Neulich saß ich mal wieder mit meinem sehr britischen Freund Peter zusammen. Er kam gerade von einem Dinner im House of Lords und brauchte dringend ein Bier. Sie hatten ihn eingeladen, über Alkoholkonsum zu referieren, denn Peter hat ein Buch über Pubs gemacht. Es gab stilles Wasser zum Essen. Die Lords lauschten aufmerksam, aber Peters Idee einer Flatrate von einem Pfund für alle alkoholischen Getränke in allen britischen Pubs fiel auf taube Ohren. Vermutlich sogar im Wortsinn, denn Peter war mit Abstand der Jüngste und der einzig noch aktive Pubgänger. Er soll jetzt vielleicht die Lords beraten in alkoholischen Fragen. Das ist kein Scherz.
Ich beneide die Briten um ihren Pragmatismus und um ihren Humor.
Komischerweise kommen Peter und ich beim Bier ständig auf das Thema Humor. Er gehört nicht zu den Engländern, die glauben die Deutschen besäßen überhaupt keinen. Zumindest würde er das so nicht sagen. Er sagt stattdessen: „Euer Humor ist eben anders.“
Er wollte wissen, wen die Deutschen zur Zeit lustig finden. Ich musste einen Moment überlegen. Dann sagte ich „Böhmermann. Böhmermann finden sie gerade lustig.“ Peter musste lachen, weil ich offenbar ziemlich lange nachgedacht hatte. Mir fiel gerade wirklich kein anderer ein. Früher hätte ich wahrscheinlich Harald Schmidt gesagt oder ganz früher Loriot und Otto. Nun also Böhmermann. Alle schreiben ja gerade über den, „Zeit“, „Spiegel“, stern. Er muss dann wohl lustig sein, auch wenn sich mir seine Lustigkeit nicht richtig erschließen will und es doch eigentlich einen Unterschied gibt zwischen Zynismus und pointierten Witz. Womöglich erzählt der Hype um ihn auch nur etwas über deutsches Humorverständnis. Die wirklich für ihre Lustigkeit bekannten Deutschen, fiel mir dann auf, kann man immer noch an einer Hand abzählen. Neulich hat Böhmermann jedenfalls sehr unlustig reagiert, als er ein fremdes Foto an seine Fans gezwitschert hat und dafür abgemahnt wurde.Wenn's ums Geld geht, hört bei ihm der Spaß schon auf. Nun denn.
Henning Wehn gilt auf der Insel als deutsches Humor-Wunder
Zur Zeit ist Karneval, und ich frage mich, was Briten wohl sagen, die durch Zufall gerade in Deutschland sind und den Fernseher anstellen oder das Radio. Sie kriegen einen Schock fürs Leben. In England kann ja auch niemand verstehen, warum viele Deutsche über einen nur mäßig komischen Engländer wie Freddie Frinton in „Dinner for One“ lachen konnten und immer noch können. Ein Versuch, englischen Freunden die deutsche Silvester-Tradition auf Youtube näherzubringen, endete mit entsetztem Staunen. Sie sind schlicht verwöhnt. Im britischen Fernsehen und Radio sind tonnenweise schlaue und lustige Menschen unterwegs. Sie heißen Stephen Fry oder Alan Davies oder David Mitchell und Dara Ó Briain und Jimmy Carr und Eddie Izzard und Miranda Hart und Jennifer Saunders und, und, und. Die Liste ließe sich fortsetzen, sie hört gar nicht auf. Einer heißt im Übrigen Henning Wehn, ist Deutscher und überaus populär hier. Seine Programme tragen Titel wie „Four World Cups and one World Pope“ oder „1000 Years of German Humour“. Wehn ist hier ständig im Fernsehen. Er stellt sich dem Publikum als „German Comedy-Ambassador to the UK“ vor, als Deutscher Comedy-Botschafter und karikiert im besten satirischen Sinne gleich zwei Klischees: Er macht sich über die englische Grundannahme lustig, Deutsche seien komplett unlustig, indem er unentwegt einen leicht tölpelhaften Hausmeister-Typen mimt, der in Strickjacke und mit Stoppuhr um den Hals dem Publikum übertrieben zäh den deutschen Witz erklärt. Er spottet fast britisch-bissig über sein Gastland: „Nachdem eure Luftwaffe unsere Städte platt gemacht hat, haben wir wieder alles schön aufgebaut. Wir müssen nicht mehr in Dreckslöchern leben wie ihr. Und jetzt frage ich euch: Wer hat denn nun den Krieg gewonnen?“ So was mögen sie hier.
