Diese Pisten sind seine Pisten. Jede Schneewolke, die er aufstauben lässt, jede Tanne, die er wegkickt mit der Schulter, jede Bodenwelle, die er nimmt wie eine Schanze, sagt: sein Revier. Hier ist Dana Robert Williams zu Hause. Williams, 32, hat ein kaputtes Knie, drei Kreuzbandrisse rechts, Meniskusschaden. Egal. Eisblauer Himmel über Whistler, 30 Zentimeter Neuschnee, da muss er einfach auf die Bretter. Vollgas geben. Es richtig krachen lassen. Williams sagt: "Einmal Racer, immer Racer."
"Es gibt nichts Besseres"
Er kriegt das nicht mehr raus mit dem Wahnsinnstempo, und er kommt hier auch nicht mehr weg. Dana Williams, von 1997 bis 2000 Mitglied der kanadischen Ski-Nationalmannschaft, ist hin und weg von Whistler. "Ich bin viel rumgereist als Profi", sagt er und macht eine ausladende Handbewegung: "Doch schauen Sie, dieses Panorama, der Pulverschnee, nein, da gibt's nichts Besseres auf der Welt." Er legt ein bisschen Schmalz in die Stimme, Williams ist ja auch Geschäftsmann, im Winter gibt er Skikurse, im Sommer organisiert er für reiche Briten Golfreisen nach Whistler.
In zwei Jahren wird die ganze Welt zu Gast sein. Dann finden die Olympischen Spiele in Kanada statt, die größte und wichtigste Wintersportveranstaltung auf dem Planeten - mit Vancouver als Zentrum und dem 120 Kilometer entfernten Whistler als Filiale für die Skidisziplinen.
Aber was heißt schon Filiale? Wer Whistler ein paar Tage erlebt, der spürt, dass hier das Herz der Spiele schlagen wird. Hier, an den Hängen des Blackcomb Mountain und des Whistler Mountain, sammeln sie sich: Crazy Canucks, skiverrückte Kanadier, die die Berge runtersausen, von morgens um acht, wenn das Blau der Nacht noch nicht ganz gewichen ist, bis nachmittags um halb fünf, wenn die Liftwärter rufen: "Last run for today, guys!" Pausenlos heizen sie, ohne sich darum zu scheren, was der Himmel gerade runterschüttet, ob Schnee, Regen oder Hagel. Crazy Canucks haben eine imprägnierte Seele.
Hier gibt es keine Amüsierwut
Irgendwann am frühen Abend fallen sie dann unten im Dorf ein, ins "Merlin's" oder ins "Garibaldi", junge Männer zwischen 20 und 30, glühende Wangen, müde Augen. Sie kippen ein Bier, und dann singen sie los: "Yellow Submarine", "Sweet Home Alabama", "Wonderwall", irgendeiner hat immer eine Gitarre dabei.
Dana Williams kennt viele der Jungs mit Namen. Er mag sie, er führt auch seine Skischüler ins "Garibaldi", meist Geschäftsleute, die eine Gratifikationsreise spendiert bekommen haben. Williams riskiert keine Blamage, denn hier fällt niemand aus der Rolle. Hier gibt es nicht das Auf-Teufel-komm-raus-Saufen, nicht das zwanghafte Auf-den-Tischen-Tanzen, nicht diese Amüsierwut, die man in manchem Alpen-Skiurlaub fürchten gelernt hat.
Whistler hat seinen eigenen Stil. Es geht leiser zu, bedächtiger. Trinken und singen können sie schon, die Kanadier, doch die große Ekstase, die zelebrieren sie lieber auf der Piste. Und das liegt am wunderbaren Naturschauspiel, das Whistler täglich aufführt: Alle paar Minuten gibt es einen neuen Himmel, wie in Irland, die Wolken jagen nur so über die Berggipfel hinweg, immer geht ein leichter Wind, Licht und Schatten, ein ständiger Wechsel. Und die Berge: breit, massiv, monolithisch umringen sie das Dorf; die Rocky Mountains haben nicht das Spitz-Dramatische der Alpen, sie sind dickbäuchiger, gutmütiger. Und sie lassen sich gern den Buckel runterrutschen.
