Hans-Martin Tillack Verheugen, seine Freundin und die anderen Beamten

Darf ein EU-Kommissar eine enge Freundin auf einen hohen Posten befördern? Diese Frage hat EU-Kommissar Günter Verheugen gestern mit "Ja" beantwortet. Mit seiner langjährigen Mitarbeiterin Petra Erler kann er so gut, dass er mit ihr zusammen sogar den Sommerurlaub in Litauen verbrachte. Außerdem beförderte er sie auf einen besser dotierten Posten - sie ist jetzt seine Kabinettschefin. Die ehemalige DDR-Staatssekretärin unter Lothar de Maizière (und noch frühere SED-Parteigängerin) sei dafür die "beste Wahl" gewesen, sagte er der Financial Times.

Die Sache mit der Freundin hätte in Brüssel - wo die Sitten locker sind - niemanden groß erregt, hätte Verheugen nicht dieser Tage einen Frontalangriff auf den Einfluss des EU-Beamtenapparats gestartet. Die Funktionäre seien zu "arrogant" und verwickelten die ihnen vorgesetzten Kommissare in einen "ständigen Machtkampf", sagte Verheugen der Süddeutschen Zeitung. Prompt wehrten sich die Beamtengewerkschaften mit dem Hinweis auf des Kommissars wenig transparente Personalpolitik.

Mit seiner Klage über die EU-Bürokratie hat Verheugen zweifellos recht. Unvergessen ist der frühere EU-Generaldirektor Guy Legras, der über den ihm vorgesetzten deutschen Kommissar Peter Schmidhuber schriftlich zu Protokoll gab: "Herr Schmidhuber ist ganz schön frech." Ungeniert setzte Legras mit einer französischen Beamtenseilschaft und an Schmidhuber vorbei durch, dass einer betrugsverdächtigen französischen Firma ein Millionengeschenk gemacht wurde.

Legras wurde dafür nie bestraft - er amtierte auch unter dem Kommissar Verheugen jahrelang munter weiter. Das ist es, was Verheugens Klage so unglaubwürdig macht. Der Sozialdemokrat hätte seit sieben Jahre die Chance gehabt, intern auf eine Reform der
Kommissionsbürokratie zu drängen. Stattdessen schwamm er mit dem Strom und ließ die Dinge laufen. Schlimmer noch: Er widersetzte sich sogar ganz offen einer demokratischen Wahl der Kommissionsspitze, die er nun plötzlich - zu Recht - als Lösung empfiehlt.

Verheugen schreckte nicht einmal davor zurück, mit groben Falschbehauptungen die Rolle der EU-Bürokratie herunterzuspielen, die er jetzt so scharf attackiert. Es seien "Mythen", dass das Brüsseler "Beamtenheer" "seine "Krakenarme bis in die letzte Gemeinde ausstreckt", posaunte er noch vor ein paar Monaten. Mal behauptete er, die EU-Kommission habe weniger Beschäftigte als die Stadt Köln, mal waren es sogar weniger als die Berliner Verkehrsbetriebe. Nur hat Köln gut 15.000 Bedienste (inklusive der beurlaubten), die BVG 11.200 - die EU-Kommission aber 25.000 bis 30.000, je nach Zählung.

Politik ist nach Max Weber das geduldige Bohren dicker Bretter. Aber Verheugen hat - um im Bild zu bleiben - nicht gebohrt. Er hat sogar die Existenz der Bretter bestritten.

Warum dann plötzlich dieser emotionale Ausbruch per Interview? Jeder der Verheugen kennt, weiß wie dünnhäutig der Sozialdemokrat ist. Ist er amtsmüde? Die Spekulationen wuchern, weil die öffentliche Attacke des Kommissars so schlecht zu dem passt, was er selbst bisher politisch unternommen hat. Oder besser gesagt: Was er unterlassen hat.

Es ist wahr, die Bürger Europas bräuchten Brüsseler Kommissare, die die wuchernde Bürokratie unter Kontrolle bringen. Diesen Job müßte Verheugen machen. Aber dafür braucht es politische Profis. Wer eine enge Freundin befördert und sich damit angreifbar macht - der erfüllt dieses Kriterium nicht.