Flocke, das Eisbärbaby Angriff der Niedlichkeit

  • von Nina Bublitz
Guck mal, die kleinen Tatzen! Und das flauschige Fell! Beim Anblick eines Eisbärbabys setzt unweigerlich das große Quietschen ein. Kaum etwas ist so niedlich wie die kleinen, weißen Fellknäuel. Da muss sich die kleine Eisbärin in Nürnberg auf einiges gefasst machen.

Gut zwei Kilo wiegt sie jetzt, alle vier Stunden bekommt sie 80 Milliliter Milch, die sie hungrig trinkt. Und die Körperwärme der Pfleger, die findet sie ganz, ganz toll. Ach ja, nachdem erst Verwirrung herrschte, scheint es sich nicht um den zweiten Knut zu handeln, sondern um ein Eisbärmädchen. Einen Namen hat die Kleine noch nicht, dafür wird schon eine Webseite für sie eingerichtet. Horst Maußner, einer der vier Pfleger, die das Fellknäuel füttern und bekuscheln dürfen, ließ sich schon zu der Aussage hinreißen, er nenne sie Flocke. Möglicherweise hat der Nürnberger Zoo damit nicht nur Knut Nr. 2, sondern auch einen würdigen Nachfolger für Herrn Dörflein. Denn eigentlich braucht eine Bärin doch nicht vier Pfleger im Schichtdienst, sondern eine einzige menschliche Bezugsperson. Das macht sich auch in späteren Biografien und Kinofilmen besser. Toi, toi, toi, Herr Maußner! Oder dürfen wir Sie schon Papa Flocke nennen?

Überraschend ist die Namenswahl indes nicht, schließlich ist das Babyeisbärenfell so weiß, dass man den Zoomitarbeitern unterstellen möchte, sie würden heimlich mit chlorhaltigem Weichspüler nachhelfen. Und dass Flocke einmal mehrere hundert Kilo auf die Waage bringen soll und dann dringend einen neuen Namen braucht, das verdrängen wir erst einmal.

Den Bären in die Wiege gelegt

Wenn die kleine Bärin wüsste, was sie anstellt mit ihren Tapsepfoten und noch nicht einmal geöffneten Knopfäuglein. Jedes neue Foto wird mit einem Aufjuchzen quittiert, jede Regung mit einem tiefen Seufzer. Wir Menschen können kaum anders, schließlich werden wir auf Bären geprägt, der Teddy wird buchstäblich mit in die Wiege gelegt. Was unter anderem dazu führt, dass gestandene Männer, die sich echauffieren würden, wenn man sie Moppelchen oder Dickerle nennt, freudig strahlen, wenn die Liebste "Mein Bärchen" in ihr Ohr raunt. So ist das eben mit den Menschen und den Bären.

Sicher ist es allein diesem Phänomen geschuldet, dass Nürnbergs zweiter Bürgermeister Horst Förther sich sofort in die Diskussion einmischte. Schon vor der Trennung Flockes von Bärin Vera, gab er zu bedenken, dass man es schwerlich durchhalten werde, den kleinen Eisbären verhungern zu lassen, falls die Mutter ihn im Stich lasse. Wie Recht er doch hatte. Und wie gut, dass er den Zoo darauf hinwies! Wer weiß, was sonst mit Flocke passiert wäre? Förthers Bärenbegeisterung geht sogar so weit, dass er schnellstmöglich ankündigte, dass Flockes echter Name in einem öffentlichen Wettbewerb ermittelt werden solle. Obwohl der Zoo damit noch warten will, bis die Bärin aus dem Gröbsten raus ist. Ja, die Bären, sie lassen uns einfach nicht kalt - auch zweite Bürgermeister nicht, obwohl diese ihre Aufmerksamkeit sicher anderen Projekten widmen könnten.

Klar, die grenzenlose Zuneigung dem Bären gegenüber kann auch ins Gegenteil umschlagen, das bewies Bruno. Aber wieso musste der sich auch ausgerechnet Bayern als Revier aussuchen? Als dagegen Knut ins Blitzlicht purzelte, folgte die pure Verzückung. Und nicht nur die. Umweltminister Sigmar Gabriel nahm den kleinen Racker sofort in Beschlag, sogar zum Botschafter für das Weltklima wurde der kleine Bär mitunter ernannt. Als könne er mit seinen plüschigen Tatzen die noch bestehende Gleichgültigkeit gegenüber dem Klimawandel einfach wegwischen. Eine ziemlich große Aufgabe für einen Bären, die er auch - rückblickend - vermasselte. Dafür kann Knut nichts. Die Faszination des Süßen hält eben nicht lang. Und die Halbwertzeit eines knuddeligen Bärenbabys ist kurz. Nach nur wenigen Monaten verwandelt sich das Fellknäuel in einen Halbstarken, das Fell färbt sich von schneeweiß zu nikotingelb, und den einstmals putzigen Tatzen sollte man nicht mehr zu nahe kommen.

Bis es bei Flocke so weit ist, profitieren alle von der kleinen Eisbärin: der Nürnberger Zoo, weil er einen Besucherrekord einstellen wird. Die Tierschützer, weil sie an prominenter Stelle auf das Leid der Zootiere hinweisen können. Die Stadt, weil die Zoobesucher erst einmal Touristen in Nürnberg sind. Und die Medien, weil Sie, lieber Leser, möglichst jedes Detail aus dem jungen Bärenleben kennen möchten. (Wenn Sie bis zu dieser Stelle des Textes vorgedrungen sind, können Sie das schwerlich verneinen). Und die Bärin selbst? Sie wird gefüttert, geknuddelt, fotografiert, aufgepäppelt und hat ein Leben im Zoo vor sich. Immerhin.

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