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Deutschlands schönste Inseln, Teil 9: Pellworm Ein Eiland strotzt vor Energie

Auftanken, neue Energie gewinnen - schöne Tourismus-Slogans, die Einöde als Idylle deklarieren. Pellworm ist aber tatsächlich eine energiereiche Insel. Mitten im Watt könnten Sonne und Wind eine erträgliche Einnahmequelle werden. Doch der Fortschritt hat Ladehemmungen.
Von Swantje Dake

Vom Festland aus gesehen, besteht Pellworm aus einem rot-weißen Leuchtturm, ein paar dunkelgrünen Knubbeln vor hellblauem Himmel und Windrädern, deren Rotoren sich emsig im strammen Wind drehen. Die dunkelgrünen Knubbel stellen sich, auf der Insel angekommen, als unspektakuläre Baumansammlungen heraus. Der Leuchtturm und die Windräder sind das Potential der Insel.

Das 42 Meter hohe Gebäude weist Seefahrern den Weg durchs Watt und Heiratswillige lassen sich von Kapitän Wilfried Eberhard trauen. Wären es nur Insulaner, müsste der Kapitän höchst selten die 167 Stufen hinauf. Die Junggesellen und Jungesellinnen im heiratsfähigen Alter unter den 1200 Einwohnern wären rasch vermählt. Pellworm ist eine Pilgerstätte für Eheschließungen geworden. Ein Dutzend Varianten gibt es auf der Insel, um sich das Ja-Wort zu geben: auf den Seehundsbänken, bei einer Wattwanderung, nachts unter Sternenhimmel, esoterisch angehaucht - und eben auf dem Leuchtturm.

Wenig Gäste, viel Kontakt

Aber man muss nicht heiraten oder Teil einer Hochzeitsgesellschaft sein, um nach Pellworm zu fahren. 180.000 Übernachtungen hat die Insel pro Jahr. Deutlich weniger als das nur halb so große Amrum. Die Nachbarn kommen auf mehr als eine Million - bei 12.000 Gästebetten. Gerade mal 2000 Betten sind es auf dem 37 Quadratkilometer großen Pellworm. Liegt es am Sandstrand? Pellworm hat keinen, nur Watt oder Wasser hinterm Deich, je nach Gezeitenstand. Selbst wenn die Insel ausgebucht ist, ist der Kontakt zwischen Einheimischen und Fremden möglich, geradezu unumgänglich. "Hier wird alles auf kleiner Flamme gekocht", sagt Walter Fohrbeck - im positiven wie im negativen.

Wenn der Museums- und Archivleiter Walter Fohrbeck in seinem schwarzen Fiat Cinquicento über die schmalen Inselstraßen fährt, hat er selten beide Hände am Lenkrad. Zeige- und Mittelfinger einer Hand erheben sich alle paar Meter, grüßen. Jeder kennt jeden. Die inseltypische Begrüßung "Moin" wird nicht kurz und zackig gerufen, sondern lang gedehnt. Man hat Zeit und Muße. Fohrbeck ist gebürtiger Rheinländer. Er kam vor 19 Jahren auf die Insel. Ein Inselmuseum sollte aufgebaut werden. Der 53-Jährige mit dem krausen, graumelierten Haar wurde zur personifizierten Chronik der Insel. Aber er kümmert sich auch um die Gegenwart, organisiert Orgelkonzerte in der Alten Kirche mit dem Arp-Schnitger-Instrument, und er blickt fortschrittlich in die Zukunft. Er beteiligte sich seit Jahren an vielen Energiekonzepten und -diskussionen.

Derzeit steht das zweite Erkennungsmerkmal der Insel - die Windmühlen - zur Debatte. Sollen sich die Rotoren weiter leise surrend auf der Insel drehen? "Die sind durch", sagt Fohrbeck. Die jüngsten Windräder stehen seit 1997 auf Pellworm, längst nicht mehr zeitgemäß, längst nicht mehr effizient genug. Dennoch wird auf der Insel doppelt so viel Energie produziert wie verbraucht.

Zufällig zu 100 Prozent öko

Energietechnisch gesehen könnte die Insel autark leben - und zu 100 Prozent öko. Pellworm ist wohl eine der wenigen Gemeinden, die politisch konservativ, aber in der Energiewirtschaft fortschrittlich ausgerichtet ist - und das schon seit Jahrzehnten. Klingt logisch, schließlich liegt Pellworm einen Meter unter dem Meeresspiegel und müsste sich vom steigenden Wasserpegel besonders bedroht fühlen. Nach einer verheerenden Sturmflut 1634 ging die Insel Strand unter, Pellworm, ein Teil der alten Insel, wurde wieder eingedeicht. Bis heute werden die Deiche regelmäßig erhöht, viele Häuser stehen auf Warften, auf kleinen Hügeln, die mit einem Drainagesystem versehen sind, damit das Wasser ablaufen kann. "Stellen Sie sich Pellworm wie eine Salatschüssel vor. Von allein kommt hier kein Wasser mehr raus", so Fohrbeck.

Allerdings war der Beginn des regenerativen Energiezeitalters auf der Insel keine bewusste politische Entscheidung. Sie passierte vielmehr. Als man nach den Ölkrisen der 70er Jahre ein Bewusstsein für die Endlichkeit der Ölvorkommen entwickelte, begannen Unternehmen erste Versuche mit alternativen Energien, suchten Orte mit Platz und vielen Sonnenstunden. Pellworm wurde auserkoren. 1983 wurden die ersten Solarmodule auf der Insel aufgestellt. Die Technik war alles andere als ausgereift, Stück für Stück wurde das Experiment hinterm Deich ausgeweitet. Als sich dazu noch eine Windmühle drehte, stand eins der größten Hybridkraftwerke Europas auf einer der kleinsten Inseln. Eine clevere Kombination, denn wenn Flaute herrscht, scheint meist die Sonne. Ist der Himmel bedeckt, weht der Wind frisch.

