Moschee-Vorstand in Molenbeek
"Armut und Elend sind das Problem"
Kuno Kruse: Was denken Sie, sind die Probleme des Viertels?
Jamal Habbachich: Ich würde sagen, hier im Viertel zum Beispiel sind viele Jugendliche ohne Arbeit, es gibt Schulabbrecher, die keinen Erfolg in der Schule hatten, die ihren Tag zu Hause oder auf der Straße verbringen. Das sind im Großen und Ganzen Jugendliche, die nichts zu tun haben. Sie können sehr anfällig für den Handel mit Drogen, Diebstahl oder Radikalismus sein. Es sind die Viertel in ganz Europa, wo es viel Armut und Elend gibt, wo es nicht viele Chancen für alle gibt. Das sind Probleme, die hier...das ist die Realität in allen großen Städten in Europa.
Kruse: Wir sind hier in der Moschee und ich habe viele Kinder hier gesehen. Was hält die Zukunft für diese Kinder bereit?
Habbachich: Wichtig heute ist, dass jedes Kind, jede Familie will eine Erziehung, eine Bildung und eine bestimmte Lebensart will, auch eine Kultur, auch die Geschichte des Herkunftslandes bewahren. Eine Lücke füllen, die sie in ihrem Leben verspüren. Auch wenn sie belgisch, französisch oder deutsch sind, ihr Gesicht zeigt, dass sie ursprünglich von woanders herkommen.
Kruse: Das hängt auch davon ab, seit welcher Generation die Familien hier sind?
Habbachich: Das ist teilweise schon die dritte oder vierte Generation, inder sie hier in Belgien sind. Aber es bleibt, dass sie während der Ferien in ihr Heimatland fahren, um ihre Familien zu besuchen. Und es ist auch wichtig, dass während dieser Besuche das Band zu ihrer Heimat bestehen bleibt.
Kruse: Ist das möglich, dass in diesem Viertel, weil ihr unter euch seid, mit den Belgiern nicht so vermischt seid?
Habbachich: Nein, das heißt, es ist richtig, dass es in einigen Vierteln „Ghettos“ gibt. Aber das ist relativ. Auch wenn es Vierteln mit überdurchschnittlich vielen Muslime gibt, gibt es in Molenbeek 80.000 Einwohnern, und nicht mal 20.000 Muslime – ein bisschen mehr als ein Viertel sind Muslime marokkanischer Herkunft, türkischer Herkunft, afrikanischer Herkunft, manchmal auch algerischer und tunesischer Herkunft. Aber die Mehrheit ist marokkanischer Herkunft. Also, in diesen Viertel verdienen die Leute 1000 Euro im Monat mit drei Kindern, dann sucht man sich Viertel, in denen die die Lebenshaltungskosten nicht hoch sind. Also ist dieses Elend und diese Unsicherheit, die die Leute dazu bewogen hat, in diesen Vierteln zusammenzuleben.
Kruse: Ist der IS auch ein Problem für die Leute, die hier leben, für die Araber? Rekrutieren sie neue Leute hier? Oder ist das weit weg?
Habbachich: Das ist weit weg von hier, aber momentan gibt es ein Problem. Dass durch die Informationstechnologie, durch das Internet heute nichts mehr weit entfernt ist. Die Jungen heute werden auf Facebook, über Twitter, mit Youtube, mit allen Informationen die die Runde machen konfrontiert. Jeder hat heute Zugriff auf Informationen. Auf die Guten und die Schlechten.