Umgekehrt hat er selbst erfahren, wie gekonnt Engländer mit seiner Heimat spielen. Traf da mal einen älteren Herrn an der Kasse seines Fußballvereins, der sich erkundigte, aus welcher Stadt in Deutschland er denn stamme. „Hagen im Ruhrgebiet.“ Kurze Pause, dann der Alte: „Hagen kenne ich. Aber nur aus der Luft.“ Krieg und Fußball sind die beliebtesten englischen Stereotypen über Deutschland, und Wehn kann mittlerweile längst kontern. Über Fußball sowieso, weil über ihre Nationalmannschaft selbst die Engländer lachen müssen. Aber auch, wenn die Nazi-Obsession mal wieder aufpoppt. Vor einem seiner Auftritte hatte der Veranstalter Hitler-Bärtchen an die Gäste verteilen lassen, und als der Germane die Bühne enterte und er lauter kleine Führer sah, sprach er trocken: „Thank you for making me feel welcome.“
Wehn wird auf der Insel als teutonisches Naturwunder gefeiert. „Deutsche“, sagt er, „sind grundsätzlich natürlich nicht unwitziger als Briten. Aber hier hat Comedy einen ganz anderen Stellenwert und eine andere Tradition. In jedem kleinen Kaff gibt es wenigstens einen Comedy-Klub, das ist der größte Unterschied.“
In England wäre Böhmermann wohl ein Böhmermännchen. Maximal.
Vor ein paar Jahren wollte Professor Richard Wiseman von der Universität Hertfordshire in einem groß angelegten Versuch klären, worüber die Welt so lacht. An seinem Experiment,„laughlab“, beteiligten sich online zwei Millionen Menschen aus 70 Ländern: Ergebnis: Die Deutschen lachen über mehr Witze als die Probanden aus allen anderen Nationen. Definitive Rückschlüsse über die Humorfähigkeit mochte der Professor aber nicht ziehen. „Wir wissen nicht, ob die Deutschen nun den besten Sinn für Humor haben oder ihr Humor – im Gegenteil – so armselig ist, dass sie alles komisch finden.“
Deutsche haben Humor, sagt der Präsident der Humorforscher
Humorforscher rümpfen über den Scharlatan Wiseman die Nase. Man muss nämlich wissen, dass Humor zu einer überaus humorlosen Angelegenheit wird, sobald er in die Klauen der Geisteswissenschaft gerät. Bei den turnusmäßigen Konferenzen der „International Society for Humor Studies“ (ISHS) tauschen sich Linguisten, Soziologen, Pädagogen, Philosophen, Neurologen und Psychologen über ihre Arbeit aus. Die Damen und Herren publizieren über solch bahnbrechende Themen wie „Humor in der judeo-spanischen Sprache des nördlichen Marokko“ oder „Subversive Chancen im Brustkrebs-Humor“. Kein Witz.
Als Präsident dieser ehrwürdigen Gesellschaft fungierte bis vor wenigen Jahren der Engländer Christie Davies, Professor an der Uni Reading und Gottvater der internationalen Klamauk-Gelehrten und Autor des kolossalen Standardwerkes „Ethnic Humour around the World“. Davies kann in einem fort über den globalen Witz dozieren, über Scherze auf Kosten von Minderheiten und nationale Spötteleien. Und kann vielleicht auch die Frage beantworten, ob wir Deutschen Spaß verstehen. Er sagt dann: „Alles Quatsch mit der Humorlosigkeit. Überlegen Sie doch mal! Die deutsche Tradition der Satire – Simplicissimus, Tucholsky, Kästner, die Berliner Kabarett-Szene.“ Das stimmt natürlich. Andererseits zitierte er fast ausnahmslos Tote.
Ich erzählte Peter von Professor Davies und dass Deutsche nach dessen Diagnose offenbar doch und hochoffiziell Humor haben. Und Peter erzählte mir von Hennig Wehn, den er mal in einem Pub in seiner Gegend traf und ihm sein Buch über Pubs in die Hand drückte. Er mag Wehn, er findet diesen Deutschen richtig lustig. „Verstehen die Deutschen den Humor von ihm? Kennen die Wehn überhaupt?“, fragte Peter. Ich musste wieder einen Moment überlegen. Und antwortete wahrheitsgemäß, dass ich es nicht wisse, Tendenz aber eher: nein. Peter sagte, das habe er sich irgendwie gedacht. Dann fragte er: „Und wie heißt dieser lustige Deutsche in Deutschland noch mal?“ „Böhmermann“, sagte ich, „Jan Böhmermann.“ Peter nickte, sagte „Hm.“ Dann bestellte er noch ein Bier.