Nach fast acht Stunden bei sengender Hitze auf dem Berg geben sie auf. Ein Junge mit langen dunklen Haaren will als einziger weiter ausharren in diesem Nirgendwo zwischen rund 60 "Panzerpolizisten". "Das kommt von der Sonne", sagt eine ältere Frau mit einer letzten Anstrengung von Humor. Dabei ist das alles unfassbar frustrierend.
Ohne Medien wären Proteste wie dieser unsichtbar. Wo immer Demonstranten auftauchen rund um den G7-Gipfel in Elmau, die Polizei ist schon da. Das ist wie bei Hase und Igel. Kritiker - ganz egal, ob gutmütige Garmisch-Partenkichnerin oder Hooligan - werden an die Leine genommen und dürfen ihre Plakate Gassi führen. Am besten da, wo keiner guckt. Das war's.
"Das hat was von Kafka"
Am Sonntag, dem ersten Gipfeltag, freut sich immerhin die Bergwacht, als ein Grüppchen von 25 Menschen es am Fuße des Wettersteingebirges zu ihnen schafft. Am Anfang und am Ende der schmalen Kolonne Polizei – wie ein schwarzer Block. Seit acht Uhr morgens wollen die Demonstranten als Teil von drei Sternmärschen von Mittenwald aus zum Zaun, der die "militärische Sicherheitszone" umschließt, in deren Mitte Schloss Elmau steht. Dort diskutieren Merkel, Obama und Co. außer Hör- und Sehweite. Doch es fängt schon damit an, dass kaum einer kommt. Statt der angemeldeten 500 sind es 35, die sich noch mal bis auf 25 ausdünnen werden. Immerhin bleiben zwei Kamerateams dabei.
Gleich zu Beginn fotografiert die Polizei zwei selbstgemalte Poster, um von oben absegnen zu lassen, ob die Demonstranten sie mitnehmen dürfen. "Ihr seid 7, wir sind 35" steht auf einem. Da lacht auch die Bergwacht. Über einen verwunschenen Wanderweg (den normalen Aufstieg dürfen die Demonstranten nicht nutzen) geht es im Gänsemarsch steil bergauf. "Das hat was von Kafka", sagt eine Frau über das absurde Schauspiel. Dabei ist das erst der Anfang.
Gipfel-Opfer Ringelnatter
Die genehmigten Plakate werden – so es geht - hochgehalten, und ein paar Jungs skandieren ihre Parolen nun eben im Wald: "G7 in die Suppe spucken – autonome Wandergruppen" rufen sie Bäumen und Bergen zu. Ein älterer Herr aus Stuttgart kehrt bald um. Es ist zu heiß und zu steil. Sie wissen jetzt schon, dass sie nicht bis zum Zaun dürfen. "Das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun", sagt Philipp aus Mittenwald, der nachher früher gehen muss, um für die Polizisten zu kochen, die in dem Hotel wohnen, wo er in der Küche arbeitet. Weiter vorn ruft jemand: "Wem gehört die Straße? Uns gehört die Straße!" Lachen.
Auf 1200 Meter warten vier Mannschaftswagen, und ein Polizist erklärt, dass man gerade mal ein Viertel des beschwerlichen Weges geschafft habe, und dass es von nun an durch die direkte Sonne gehe. Netter Versuch, aber alle gehen weiter. Auf dem Schotter liegt eine überfahrene Ringelnatter. "Die steht unter Naturschutz", sagt jemand.

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Nach einem atemberaubenden Ausblick auf den Ferchensee ist vor der nächsten Kurve plötzlich Schluss.
