Der wahre Stelzenfischer hält natürlich keine Reden. Er schweigt und fischt. Dem wahren Fischer genügen ein paar Worte, er schaut auf eine Frage hin eine Weile in sich, sagt dann einen Satz und verstummt. Weder deklamiert er lauthals, noch rudert er mit den Armen, das ist im Süden Sri Lankas so wie an der Nordsee. Sunil etwa blickt im Morgengrauen schweigend aufs Wasser, um zu sehen, wo die Fische sind. In seiner Bucht in Ahangama sind dunkle Flecken zu erkennen. Kleine Fische, nur ein paar Zentimeter groß, aber in Scharen. Die Beute.
Eine Viertelstunde geht Sunil mal nach links, dann nach rechts. Er taxiert. Sucht den besten Platz. Erst dann nimmt er die Angel, bindet sich den Sarong zum Turban um den Kopf, zündet sich eine Zigarette an und geht los, entweder an den Strand, auf ein flaches Korallenriff oder auf seine Stelze. "Immer da, wo die Fische sind", sagt er. Die nächsten Stunden fallen keine Sätze mehr. Sunil fängt. Geduld ist eine Kleinigkeit.
Ein Dutzend Fische am Vormittag
Die Südküste Sri Lankas ist berühmt wegen der Stelzenfischer. Zwischen Koggala und Weligama, auf knapp 30 Kilometer, ragen in den Buchten die hölzernen Stelzen aus dem Wasser, die "ritipane". Männer wie Sunil hocken ein paar Meter vom Strand entfernt auf den Stämmen, nur eine dürre Querstange bietet eine schmale Sitzgelegenheit. Dort fangen sie morgens und abends Fische, für die der normale Angler und der Durchschnittsfischer keinesfalls aufstehen würde: Sardinen, kleine Makrelen und eine nur wenige Zentimeter große Heringsart. Die Fische sind zudem wenig erpicht darauf, am Haken zu hängen, und zieren sich entsprechend. Die Ausbeute eines Vormittags auf der Stelze kann bloß ein Dutzend sein. Tagesverdienst? Sehr wenige Euro.
Der oft karge Fang und die unbequeme Angelei sind Teil der Faszination, die im Westen verfängt. Auf bizarre Weise wird hier der Natur ein Stück Leben abgetrotzt. Eine mythische Idylle. Ideal für Fotos. Kein Besucher, der eine Kamera hat oder zumindest ein Mobiltelefon, kann deshalb widerstehen. Die Bilder werden als pittoresker Vorzeigestoff mit nach Hause genommen, Belege für einen Urlaub weit weg von der Heimat. Tropenexistenzgefühl.
Auf dem 20-Rupien-Schein von Sri Lanka sind die Stelzenfischer zu sehen. In den Andenkenshops gibt es sie als kitschige Holzschnitzerei samt beweglicher Angel. Prospekte und Reiseführer werben damit. Der Gipfel ist das viertteuerste Dessert der Welt, erfunden in einem Hotel in Galle, das die Stelzenfischer im Logo führt. Die Kreation aus erlesenen Früchten, Irish Cream und Schokolade zeigt einen Fischer, auf dessen ausgestreckter Schokoladenhand ein Edelstein von 80 Karat liegt. Preis: 14.500 Dollar. Man kann sich am Anblick naturgemäß kaum sattsehen.
Das Geschäft seines Lebens
Diese Bildschönheit hat in Koggala und den anderen Orten zu einer verrückten Situation geführt. Es gibt die Stelzenfischer nämlich zweimal. Der wahre Fischer ist schweigsam und zurückhaltend, er fischt zu nachtschlafenden Zeiten und in Buchten, die man suchen muss. Der nicht so wahre Fischer ist ganz anders.
Es ist sechs Uhr abends, der Vollmond hängt schon weiß am Himmel. In der Bucht, die von steinernen Barrieren eingerahmt ist, sitzt inmitten von 35 Stelzen ein einzelner Fischer, er hat eine richtige Angel mit Rolle in der Hand und bewegt sie ohne Anteilnahme. Am Strand steht ein kleines Männchen mit Basecap, als es uns sieht, kommt es gleich auf uns zu. "Where do you come from?", fragt es. Auf die Antwort "Germany" bricht ein Schwall aus dem Männchen heraus, als gelte es, das Geschäft seines Lebens zu machen. Eine deutsche Rede, die Worte kommen schnell und verraten sehr viel über das Stelzenfischerbusiness.
"Ja, heute wenig Fischer, wenn ihr Fotos machen wollt, kann ich drei, vier Leute holen, und ihr könnt Fotos machen. Ja, drei, vier Leute, Fotos machen, gar kein Problem. Heute wenig Fischer hier, im Mai hatten wir 50 Fischer auf den Stelzen. Jetzt Monsun. Aber drei, vier Leute kann ich holen. Ich bin Angler. Aber wir können euch auch mit Boot fahren, raus aufs Meer oder auf den See. Ich bin Sil, ich heiße wie deutsches Waschmittel."