Wohin mit der Energie?

Schafe grasen zwischen den Pellwormer Kollektoren, blöken. Die Windmühle dreht sich surrend. Die Windräder sind an der Küste nichts Ungewöhnliches mehr. Zwischen 600 und 800 gibt es, neue Windparks sollen in der Nordsee entstehen. Nicht jedoch auf den Inseln. Dabei könnte Pellworm schon seit Jahren mehr Strom produzieren. Die Ressourcen - Wind und Sonne - sind vorhanden. Eine Biogasanlage wird demnächst von Mais auf Gras umgestellt. Lediglich der Abtransport der gewonnenen Energie ist schwierig. "Es gibt zwei Kabel zum Festland, die sind maximal ausgelastet", so Fohrbeck. Regenerative Energie lohnt sich bislang nur, weil sie stark subventioniert wird und die großen Stromkonzerne verpflichtet sind, sie abzunehmen. Ein weiteres Kabel müsste vom Stromkonzern Eon auf eigene Kosten verlegt werden, womit sich dieser selbst in die Pflicht nimmt, noch mehr teuren Öko-Strom abzunehmen.

Tourismus mit Schaf-Faktor

Das eigentlich so fortschrittliche Energieprojekt der Insel mäandert vor sich hin. Ebenso die Tourismuswirtschaft, die so wichtig wie die Landwirtschaft geworden ist. Die Auswirkungen eines Tourismuskonzept spüren die Urlauber kaum. Gut, es gibt das Comic-Schaf Pelle, das auf Broschüren, Schlüsselanhängern und Schirmmützen grast und dem von der Biogasanlage beheizten Hallenbad den Name "Pellewelle" gegeben hat.

Es sind touristische Einzelkämpfer, die Eigeninitiative zeigen und etwas bewegen. Es gibt Häuser wie das Friesenhaus, eins der wenigen Hotels der Insel. "Wir waren das erste Haus, das zertifiziert wurde", so Ute Lycke. Früher kaufte man sich eine neue Wohnzimmereinrichtung, die alte war noch gut genug für die Urlauber. Mittlerweile werben einige Ferienwohnungen mit einem Fünf-Sterne-Komfort. 70 Prozent der Unterkünfte sind Ferienwohnungen. 40 Prozent sind Stammgäste, Senioren, Großeltern mit ihren Enkeln, junge Familien, immer bodenständig, ohne überzogene Ansprüche. Doch an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns wurde aufgerüstet und selbst auf den nordfriesischen Nachbarinseln hat sich etwas getan. Jetzt überlegt man, ob ein künstlich angelegter Sandstrand die Situation verbessern würde.

Auf der Suche nach Konzepten

"Wir brauchen keinen neuen Strand. Wir brauchen neue Gäste", sagt Ute Lycke, die Friesenhausbesitzerin, entschieden. Sie und ihr neuseeländischer Mann Grant Smith haben vor fünf Jahren das heruntergewirtschaftete Haus am Kaydeich gekauft und saniert. Mittlerweile haben sie 25 Zimmer und Ferienwohnungen in einem Nachbarhaus, direkt unterm Leuchtturm. "Unsere Gästezahlen steigen kontinuierlich", so Lycke. Die Insel muss sich dafür nicht neu erfinden. Grüne Wiesen auf, vor und hinterm Deich, ein kleiner Hafen, schmale, platte Straßen wie gemacht für Fahrrad- und Inlinertouren, zwei Kirchen. Wer die Unaufgeregtheit sucht, findet sie auf Pellworm.

Während im Tourismus noch jeder für sich arbeitet, sitzen in Energiefragen derzeit alle Beteiligten an einem Tisch, zum ersten Mal in den zwei Jahrzehnten. Die Betreibergesellschaft der Windparks, der große Energieversorger, die Politik, die Landwirte. Es gibt Kontakte und Netzwerke zu anderen Inseln, zum Nachbarn Föhr und Amrum, ebenso wie zu der dänischen Insel Samsø und zu weit entfernten Eilanden im Pazifik und im Indischen Ozean. Man will Auszeichnungen und Preise gewinnen und entdeckt, dass das Ökosiegel versilberbar ist. Seit Jahrhunderten trotzen die Insulaner den Naturgewalten ihren Lebensraum ab. Nun könnten sie sogar Profit daraus schlagen.

Lesen Sie auch bei unserem Partner petra.de: "Urlaub auf den Nordseeinseln"

Weitere Infos
Anreise: Bis Nordstrand/Strucklahdungshörn mit dem Auto oder der Bahn, beziehungsweise ab Husum mit dem Bus. Die Fähre fährt bis zu fünf Mal täglich, Hin- und Rückfahrt 18,60 Euro für Erwachsene, bis 14 Jahre 9,60 Euro, Fahrräder 3,50 Euro, Autos werden nach Länge berechnet, daher KFZ-Schein mitnehmen.
Unterkunft: Das Hotel Friesenhaus am Kaydeich hat neben 25 Zimmern auch Ferienwohnungen, Doppelzimmer inklusive Frühstück ab 79 Euro pro Nacht, Ferienwohnungen für zwei Personen 525 Euro pro Woche. Viele Vermieter sind in einem Onlinebuchungssystem zu finden.
Fremdenverkehrsamt: Alle Informationen über die Insel unter www.pellworm.de

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