Übers Internet gibt's den Skipass billiger
Anreise
Whistler liegt 120 Kilometer von Vancouver entfernt, dort ist ein internationaler Flughafen. United Airlines etwa bietet ab Frankfurt eine Verbindung mit Umstieg in Chicago für ca. 680 Euro an. Ein Nonstop-Flug ab Frankfurt mit Lufthansa kostet ca. 1140 Euro. Ab Vancouver Airport lässt man sich am besten mit einem Shuttlebus nach Whistler bringen. Die einfache Fahrt im Perimeter- Bus kostet rund 37 Euro; eine Reservierung empfiehlt sich (www.perimeterbus.com). Der Bus verkehrt neunmal täglich zwischen Vancouver Flughafen und Whistler und hält an allen größeren Hotels der Stadt.
Skipass
Eine Tageskarte kostet rund 55 Euro. Bei Kauf übers Internet (www.whistlerblackcomb.com) gibt es bis zu 20 Prozent Rabatt auf den regulären Preis. So ist ein 7-Tage-Pass im günstigsten Fall für 260 Euro zu haben.
Unterbringung
Fairmont Chateau Whistler. Das stilvollste Hotel thront wie eine Kathedrale über der Stadt. DZ ab 270 Euro pro Nacht, www.fairmont.com/ whistler. Four Seasons. Das moderne Haus zählt ebenfalls zur Luxusklasse. DZ ab 265 Euro, www.fourseasons.com/whistler. Whistler Pinnacle Hotel. Hier wohnt man günstiger. DZ für ca. 140 Euro, der Mindestaufenthalt beträgt fünf Tage, www.whistlerpinnacle.com
Führung durchs Skigebiet
Wer mit Ex-Profi Dana Williams auf die Piste will, bekommt den Kontakt über: Best of Both Golf & Ski, Tel.: 001866/295-32 74, www.bestofboth.ca
Tempo, Tempo, Tempo
Vor allem in Whistler. Mit rund 230 Pistenkilometern, verteilt auf ein Areal von 3300 Hektar, ist Whistler Blackcomb der mit Abstand größte Winter-Abenteuerspielplatz Nordamerikas. Man kann schnell verloren gehen in dem ganzen Weiß, vor allem, wenn man einen Guide wie Dana Williams dabeihat, der Tempo, Tempo, Tempo macht, schon wenn er sich die Skischuhe zuklickt - und, kaum auf der Piste, zu einem Punkt am Horizont schrumpft.
Williams liebt die Geschwindigkeit. Jeder lernt sie lieben in Whistler, auch mittelmäßig begabte Skifahrer, es geht nicht anders. Die Pisten sind breit und oftmals menschenleer, und da muss man seinen Carvingski einfach nachgeben, sie riesige Bögen ziehen lassen, sie haben ja ihren eigenen Willen, das spürt man, wenn man schnell und hart auf der Kante fährt.
Dana Williams zieht keine Bögen mehr. Er fährt meist Schuss, einfach geradeaus, und wenn seine Begleiter nicht mithalten können, fährt er auch mal ein paar Hundert Meter rückwärts. Solche Zirkusnummern hat in Whistler nicht nur Dana Williams drauf. Das durchschnittliche skifahrerische Niveau ist sensationell hoch; kaum jemand fährt hier seine 1000-Dollar-Ski spazieren, nur um sich mittags auf einer Berghütte in die Sonne zu legen. Williams sagt: "Wer zu uns kommt, will Skierlebnis pur. Noch ist Whistler kein Angeberstädtchen wie Aspen, Kitzbühel oder St. Moritz."