Touristen sind lukrativer
Wir stehen da und schauen aufs Meer und können recht verblüfft erst mal gar nichts sagen. 500 Rupien soll ein einziges Foto mit den drei, vier Leuten kosten, etwa 3,50 Euro. Wenn der einzelne Fischer, der inzwischen mit seiner Angel an Land ist und uns und Sil abwechselnd erwartungsvoll ansieht, noch mal raus auf die Stelzen solle, könne man auch zehn oder 15 Fotos machen, gleicher Preis, erklärt Sil ungefragt. Die Fischer seien alle arm, hätten drei, vier Kinder, die sie ernähren müssten, er selbst habe auch drei Kinder. Weiter die Küste entlang gebe es keine Fischer mehr, falsche Saison, die Weiterfahrt lohne sich überhaupt nicht.
Wir murmeln etwas von "heute nicht fotografieren". Gleich folgt Sils nächster Schwall. "Ich habe in Colombo gelernt, 1994 Ausbildung gemacht, habe Deutsch gelernt, damit ich den Touristen alles erklären kann. Ich war auch ein halbes Jahr in Deutschland, in Hamburg und Bad Segeberg, habe Verwandte da und Freunde. Da drüben ist mein Haus. Beim Tsunami haben wir Glück gehabt, haben, Gott sei Dank, alle überlebt, die Tür des Hauses ist kaputtgegangen, das Meer hat alles mitgenommen, Kleidung, Möbel, alles. Aber wir sind geflohen, bei der zweiten Welle sind wir 700 Meter gerannt, auf einen kleinen Berg. Wir haben großes Glück gehabt. Wollen wir in mein Haus gehen?"
Männer, die gar nicht fischen können
Das Männchen ist ein gewiefter Geschäftsmann. Die Stelzenfischer haben gelernt, dickere Fische zu angeln. Die nämlich stehen unter Palmen und tragen Apparate um den Hals. Will ein Tourist Fotos machen, muss er bezahlen, die Preise schwanken je nach Wunsch und Nachfrage, sind aber höher als die Preise für die Fische. Gerade kommt ein Wagen angefahren, auf der Rückbank sitzt ein Ehepaar, der Mann hat seine kleine Kamera schon gezückt, als die Fensterscheibe herunterfährt. Sil beugt sich zu dem Mann, verdeckt die Szenerie und nennt den Preis. Der Kunde schüttelt den Kopf, man wird sich nicht handelseinig, so fährt der Wagen weiter, zur nächsten Bucht.
Meistens klappt das Geschäft, die Touristen steigen aus den Autos oder Tuk-Tuks aus, machen schnell ein paar Fotos oder drehen einige Sekunden mit der Videokamera. Praktischerweise liegen die Buchten mit den Stelzen fast alle direkt an der Straße. Wo das Fotografieren erwünscht ist, sitzen meist nur ein oder zwei Fischer im Bild, beide bekommen ihren Anteil. Sind es mehr, wird das Kassieren oft schwierig. Einmal sitzen zehn Fischer in einem ganzen Wald von Stelzen. Wir sollten morgens Bilder machen, sagt einer, da würden 40 Fischer da sein. Jeder Mann bekomme 1000 Rupien, also knapp sieben Euro. "Jeder?", fragen wir. "Jeder", ist die Antwort. Die Rechnung betrüge 280 Euro, und der Fischer ist fest überzeugt, dass die Summe in Ordnung geht.
Viele Fischer haben deswegen die Seiten gewechselt. Oder es sitzen Männer auf den Stelzen, die gar nicht fischen können. Das macht schon deshalb nichts, weil in der Regel die Besucher nicht morgens um sechs Uhr oder bei Sonnenuntergang vorbeischauen, wenn die Fische beißen, sondern gegen Mittag oder frühen Nachmittag, wenn die Sonne schön auf das Wasser scheint. Dann sind meist sowieso keine Fische da. Für die Bilder ist dies ja ganz egal. Die Silhouetten der Männer auf den Stelzen zählen, ihre Handlung und Haltung, nicht ihr Sinn und Zweck. Ikonen haben keine eigentlichen Aufgaben. Sie müssen einfach nur sein und gut aussehen. Das ist der Fall. Die wahren Stelzenfischer kennen diese Geschichten natürlich, für die meisten kommt die Darstellerei nicht infrage. "Wir sind Fischer", sagt Sunil mit fester Stimme. Er lässt offen, was genau er in den Stelzenschaustellern sieht, es klingt wenig anerkennend.