Die Debatte um Peer Steinbrücks Nebeneinkünfte trifft die SPD offenkundig ebenso unvorbereitet wie seine Kanzlerkandidatur.
Das sollen politische Profis sein? Wer sich dieser Tage anschaut, wie hilf- und planlos SPD-Chef Sigmar Gabriel und der frischgekürte Kanzlerkandidat Steinbrück auf Fragen nach der bisherigen Geschäftemacherei des letzteren reagieren, der kann sich nur wundern.
Um die 80 bezahlte Vorträge und Reden hielt Steinbrück seit seiner Wahl in den Bundestag im September 2009. Ausweislich der Angaben, zu denen er per Gesetz verpflichtet war, kassierte er dafür – sowie für ein Aufsichtsratsmandat bei Thyssen-Krupp – insgesamt mindestens um die 700 000 Euro. Seinen Job als Volksvertreter, für den ihn die Steuerzahler mit einer Diät und einem Büro einschliesslich Mitarbeiter alimentieren, nahm er lange erkennbar weniger ernst. Bundestagsreden sind von ihm erst vier verzeichnet.
Offenkundig in die Ecke gedrängt, verteidigte sich Steinbrück am Montag im ZDF („Was nun, Herr Steinbrück?“) ausgerechnet unter Verweis auf FDP-Chef Guido Westerwelle. „Ich vermute mal, dass Herr Westerwelle nicht viel andere Vorträge gehalten hat in früheren Zeiten als ich auch“, verkündete der Sozialdemokrat. Dass der selbst in den eigenen Reihen diskreditierte Liberale noch mal als moralische Instanz taugen könnte, war wohl bisher keinem eingefallen – außer eben nun Steinbrück.
Seit mehr als zwei Jahren schwelt die Debatte um dessen ausgeprägten Nebenerwerbssinn und seine lange wenig ausgeprägte Lust an der Abgeordnetentätigkeit – vor allem dank der hartnäckigen Nachfragen von abgeordnetenwatch.de. Doch die SPD-Spitze traf die Diskussion nun trotzdem offenkundig aus heiterem Himmel.
Steinbrück selbst war ihr bisher mit Steinbrück’scher Wurstigkeit (nicht etwa er selbst, sondern abgeordnetenwatch sei von kommerziellen Interessen getrieben) begegnet. Einige Großkommentatoren gaben ihm Feuerschutz. Nur – das lernt die SPD nun mit Verspätung – ein Thema verschwindet nicht schon allein dadurch, dass es einige wichtige Journalisten nicht interessiert. Man muss schon auch die Bürger überzeugen. Und die reagieren seit Jahren zunehmend sensibel auf zu viel Lobbynähe der Politik. Wenn Politprofis das nicht mitbekommen, weil unter den anderen Berliner Politprofis kaum einer an Eskapaden wie denen des Peer Steinbrück Anstoß nimmt – dann stimmt eben irgend etwas nicht mit dieser Professionalität.
Dass das auch für SPD-Chef Gabriel gilt, diesen Eindruck gewann man jedenfalls, als er am Sonntag auf die insistierenden Fragen von Thomas Walde im ZDF nur immer zu wiederholen wusste, dass die Steinbrück’schen Lohnreden doch alle öffentlich gewesen seien. Das behauptet immerhin nicht mal Steinbrück selbst. Die für die Auftritte – auch vor Unternehmenskunden - gezahlten Summen sind es so oder so bis heute nicht.
Seit eineinhalb Jahren streiten sich die Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen in der Rechtsstellungskommission des Bundestages über eine Reform, die auch im Fällen wie Steinbrück mehr Transparenz bringen würde. Künftig sollen Einkünfte nicht mehr nur in drei Stufen pauschal angegeben werden, sondern in sieben Stufe. Damit würden auch Beträge bis 150 000 Euro detailgenauer erfasst. Heute erfährt bei Nebeneinnahmen ab 7000 Euro – von denen Steinbrück über 80 verzeichnete – keiner im Detail, wie hoch sie waren.

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Eigentlich sollte die Rechtstellungskommission am vergangenen Donnerstag erneut über diese Vorschläge beraten, die der SPD-Vertreter Thomas Oppermann dort mit eingebracht hatte. Doch ausgerechnet die SPD fehlte in der Sitzung am vergangenen Donnerstag – was in anderen Fraktionen prompt wilde Vermutungen auslöste. Es habe „mehr als ein Geschmäckle, wenn die SPD die letzte Sitzung der Kommission am 27.09.2012, einen Tag, bevor die Kandidatur Steinbrücks öffentlich gemacht wurde, platzen lässt, indem sie einfach nicht erscheint“, findet Dagmar Enkelmann, Oppermanns Kollegin von der Linksfraktion. „Gerade weil so langsam die Zeit drängt, wenn noch in dieser Legislaturperiode mehr Transparenz in die Nebeneinkünfte kommen soll, ist das Verhalten der SPD beschämend“, beschwerte sie sich. Dahinter lauert die Unterstellung, die SPD wolle nun bewusst ein höheres Maß an Transparenz hintertreiben, um den Druck auf den frisch gekürten Spitzenkandidaten zu vermindern.
In der SPD wird das als „an den Haaren herbeigezogen“ zurückgewiesen. Schon am 18. Oktober tage die Kommission ja erneut.
Bis dahin hat dann auch Peer Steinbrück Zeit, einige offene Fragen zu beantworten. Etwa die, ob vom Steuerzahler finanzierte Mitarbeiter seines Bundestagsbüros an der Vorbereitung von Reden beteiligt waren, für die er dann kassierte. Kosten sozialisieren und Gewinne privat einstreichen – das wäre jedenfalls eine ganz neuartige Definition von Sozialdemokratie.
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