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Touristen in Baden-Baden Hurra, die reichen Russen kommen

Die Stadt Baden-Baden glänzt vor Reichtum. Das passt wunderbar zu den Bedürfnissen der russischen Oberschicht. Eine 77-jährige Deutsche schlägt daraus Profit.
Von Andres Eberhard

Als hätte Udo Jürgens den Song extra für sie geschrieben: "Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an." Renate Effern ist 77, hat zerzaustes graues Haar und viele Fältchen um die Augen, aber sie ist so lebendig und interessiert wie nie zuvor. Lange Zeit ihres Lebens war sie Hausfrau und Mutter. Doch als die Kinder gingen und die Russen kamen, blühte sie auf. "Da wurde mein Berufsleben erst richtig interessant."

Effern hatte in den sechziger Jahren Slawistik studiert, zu einer Zeit, als man froh war, dass die Russen weg waren. Heute ist sie Vorsitzende der Turgenev-Gesellschaft Baden-Baden, führt pro Jahr rund 150 russische Touristengruppen durch den Ort. Außerdem organisiert sie Kongresse und schreibt Bücher. Zuletzt eines mit dem Titel: "Hurra, die Russen sind zurück."

Seit knapp 20 Jahren kommen immer mehr Russen in die 50.000-Einwohner-Stadt in Baden-Württemberg. In den letzten fünf Jahren hat sich die Anzahl der Übernachtungen von Russen mehr als verdoppelt. 2007 waren es noch 36.000, 2012 schon 79.000.

Luxus-Shopping und große russische Namen

Baden-Baden, das sind prunkvolle Bauten, edle Thermen, eine berühmte Spielbank und Luxushotels. Kurz: Reichtum. Dagegen musste der McDonald's am Leopoldsplatz voriges Jahr schließen. Die Innenstadt ist voll mit edlen Boutiquen, Juwelierläden und teuren Restaurants.

Das passt sehr gut zusammen mit den Bedürfnissen der meist sehr reichen russischen Touristen. Die Gäste aus dem Osten kommen aber nicht nur wegen der vielen Luxus-Shopping-Möglichkeiten, sondern auch wegen der auf sie zugeschnittenen Sehenswürdigkeiten.

All die grossen russischen Literaten - Dostojewski, Turgenjew, Gogol und Tolstoi - machten hier im 19. Jahrhundert Halt. Die Kurstadt galt damals als Sommerhauptstadt Europas, ein Treffpunkt des Adels. Noch heute kennt jeder Russe Baden-Baden. "Nach Berlin ist es in Russland wohl die zweitbekannteste deutsche Stadt", sagt Effern.

Ein Königsschloss als Casino

Vielen Russen gefällt es so gut hier, dass sie bleiben. Das verraten die Namensschilder an den Klingeln in den vornehmsten Gegenden auf den Hügeln oberhalb der Stadt. Aber auch die Zahlen: 840 Russen lebten 2012 in Baden-Baden, damit sind sie die grösste ausländische Bevölkerungsgruppe.

Renate Effern weist mit einer Handbewegung den Weg. Sie lädt zu einer kleinen Stadttour. Erste Station: das Casino. Die Spielbank sieht aus wie ein französisches Königsschloss. Roter Teppich, goldverzierte Wände, chinesische Vasen, Malereien aus der Spätrenaissance sowie riesige silberne Kronleuchter. An so einem vornehmen Ort fühlt sich die russische Elite wohl.

Der Weg zu einer Büste des russischen Dichters Turgenjew führt vorbei an zahlreichen Luxushotels. Vor dem "Dorint Maison Messmer" halten gerade zwei Reisebusse mit russischen Touristen. In der Lobby wird bereits der Sekt ausgeschenkt. Ein Gast ruft im Hineingehen dem deutschen Fahrer auf Russisch etwas zu. Als dieser nicht versteht, übersetzt der Russe mit Handzeichen: Er formt ein Herz.

"Dieses schöne Fleckchen Erde"

Effern marschiert weiter zum Dostojewski-Haus. Hier wohnte der Schriftsteller 1867 für kurze Zeit und schrieb an seinem Roman "Der Spieler". Heute wirbt an der Stelle ein Immobilienmakler mit zahlreichen Aushängen für Villengrundstücke und Penthouses "nur in Bestlagen", auch auf Russisch.

Auf dem Rückweg ins Zentrum geht Effern an einem weiteren Erinnerungsstück an die russische Vergangenheit in Baden-Baden vorbei: Im Gärtchen des Rathauses steht eine kleine Statue von Zarin Elisabeth, welche die Stadt zwischen Ende des 18. Jahrhunderts mehrfach besuchte und befand, dass Baden-Baden einer der schönsten Orte der Welt sei. Einen einzigen Nachteil sah sie. Sie war enttäuscht, dass "dieses schöne Fleckchen Erde nicht in Russland liegt".

Ortstermin bei Igor Rothmann

Heute führen sich die Landsleute der Zarin fast so auf, als ob sie auch diesen kleinen Makel beseitigen wollten. Sie sprechen untereinander Russisch, machen ihre Geschäfte. Es ist niemandem ganz klar, woher sie das Geld für ihre Investitionen haben, ob nicht die russische Mafia dahintersteckt. Doch was die Deutschen denken, das ist den meisten Russen egal. "Viele geben sich keine Mühe, sich anzupassen", sagt Effern.

Eine Ausnahme ist Geschäftsmann Igor Rothmann. Er versteckt sich nicht in einer vornehmen Villa, sondern tritt öffentlich auf und arbeitet eng mit den Behörden zusammen. So war es hauptsächlich sein Verdienst, dass Baden-Baden Partnerstadt von Sotschi ist.

Sehnsucht nach Frieden

Rothmann führt ein auffälliges Geschäft in der Altstadt. "Medizin - Tourismus - Immobilien - Spa", steht darüber geschrieben. Er hat nur "zwei Minuten" Zeit, spricht aber so lange und viel, als hätte er den ganzen Tag frei. "Ich liebe diese Stadt wie eine schöne Frau", sagt er mit russischem Akzent. An den Wänden hängt ein Bild von ihm händeschüttelnd mit Putin.

Rothmann sagt: "Ich habe noch keinen Russen getroffen, der etwas Schlechtes über die Deutschen gesagt hat." Dasselbe fordert er umgekehrt ein. Viele Russen in Baden-Baden wünschten sich von Deutschen nämlich nur eines: ihren Frieden. Mittlerweile lässt man sie tatsächlich in Ruhe. Einerseits, weil die Russen schon lange nicht mehr die einzigen reichen Ausländer in Baden-Baden sind. Vor allem aus dem mittleren Osten kommen immer mehr Touristen und Geschäftsleute.

Andererseits hat man sich in Baden-Baden einfach an die Russen gewöhnt. Die Skepsis ist einem kollektiven Achselzucken gewichen. So drückt es ein Redakteur des "Badischen Tagblatts" aus. Mehr sogar: All die russisch übersetzten Speisekarten, Prospekte, Aushänge, die russisch-orthodoxe Kirche und die russische Hotelkette zeigen: Die Stadt hat sich den Russen angepasst. Nicht umgekehrt.

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