Pro und Contra Alles nur eine neue Rentenlüge?

Die Bundesregierung hat beschlossen, dass die Renten in Deutschland in den kommenden Jahren nicht gekürzt werden. "Dummdreiste Augenwischerei", meint Hans Peter Schütz. Andreas Hoffmann widerspricht: Einen Abriss der Säule Rente können wir uns gar nicht leisten.

Millionen von Rentnern sollen künftig auch bei sinkenden Löhnen keine Rentenkürzungen mehr fürchten müssen. Das Bundeskabinett brachte nun eine Gesetzesänderung auf den Weg, wonach selbst in einer Wirtschaftskrise den Menschen im Ruhestand keine Einbußen mehr drohen. Die vorgesehene Schutzklausel für die Rentenhöhe geht auf eine Vereinbarung von Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zurück. "Die Renten werden nicht gekürzt, darauf kann man sich verlassen", sagte Scholz.

Im Gegenzug für die Rentengarantie sollen die Altersbezüge, die sich an der Lohn- und Gehaltsentwicklung orientieren, allerdings in Zukunft langsamer steigen. Falls 2010 eine Kürzung rechnerisch nötig wäre, sollen Rentenerhöhungen danach solange halbiert werden, bis die unterbliebene Rentenkürzung dadurch ausgeglichen ist.

stern.de</>-Autor Hans Peter Schütz sieht in der Rentengarantie Unfug und Augenwischerei. stern-Redakteur Andreas Hoffmann verteidigt die Maßnahme dagegen als Stütze für den Sozialstaat.

Pro
Contra
Von Andreas Hoffmann

Die Aufregung ist wieder groß. Bei den Jungen, den Wissenschaftler, den Leitartiklern, und bei allen, die sich in der Sozialpolitik schnell empören. Es geht um die Rente. Die Bundesregierung hat festgelegt, dass die Renten im nächsten und den folgenden Jahren nicht gekürzt werden sollen. Nichts Besonderes eigentlich. Seit 1957, als die heutige Rentenversicherung entstand, hat keine Regierung die Renten gekürzt. Kein Konrad Adenauer, kein Ludwig Erhard, kein Kurt Georg Kiesinger, kein Brandt, Schmidt, Kohl oder Schröder. Egal wie schwer die Wirtschaft kriselte, auf eines konnten sich die Ruheständler verlassen: die Rente. Das Schlimmste, was den Rentner passieren konnte, war, dass sie mal ein paar Jahre nicht mehr bekamen. Insofern hat die Große Koalition mit ihrem Gesetz nur etwas Selbstverständliches beschlossen. Und dennoch regen sich viele auf. Warum eigentlich?

Wegen der Mythen, die sich um die Rentenversicherung ranken. Da ist der Mythos, dass die Rentner den Staat auffressen, dass die Jungen zahlen und zahlen und nie etwas aus der Rentenversicherung herausbekommen werden. Genährt werden diese Mythen von angeblichen Experten, die für die Zukunft der Rente schwarzsehen. Dabei wird gern unterschlagen, dass diese Experten meist Söldner der Banken- und Versicherungsbranche sind. Sie müssen die Rente schlecht reden, weil Banken und Versicherer dann ihre Altersvorsorgeprodukte besser verkaufen können. Angst ist gut fürs Geschäft.

Wie aber steht es um die Last der Jungen? Ein Prozent Rentenerhöhung kostet den Staat etwa zwei Milliarden Euro. Das ist weniger als ein Prozent des gesamten Bundeshaushalts und weniger als ein halbes Prozent, mit dem der Staat für die kriselnden Banken einspringen will. Eine Riesenlast ist das nicht. Auch viele der stetig vorgetragenen Gefahren sind gar keine. Beispielsweise wird seit dem deutschen Kaiserreich im 19. Jahrhundert davor gewarnt, dass die Deutschen aussterben, dass die Frauen zu wenige Kinder gebären und die Kosten der überalterten Gesellschaft nicht zu bezahlen sind. Seit dieser Zeit ist der Wohlstand ständig gestiegen und die Renten auch.

Ein gutes Rentensystem hängt auch nicht von der Zahl der Kinder ab, wie immer behauptet wird. Wäre dies der Fall, müssten Afghanistan und viele afrikanische Staaten die besten Rentensysteme der Welt haben. Dort bringen die Frauen im Schnitt vier, fünf Kinder zur Welt. Doch nicht die Zahl der Kinder ist entscheidend, sondern wie produktiv sie sind. Das heißt: Wie viele Güter und Dienstleistungen stellen die Kinder später her, wenn sie erwachsen sind. Und wie viele davon lassen sich auf den Weltmärkten verkaufen. Legt man dieses Kriterium zugrunde, steht Deutschland gut da. Die Reformen der vergangenen Jahre haben das Land in der Welt konkurrenzfähiger gemacht.

