Fast immer überraschen Erdbeben die Menschen, wenn sie passieren. Denn konkret vorhersagen lassen sie sich nicht. Wissenschaftlich ist das noch nicht möglich. Inzwischen gibt es allerdings komplexe Frühwarnsysteme, die Erschütterungen schnell erkennen können, wie der Forschungsbereich Erde und Umwelt der Helmholtz-Gemeinschaft erklärt.
Diese funktionieren so: Systeme sind in Erdbebengebieten installiert. Dort erfasst ein seismisches Beobachtungsnetzwerk starke Erschütterungen im Boden. Bei einem Erdbeben entstehen verschiedene Arten seismischer Wellen, darunter eine Kompressionswelle (P-Welle) mit relativ geringer Schwingung und die zerstörerische Scherwelle (S-Welle). Zwischen ihnen liegen nah am Epizentrum wenige Sekunden. "Je weiter man davon entfernt ist, desto mehr Zeit bleibt für einen Alarm. Ist man nah am Epizentrum, ist die S-Welle schon vor diesem angekommen", erklärt Professor Stefano Parolai von der Universität Triest der Nachrichtenagentur DPA.
So warnen andere Länder vor Erdbeben
Software-Plattformen empfangen diese Echtzeit-Signale des Beobachtungsnetzwerkes, verarbeiten sie und senden einen Alarm aus. Somit können etwa Strom- und Gasleitungen abgeschaltet, Züge gestoppt, Schulen evakuiert und gefährliche industrielle Prozesse angehalten werden.
Länder, in denen die Erde häufig bebt, nutzen solche Frühwarnsysteme. Dazu zählen China, Japan und Mexiko. Alle drei Staaten haben zudem mehrere Kanäle, um die Bevölkerung vor den Erdstößen und deren Folgen zu warnen.
Japan
Die Inselnation ist oft von Erdbeben betroffen, auch von starken, wie etwa im Frühjahr 2011. Beinahe täglich kommt es dort zu Erschütterungen, wenn auch oft schwachen. Das dortige Erdbebenfrühwarnsystem – auf Japanisch "Kinkyu Jishin Sokuho" – wird von der Japan Meteorological Agency (JMA) verwendet.
Seismometer messen die S- und P-Wellen. Diese schicken dann die Echtzeit-Signale an die JMA weiter, die darauf Warnungen über Handys, Lautsprecher, Radio und Fernsehen verbreitet.
Im Fernsehen sieht das zum Beispiel so aus: Während des Morgenprogramms im Sender NHK im Jahr 2016 taucht mit einem Klingeln eine Warnung auf den Bildschirmen auf. Sie zeigt das ungefähre Epizentrum des Erdbebens und die betroffenen Präfekturen an. Eine Stimme warnt vor starken Erdstößen. Die Moderatoren wechseln augenblicklich in einen "Erdbebenmodus" und gegeben die Warnungen weiter. Erste Bilder der Regionen sowie die gemessenen Erdbebenstärken werden durchgegeben. Bei diesem Beben erfolgt auch eine Tsunamiwarnung mit einem Geräusch, das wie ein kaputtes Internetmodem klingt.
Wie so eine Erdbebenfrühwarnung im Radio und über Smartphone klingt, zeigt ein weiteres Video bei Youtube von einem Erdbeben in der Region Osaka im Jahr 2018: Ein Autofahrer filmt durch die Frontscheibe. Über das Handy erfolgen ein Alarmton und eine Ansage: "Ein Erdbeben hat sich soeben ereignet!" Über das Radio ertönt dasselbe Klingeln wie im Fernsehen. Kurz darauf wackeln schon die Autos und Stromleitungen.
Die JMA in Japan weist darauf hin, dass die Zeitspanne zwischen der Erdbebenfrühwarnung und den ersten Erschütterungen sehr kurz ist – in der Regel nur wenige Sekunden. Oft werden in den Epizentren der Beben solche Frühwarnungen daher gar nicht erst empfangen. Oft können die wenigen Sekunden aber entscheidend sein. Bus- und Zugfahrer können beispielsweise die Geschwindigkeit verringern oder Bremsen, Ärztinnen können Operationen unterbrechen, um Patienten nicht zu gefährden.