TV-Reporterin isoliert sich mit Aufsagetext
Mitten auf dem Weg stehen noch mehr Polizisten in Kampfmontur und Schweiß. Die Route sei verkürzt, heißt es. Empörung, aber ein bestens vorbereiteter Begleiter vom Anwaltsteam (hat jede Demo dabei) klärt sehr schnell, dass wir doch noch 50 Meter weiter demonstrieren dürfen. In der Ferne hört man Hubschraubergeräusche. Eine Fernsehjournalistin sagt in die Kamera: "Bis jetzt sind die Steine am Boden geblieben." Danach sitzt sie nicht mehr bei der Gruppe. Auf der Schotterpiste mitten im Wald, 20 Minuten vor Elmau, beginnt ein ermüdendes Ringen zwischen Demonstranten und Polizei: Anträge werden gestellt, gefühlt 50 Plenen abgehalten, Alternativen vorgeschlagen. Die Polizei erteilt vor allem Absagen. In der Leitstelle nimmt man offensichtlich an, dass diese müden 35 den Schlosszaun genauso sehr bedrohen wie 500 gewaltbereite Demonstranten. Außerdem gäbe es ja eine Unwetterwarnung. Das hier ist also auch ein Spiel auf Zeit.
Nie sollte jemand den Zaun erreichen
Genauso fühlt es sich an, wie ein Spiel: Es war nie vorgesehen, dass irgendjemand auch nur in die Nähe des Zauns kommt. Die Demonstranten stemmen sich ein wenig dagegen, die Obrigkeit gibt eine Winzigkeit nach, nur um kurz darauf weiter einzuschränken. Dabei bleiben erstaunlicherweise alle freundlich. Bis auf einen Polizisten, der zu Kollegen sagt: "Hoffentlich ist das Gewitter gleich hier, dann gehen wir schön in die Wagen und lassen die absaufen."
Noch ein Plenum. Und nach eineinhalb Stunden Diskutieren löst die Versammlung sich auf, um sich zu einer Spontanversammlung neu zusammenzufinden, die vor einer Polizistenmauer einen neuen Antrag stellt. Keine Ahnung, wo die Energie herkommt, aber sie skandieren wieder. Stehen im Kreis und singen, erzählen sich von Projekten daheim. Warten auf die Entscheidungen der Beamten. Bei der Polizei werden aber plötzlich die Einsatzleiter ausgewechselt, deshalb fängt alles noch mal von vorn an. "A, A, Anticapitalisti!! Hoch die antinationale Solidarität." "Hätte ich das gewusst, ich wäre nicht gekommen", sagt der 76-jährige Rolf aus Stuttgart, drei Bypässe. Ein blondes Mädchen mit roten Wangen gießt sich Wasser über die Stirn.
Polizei filmt Auflösung der Versammlung
Als das Plenum am späten Nachmittag beschließt, dass man den Versuch, Elmau zu erreichen aufgeben und zurückgehen will, baut die Polizei sofort eine Kamera auf, um die Auflösung zu dokumentieren, damit sie eingreifen könne, wenn jemand dann doch nicht gleich gehe, erklärt der Anwalt.
Aber sie gehen. Diesmal bleiben die Plakate eingerollt, gesungen wird nicht. Das letzte Aufbäumen gibt es mit Blick auf den Ferchensee. Da unten sollen die Partner der Staatsoberhäupter ihr Programm genossen haben – darunter Merkels Mann Joachim Sauer. Und die müde Truppe meint ein paar Menschen am Ufer auszumachen. Fünf Minuten lang wird gebrüllt und gepfiffen, aber vielleicht sind das da unten doch nur Stühle.

Alles endet im Geplantsche
Der Rest des Abstiegs ist still. Und was hat das alles jetzt gebracht? "Ich bin zufrieden", sagt ein junger Mann aus der Nähe von Bielefeld und zündet sich eine Zigarette an. "Nicht-demonstrieren ist auch keine Lösung."
Unten warten die Bergwacht mit Wasserflaschen und der Lautersee. Nach einem allerletzten Plenum und der endgültigen Auflösung der Versammlung springen die müden Kämpfer ins Wasser. Glückliches Geplantsche. Dann schwimmen sie in der Mitte zusammen und stimmen an: "Stopp G7! A, A, Anticapitalisti!"