"Is this for sale?", fragt eine junge Spanierin und deutet auf den Obama-Pappaufsteller in Lebensgröße. Nein, der nicht, aber alles andere, antwortet der Ladenbesitzer. Sein Geschäft liegt an der Chicagoer South Michigan Avenue, wenige Meter vom Grant Park entfernt, in dem Barack Obama in der Wahlnacht vor einer Viertelmillion Menschen seine Siegesrede gehalten hat. Sonst werden hier Devotionalien der Chicagoer Sportmannschaften verkauft, doch längst füllen Shirts mit dem Konterfei Obamas die Hälfte der Regale.
Der Grant Park ist eine der Attraktionen auf dem "President-elect Obama Trail" - einer Dreitagestour, mit der das Tourismusbüro Besucher in die Heimatstadt des nächsten Präsidenten locken will. Unter den Sehenswürdigkeiten: das South Shore Cultural Center, in dem die Obamas ihre Hochzeit gefeiert haben, und die Boutique der Designerin Maria Pinto, deren Kleider Michelle Obama gern trägt.
Auch "57th Street Books", das Lieblingsbuchgeschäft der Obamas, steht auf der Liste. Seit der Wahl hat der kleine Laden an der Ecke viel mehr Kundschaft als zuvor. "Das ist großartig", lacht eine der Verkäuferinnen, "endlich haben wir wieder einen Präsidenten, der liest." Die Interviews des künftigen Präsidenten muss die Belegschaft aufmerksam verfolgen, denn wenn Barack Obama dort von einem Buch erzählt, wollen es am nächsten Tag alle kaufen.
The Windy City
Chicago konnte sich bisher nicht mit den schmeichelhaftesten Beinamen schmücken. Schlagzeilen machte die Metropole in den vergangenen Jahren vor allem als "Murder Capital", als Stadt mit den meisten Morden in den USA. "The Windy City" wird Chicago auch genannt - und das nicht nur wegen des windigen Wetters, sondern der Legende nach vor allem wegen der windigen, aufgeblasenen Politiker der Stadt, die nichts als heiße Luft von sich geben. Als "Second City" schließlich sieht sich Chicago stets im Schatten von New York City, und aufgrund sinkender Einwohnerzahlen belegt es mittlerweile sogar nur noch Platz drei der größten Städte in den Vereinigten Staaten hinter Los Angeles.
Zum ersten Mal in der Geschichte Amerikas wird sich Chicago nun als Heimatstadt des Präsidenten bezeichnen dürfen. Nach der Wahl hat Bürgermeister Richard Daley riesige Banner an den Straßenlaternen befestigen lassen: "Congratulations Chicago's own Barack Obama, President-elect of the United States of America". Die "Chicago Tribune" hatte schon zu Wahlkampfzeiten bei Google Maps eine "Obama's Chicago"-Karte eingerichtet und die 22 wichtigsten Stationen aus der Chicagoer Zeit des designierten Präsidenten markiert.
Manch Obama-Fan könnte von der Tour allerdings enttäuscht zurückkehren. Das "Spiaggia", in dem die Obamas unter anderem am Samstag nach der Wahl gespeist haben, ist kein kleiner, gemütlicher Italiener, sondern liegt im zweiten Stock eines Hochhauses an einer viel befahrenen Kreuzung. Und die Eisdiele, vor der Michelle und Barack sich zum ersten Mal geküsst haben, die steht heute leer. Und das rote Ziegelhaus in der South Greenwood Avenue, in dem die künftige First Family wohnt, lässt sich nur aus der Ferne erahnen - der Secret Service hat die Straße abgesperrt. Und Obamas Stammfriseur unterscheidet sich von jedem anderen auch nur durch ein "Obama 08"-Plakat und einen Fernseher, in dem nonstop CNN läuft.
Das Interesse an Chicago wird vermutlich schwinden, wenn Obama die Stadt verlässt, um ins Weiße Haus nach Washington zu ziehen. Aber, so ein Kommentar im lokalen Gratisblatt "RedEye", beinahe aufregender als der Wahlsieg sei die Tatsache gewesen, dass Chicago für eine Nacht der Mittelpunkt der Welt war.
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