2010 wird Whistler präsentiert
Noch nicht. Aber das Dorf befindet sich im Wandel, in einer Phase des Übergangs. Das alte, verschlafene Whistler aus den Neunzigern gibt es nicht mehr; das neue, glänzend polierte, das sich 2010 der Welt präsentieren will, ist noch nicht fertig. Gerade bauen sie in Whistler eine Seilbahn, die zwei Skigebiete miteinander verbindet. Ein gigantisches Projekt: Nur vier Türme tragen die Bahn, die in elf Minuten die 4,4 Kilometer zwischen dem Whistler Mountain und dem Blackcomb Mountain überbrücken soll. Drei Kilometer lang verläuft das Seil freitragend - Weltrekord. Ebenso wie die Höhe: Bis zu 415 Meter hoch über dem Tal schweben die Gondeln. Einmalig wohl auch die Baukosten: 35 Millionen Euro.
Die Gondel wird Whistler verändern. Solch ein architektonischer Superlativ zieht an, zigtausend neue Touristen werden kommen, nicht nur Skifahrer und Snowboarder. Die Zukunft hat schon begonnen. Es glitzert und funkelt im Städtchen, immer mehr Boutiquen eröffnen im Zentrum; Mode, Schmuck, Kosmetik, es gibt jede Menge Sushi-Lokale. Whistler weiß genau, welche Gäste es bedienen möchte.
Im Moment sind es aber noch die Ski-Freaks, die Whistler verwöhnt. Und das mit einem charmanten Programm. "Fresh Tracks" zum Beispiel - eine klasse Idee. Für ein paar Dollar kann man sich ein Ticket kaufen, das einen berechtigt, vor der offiziellen Pistenfreigabe schon ein paar Abfahrten zu machen. Um Viertel nach sieben schwebt die Gondel rauf auf den Whistler Mountain. Oben in der "Roundhouse Lodge" gibt es ein spartanisches Frühstück, Müsli, Croissants und lauwarmen Kaffee, doch das Büfett auf dem Tapetentisch interessiert eh keinen. Alle stehen an den Panoramascheiben und starren auf die makellos planierten Pisten. Wann geht bloß das Absperrseil hoch? Wann ruft der Oberboss, endlich: "Ladies and gentlemen, get prepared!"
Was dann passiert, um kurz nach acht, ist wie Formel 1 und das Ende der guten Manieren. Gerangel um den besten Startplatz hinter der Absperrleine, jeder will als Erster auf die noch jungfräuliche Strecke. In der ersten Kurve liegen alle noch gleichauf, dann reißt das Feld auseinander, zehn Jungs vom Schlage eines Dana Williams jagen ins Tal - die anderen geben auf, bremsen, gleiten sanft den Berg hinab, und sehen, was die Raser durch ihre Rennvisiere bestimmt nicht sehen: Whistler im roten Morgenlicht, Krähenschwärme im Formationsflug über dem Kiefernwald, manche Berge nur noch Schattenrisse, so stark ist die Sonne, die von hinten über die Gipfel klettert. So schön, so friedlich wie in dieser Stunde, wird Whistler den ganzen Tag nicht mehr sein.
Und leider auch nicht mehr während dieser Woche. Das Wetter ist launisch und nicht selten eine Strafe. Den "Champagne powder", den staubtrockenen Schnee, den vor allem Gäste aus Europa so lieben, liefert der Himmel nur selten. Das liegt an der Nähe Whistlers zum Pazifik; dort saugen sich die Wolken mit Wasser voll, und wenn es mal nicht klirrend kalt ist, im März oder April zum Beispiel, dann kommt das Wasser eben als Wasser runter. Und das gern mal drei, vier Tage am Stück.
Vielleicht tut es auch Whistler ganz gut, dass das Wetter nicht mitmacht. Dass es den großen Plan der Olympia-Organisatoren sabotiert, das Skigebiet zu einem Wunschlos-glücklich-Resort umzubauen. So werden die Crazy Canucks wohl so schnell nicht aussterben. Glücklich wird im feuchten Whistler nämlich nur, wer eine imprägnierte Seele hat.