Mit dem Gesetz hat die Regierung völlig richtig gehandelt. Wir erleben die größte Konjunkturkrise der Nachkriegzeit. Noch nie ist die Wirtschaft so schnell und so stark geschrumpft wie in diesem Jahr, die Zahl der Arbeitslosen wird in den nächsten Monaten nach oben schnellen wie nie zuvor. In der Staatskasse breiten sich neue Milliardenlöcher aus, zugleich muss der Staat wegen der Krise mehr Geld ausgeben. In dieser Situation wird der Sozialstaat zum Kitt der Gesellschaft. Er muss zusammenhalten, was auseinanderstrebt. Er muss die Schäden beseitigen, die der entfesselte Finanzkapitalismus angerichtet hat. Den Arbeitslosen und Bedürftigen helfen und die Rentner nicht zurücklassen. Dass eine Regierung nun garantiert, die Renten nicht zu kürzen, ist daher nicht populistisch, sondern selbstverständlich. Damit stützt sie eine tragende Säule des Sozialstaats. Einen Abriss können wir uns gerade jetzt nicht leisten.
Von Hans Peter Schütz

Wie die Große Koalition versucht, ihre jetzt gegebene Rentengarantie der Öffentlichkeit zu verkaufen, ist schlicht dummdreist. Hätte man jetzt nicht gehandelt, so säuseln Union wie SPD unisono, würde die Rentenpolitik für den kommenden Bundestagswahlkampf missbraucht. Im Parteienkampf dürfe die Rentenpolitik nicht als Waffe gegen den politischen Gegner missbraucht werden. Klingt ja gut, geradezu edelherzig und staatspolitisch einfühlsam.

Das großkoalitionäre Wortgeklingel sollte jedoch niemand davon ablenken, dass genau dieser Missbrauch stattfindet. Dass die Bundesregierung beim Blick auf die 20 Millionen Rentner mit Wahlrecht ihre rentenpolitische Glaubwürdigkeit blitzschnell ausgeprägtem politischen Opportunismus geopfert hat. Der Ausschluss einer Kürzung der Renten ist aus rentensystematischer Sicht schlichtweg Unfug. Zumindest dann, wenn diese Politiker ihre Erklärungen, sie stünden zu unserem Rentensystem, halbwegs ernst nehmen. Genau das tun sie nicht.

Im Prinzip sollen ja die Renten, so das geltende System, um jenen Prozentsatz steigen, um den die modifizierten Bruttolöhne im Jahr zuvor gestiegen sind. Modifiziert heißt: Wie hoch der Lohnzuwachs abzüglich der Aufwendungen für die eigene Altersvorsorge tatsächlich gewesen ist. Theoretisch kann das bewirken, dass irgendwann einmal auf sinkende Pro-Kopf-Löhne auch sinkende Renten folgen. Praktisch war das noch nie der Fall. Und unterm Strich dieser Politik steht heute, dass es ausgeprägte Altersarmut nicht mehr gibt. Und das soziale Netz fängt heute auch jene auf, die zu anderen Zeiten auf der Straße betteln mussten, um zu überleben.

Weshalb von der bewährten Tradition dieses Systems jetzt abgewichen wird, können die Politiker nicht erklären - es sei denn, sie würden sich ehrlich zu ihrem wahlpolitischen Opportunismus bekennen. Tatsache ist doch: Heute weiß noch niemand, wie sich die Bruttolöhne wegen der Wirtschaftskrise und hoher Kurzarbeit entwickeln werden. Man hätte durchaus noch Zeit gehabt, die tatsächliche Entwicklung abzuwarten. Das aber wagte die Politik nicht, weil sie befürchtete das vorsorgliche Krisengeschrei der Sozialverbände könnte Stimmen bei der Bundestagswahl kosten.

Doch was die Sozialverbände geradezu hysterisch beklagen, etwa Kaufkraftverluste der Rentner, das müssen die arbeitenden Mitbürger ebenso aushalten. Es gibt bis heute nicht den geringsten Grund, das Rentenprinzip des Generationenvertrags so auszuhebeln, wie dies jetzt wieder einmal versucht wird. Das Rentensystem beruht darauf, dass die Menschen, die heute für die Rentner arbeiten und Beiträge bezahlen, nicht schlechter behandelt werden als die Rentner. Wer heute Rente bezieht, kann dies schließlich nur, weil dieses Prinzip in der Vergangenheit beachtet worden ist.

Dass dieser Grundsatz jetzt zunächst einmal für 2010 ausgehebelt werden soll, ist ein eindeutiger Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung in unserem Grundgesetz. Läuft es gut in der Wirtschaft, kassieren die Rentner mit. Bricht das Wachstum weg, soll bei ihnen nicht gespart werden. Schon jetzt ist doch klar, dass Wahlgeschenke dieser billigen Machart den ohnehin unterfinanzierter Generationenvertrag zusätzlich unterminieren. Wer heute arbeitet, muss aus seinem Lohn ohnehin bereits zusätzliche Altersvorsorge finanzieren. Eine Last, die die Rentner von heute nicht tragen mussten.

Vor allem aber kann man nur davor warnen, das Versprechen der Politiker ernst zu nehmen, dass Kürzungen, die jetzt vielleicht nicht stattfinden, ab 2011 nachgeholt werden. Denn dann werden diese Politiker, die vom Rentenwissenschaftler Bernd Raffelhüschen zu Recht "Zechpreller zu Lasten unserer Kinder" genannt werden, wieder opportunistisch auf die Bundestagswahl 2013 schielen. Der Wortbruch ist doch heute schon einkalkuliert.

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