Endlich ist die Frage gelöst, warum die EU bei den Bürgern so unbeliebt ist: Es liegt an den belegten Brötchen. Das schreibt heute die "Süddeutsche Zeitung". Ja, allen Ernstes. Genauer gesagt: Es sei angeblich ein großes Problem, dass die Repräsentationsbüros der EU-Kommission in Städten wie Berlin, Paris oder London nicht einfach "für ein Fest ein paar belegte Brötchen" bestellen könnten. Da sei die komplizierte EU-Haushaltsordnung vor. Um so etwas zu ändern, müsse die Brüsseler EU-Kommissarin Margot Wallström "Konflikte mit dem Apparat" riskieren. Und wenn sie das schaffe, dann habe auch Wallströms pro-europäische PR-Kampagne eine Chance.
Wahr an der Geschichte in der SZ ist, dass Margot Wallström eine sympathische Frau ist – und dass sie vor ein paar Tagen ihren "Plan D" vorstellte. Angeblich steht "D" für Demokratie in Brüssel – das behauptet Wallström. Wenn das mit den Brötchen gelöst ist, dann klappt es auch mit der Demokratie – das suggeriert die SZ.
Freilich verspricht Margot Wallström schon ziemlich lange mehr "Transparenz" in Brüssel. Nur dass die in Wahrheit nicht an der Anti-Brötchen-Bürokratie scheitert, sondern an den ganz nackten Interessen von Bürokraten, die sich nicht gerne in die Karten schauen lassen.
Wallström hat dabei bisher immer nur zugeschaut. Zum Beispiel als Kommissionspräsident José-Manuel Barroso selbst genau diese Transparenz demontierte. Kaum im Amt, stoppte Barroso Ende 2004 eine der wenigen Pflichtübungen in Sachen Bürgerfreundlichkeit, die Amtsvorgänger Romano Prodi eingeführt hatte: Der Italiener hatte eine – unvollständige – Liste seiner Korrespondenz auf dem Web veröffentlicht. Barroso veröffentlicht gar nichts mehr.
In der EU-Kommission lebe ein Dinosaurier, der Transparenz und Demokratie verabscheue, resümierte der ehemalige EU-Ombudsmann Jacob Söderman, als ich ihn am Ende seiner Amtszeit in Brüssel interviewte. Jeder, der längere Zeit aufmerksam den Brüsseler Beamtenzoo beobachtete, kann das bestätigen. Weil es in der EU-Hauptstadt keine parlamentarische Opposition und eine meist handzahme Presse gibt, kann sich die EU-Bürokratie ungestraft Ausfälle erlauben, die anderswo zu einem Aufschrei führen würden.
Zum Beispiel bei der Vergabe der EU-Mittel. EU-Beamte, die sich an Betrug und Schlamperei beim Umgang mit Steuergeld stören, werden mit schöner Regelmäßigkeit aus dem Haus gemobbt. Einer, der über die Kontrollmängel klagte, war der Brüsseler Chefinnenrevisor und frühere Weltbank-Vizepräsident Jules Muis. Er verließ Brüssel im Frust – nachdem ihm ein hoher EU-Beamter gedroht hatte: "Wir wissen, wie wir Leuten wie Ihnen den Hals brechen können." Bei den Streits, die Muis mit der Kommission ausfocht, ging es nicht um kleine Brötchen – sondern um Milliarden.
Jetzt will Wallström die EU "demokratischer machen". Doch merkwürdig: als die Kommission eine einmalige Chance hatte, sich für ein demokratisiertes Europa einzusetzen, wehrte sie sich mit allen Mitteln dagegen – nämlich in den Beratungen des sogenannten Verfassungskonvents vor drei Jahren. Im einflussreichen Präsidium dieser eminenten Runde war die Kommission ungewöhnlich stark, nämlich mit zwei Männern vertreten. Und beide – so verfolgte ich damals mit Verblüffung - stemmten sich mit Händen und Füßen gegen mehr Teilhabe der Bürger.
Eine parlamentarisch kontrollierte Kommission? Um Gottes Willen. Den Kommissionspräsident im Parlament wählen lassen? Wenn überhaupt, dann mit einer (jede Opposition erstickenden) Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Kommission dürfe sich nicht zur "Geisel des Parlaments" machen lassen, stänkerte Kommissar Antonio Vitorino.

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Jetzt ist die sogenannte EU-Verfassung gescheitert – nicht zuletzt, weil sich gerade in Frankreich viele zu Recht veräppelt fühlten von einem Vertragstext, der Demokratie versprach, ohne diese Zusage ernsthaft einzulösen.
Dass irgend jemand dazu gelernt hätte, ließ sich bisher nicht erkennen. Gleich nach den Nein-Voten in Frankreich und den Niederlanden kamen aus Brüssel die üblichen Beschwichtigungsreden: Die Bürger hätten in Wahrheit gar nicht über die Verfassung abgestimmt, sondern über ihre Regierung. Das erinnert ein bisschen an Gerhard Schröders Reaktionen nach seiner Wahlniederlage. Nur dass Schröder damit zur Witzfigur wurde – und in Brüssel die Schröder-Haltung die normale ist. Kaum einer dort akzeptiert ein Votum, das sich gegen die Brüsseler Machthaber richtet. Der Bürger, der mit Nein stimmt, hat immer unrecht.
Übrigens ist auch Wallströms neuer Demokratieplan in Wahrheit gar keiner. Sondern nur eine weitere PR-Übung – und keine besonders originelle. Die Kommissarin verspricht "ein umfangreiches Besuchsprogramm der Kommissionsmitglieder in den Mitgliedsstaaten" – na großartig. Ein "Bürgerforum" soll den Bürgern helfen, sich einzubringen. Und was, wenn die Kommission nicht auf die Bürger hört? Macht auch nichts. Dann bleiben die Da-men und Herren trotzdem im Amt. Abwählen kann man sie weiterhin nicht.
Wallström backt eben nur klitzekleine Brötchen. Sie ist selber schuld, wenn sie keinem schmecken.