Last Call „Eure Armut kotzt mich an“

In unserer Straße haben sie neulich ein Haus verkauft. Es sieht von außen nicht besonders toll aus. Es sieht ein bisschen aus wie eine große Garage mit einem kleinen Balkon. Die Garage hat trotzdem 1,7 Millionen Pfund gekostet. An lauen Abenden stehen die neuen Eigentümer schon mal mit Gästen auf ihrem Garagen-Balkon und prosten Passanten mit Weingläsern zu. Manchmal wissen wir nicht, wie wir das finden sollen. Lustig? Freundlich? Dekadent? Wir haben uns aus Gründen der Höflichkeit für die Variante freundlich entschieden. Meistens jedenfalls.

Großbritannien geht es so gut wie seit Jahren nicht. Und einige zeigen das auch gern. Zum Beispiel mit Weingläsern auf Balkonen. Die Wirtschaft wächst um 3,12Prozent, auch für das kommende Jahr wird ein stabiler Aufschwung erwartet. Jeden Tag können wir in den Zeitungen lesen, wie gut, besser und am besten es Großbritannien geht. Vornehmlich steht das in Zeitungen, die der konservativen Partei von David Cameron nahe stehen, und das sind eine ganze Menge. Nächstes Jahr sind Wahlen. Und die Tories sammeln fleißig Spenden von den Reichen. Für lächerliche 160 000 Pfund ersteigerte gerade erst ein russischer Banker ein Tennis-Match zwischen David Cameron und dem Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Und zwar nur zur Unterhaltung seiner Gattin. Nach dem Abschuss von MH 17 über der Ukraine hat dieses Tennis-Match zwar eine politische Dimension erreicht, aber der Bürgermeister will trotzdem spielen. Leicht verdientes Geld.

Die Wochenendbeilagen sind voll mit großflächigen Beilagen über Kreuzfahrten und Luxusreisen in die Karibik und mit Immobilien, die frivol teuer sind, aber offenbar dennoch Käufer finden. Die „Times“ veröffentlicht einmal pro Jahr ein dickes Magazin, das „The Rich List“ heißt. Darin erzählen die Reichen von ihrem Reichtum. Und dagegen ist auch nichts zu sagen. Denn das deutsche Wort Sozialneid gibt es im Englischen nicht, und das kommt nicht von ungefähr.

Es liest sich alles ziemlich rosig.

Und es liest sich zugleich auch ziemlich lausig.

Den einen geht es prächtig, den anderen bescheiden. Irgendwo muss sich das ja auspendeln: Die Zahl der Armen im Königreich hat sich in den vergangenen 30 Jahren mehr als verdoppelt und liegt nunmehr bei einem Drittel aller Haushalte. Die reichsten ein Prozent des Landes besitzen so viel wie jene 55 Prozent der Briten am anderen Ende der Nahrungskette. Die Top-20-Prozent-Verdiener können jedes Jahr fast 19 000 Pfund sparen, während die 20 Prozent am anderen Ende der Nahrungskette fast 2000 Pfund Miese machen.

Garagen als Wohnung in der reichsten Stadt der Welt

Das ist natürlich ein ziemlich ungesundes Kräfteverhältnis, das noch mal ungesünder wird, wenn man dieses Kräfteverhältnis geographisch aufdröselt und dabei herauskommt, dass die Hauptstadt dem Rest der Insel dramatisch enteilt. London ist offiziell eine der reichsten Städte der Welt mit den meisten Milliardären der Welt, 72 leben hier, und derart schnell wachsenden Immobilienpreisen, dass sich irgendwann kaum ein Londoner noch erlauben kann, in London zu wohnen. In einigen Gegenden, vornehmlich am in der City, gibt es bereits Wohnanlagen mit getrennten Eingängen: Für die Reichen. Und für den Rest. Das ist die Apartheid der Moderne.

Arme ziehen zuweilen in Garagen. Richtige Garagen, nicht so eine wie in unserer Straße. Und selbst richtige Garagen erleben erstaunlichste Wertsteigerungen. Im sehr trendigen Stadtteil Hackney wird zur Zeit eine ziemlich schäbige Auto-Behausung für 375 000 Pfund (470 000 Euro) angeboten. Das ist mehr als doppelt so viel wie der durchschnittliche Hauspreis im Königreich. Die Wohnungsnot gebiert ganz neue Erfindungen. En vogue der Y:Cube, eine Plastikschachtel von 26 Quadratmetern für 30 000 Pfund, die gerade als günstige Lösung des dramatischen Wohnungsproblems gefeiert wird.

„Wissen die Londoner überhaupt, dass der Rest von uns existiert?“, fragt der Autor Allan Massie in einem Beitrag für den „Daily Telegraph“. Er schreibt, dass die Anziehungskraft der Stadt ein Vakuum im Rest des Landes hinterlässt. „London bringt das ganze Land in einen Zustand des Ungleichgewichts.“ Die Ökonomen sprechen deshalb schon von einer „schiefen Erholung“. Damit meinen sie, dass das Verhältnis aus gefühlt und gelebt aus der Balance geraten ist. 56 Prozent der Briten glauben zwar, dass die Geschichte vom wirtschaftlichen Aufschwung stimmt, aber: nicht einmal ein Fünftel spürt den auch. Der Aufschwung ist zwar da, aber nur für eine Minderheit. Es ist ein Minderheiten-Aufschwung für die Reichen, die eigentlich gar keinen Aufschwung mehr brauchen.

Das ist die Lage der Nation.

Friede den Hüten. Krieg den Palästen!

Nun ist es gute britische Tradition, dass Mitglieder der Upper Classs zuweilen in die Niederungen hinab steigen und sich mit den Nöten des Volks gemein machen – zumal in entbehrungsreichen Zeiten. Zu einer gewissen Berühmtheit hat es in dieser Disziplin Lady Patricia Rawlings gebracht, eine frühere Europaabgeordnete der Tories und Besitzerin eines Palastes in der Nähe von Norfolk, den sie aber gerne für sieben Millionen Pfund veräußern möchte. Baroness Rawlings überrascht Partei und Wähler regelmäßig mit nutzvollen Spar-Ratschlägen, die ein an Marie Antoinettes „Kein Brot – sollen sie doch Kuchen essen“ erinnern oder an das Bonmot „Eure Armut kotzt mich an“. Im Winter schlug sie weniger betuchten Mitbürgern vor, sich in Heizdecken zu hüllen, um die Energiepreise zu drosseln.

Jetzt ist Sommer, und Rawlings Ideen passen sich natürlich der Jahreszeit an. Vor kurzem erfreute sie die Nation mit einem Sparpaket fürs Sommerfest. Zugehört, Plebs: Bloß kein Festzelt im Garten aufstellen! Was insofern sinnvoll ist, falls kein Garten vorhanden. Statt dessen einfach mal 200 Panama-Strohhüte für die 200 Gäste kaufen, die man so hat bei einer Party im Sommer. Ist billiger. Schon kann die Sause beginnen. Motto dieses Jahr: Friede den Hüten. Krieg den Palästen.