen: Rückstände von Medikamenten in Fleisch und Milch sind beim Verbraucher nicht erwünscht, daher sind plötzlich wieder Tiere gefragt, die selten krank werden - nicht zuletzt auch deswegen, weil viele Bakterien resistent gegen die Wirkstoffe geworden sind.

Für viele Rassen kommt die Trendwende jedoch zu spät: Gab es etwa in Bayern Ende des 19. Jahrhunderts noch 35 Rinderrassen, sind es heute nur noch fünf. Nach Uno-Informationen stehen allein in Deutschland rund 90 Rassen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Nutztiere, weltweit ist jede dritte vom Aussterben bedroht, Woche für Woche verschwindet eine Rasse.

Salami ist die beste Werbung

Hier will man auf der "Arche Warder" gegensteuern: alte und seltene Rassen züchten, um die Bestände zu stabilisieren oder gar wieder zu vergrößern. In dem Park, in der Nähe von Kiel gelegen, leben Sattelschweine, Alt-Oldenburger Pferde und Lockengänse - insgesamt rund 1000 Tiere, 130 verschiedene Rassen. Einen Teil des Nachwuchses verkaufen die Betreiber der "Arche" an Bauernhöfe und Hobbyzüchter, um die Rassen wieder weiter zu verbreiten.

Schweine, Schafe und Rinder, die nicht für die Zucht in Frage kommen, landen schon mal im Schlachthaus. Im Hofladen des Parks kann man Salami und Schinken aus dem Fleisch der dort gezüchteten Tiere kaufen. "Unsere Tiere sind keine niedlichen Kuscheltiere, sondern Nutztiere", sagt Arche-Direktor Frölich pragmatisch. "Die Salami ist die beste Werbung für die alten Rassen: Je gefragter sie beim Verbraucher sind, umso eher werden sie nachgezüchtet - und umso geringer ist ihr Risiko auszusterben.

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