Da Erdbeben in Japan schon beinahe Normalität darstellen, sind viele Japaner darauf eingestellt und wissen, wie sie sich zu verhalten haben. Bei schwächeren Beben bleiben sie oft ruhig. Die JMA informiert in mehreren Sprachen – auch in Englisch, zum Beispiel für Touristen, – wie man sich bei einem Erdbeben richtig verhält.
China
Auch in China sind Erdbeben keine Seltenheit. Tatsächlich herrscht in der Volksrepublik eine hohe Erdbebengefahr, besonders in den dicht besiedelten Gebieten. Peking will daher ein massives Netz an Erdbebenfrühwarnsystemen bauen. 2021 gab die Regierung bekannt, dass ein "landesweites Erdbeben-Frühwarnnetz bis Ende nächsten Jahres in Betrieb genommen" werde. Mehr als 15.000 Überwachungsstationen seien dafür eingerichtet worden.
Menschen in einem Umkreis von mehr als 20 Kilometern um das Epizentrum eines Bebens sollen einige Sekunden vor dem Eintreffen der Erdstöße eine Warnung erhalten.
Satellitenbilder zeigen das Ausmaß der Erdbebenkatastrophe in der Türkei

Diese wird beispielsweise über Handys versendet. Chinesische Mobiltelefone wie Xiaomi, Huawei, OPPO und Vivo sind mit Erdbeben-Frühwarnfunktionen ausgestattet, schreibt die Zeitung "Science and Technology Daily", die offizielle Zeitung des Wissenschafts- und Technologieministeriums in Peking. Eine App sei nicht nötig.
Seit 2013 gibt es schon das ICL-Warnsystem, schreibt die Zeitung "South China Morning Post". Entwickelt wurde es demnach vom Institute of Care-Life in Chengdu, einem Forschungslabor, das nach dem Erdbeben in Sichuan 2008, bei dem mehr als 87.000 Menschen getötet wurden, gegründet wurde. Das System habe seitdem erfolgreich vor mehreren großen Beben in den Provinzen Sichuan und Yunnan gewarnt.
Die Erdbebenwarnungen des ICL können laut "South China Morning Post" sogar rund eine Minute vor dem Erreichen der seismischen Wellen die Menschen auf das Beben vorbereiten. 2019 sei dies bei einem Erdbeben der Stärke 6.0 in Chengdu so geschehen. Das Epizentrum befand sich demnach rund 260 Kilometer entfernt. Auch auf Fernsehbildschirmen sei die Erdbebenwarnung erschienen, inklusive Meldungen, wie stark das Beben ist.
Zum ICL-System gehört auch eine weitere Methode: Der Countdown bis zum Beben. Bei dem Erdbeben in Chengdu 2019 kam dies auch zum Einsatz, wie ein Bericht des Staatssenders CGTN zeigt. Über Lautsprecher zählt eine Frauenstimme die Zeit bis zu den erwarteten Erdstößen herunter, dazwischen ertönt ein Piepen. Am Ende heulen Sirenen. Damit soll den Menschen in der betroffenen Region Zeit gegeben werden, sich in Sicherheit zu bringen.
Mexiko
In Mexiko existiert das Erdbebenwarnsystem Sasmex – eine Abkürzung für Sistema de Alerta Sísmica Mexicano. Sasmex entstand 2005 aus einem Zusammenschluss zweier kommunaler Warnsysteme und verfügt über 97 seismische Sensoren, die in den seismischen Regionen der Pazifikküste und im Süden des transmexikanischen Vulkangürtels in mehreren Bundesstaaten verteilt sind. Das System kann mit seinen Warnungen rund 25 Millionen Menschen erreichen und sie mehrere Sekunden vor dem Eintreffen der Erdstöße warnt.
Die Erdbebensensoren können die mögliche Stärke des Erdbebens innerhalb von Sekunden einschätzen. "Je nach Entfernung zum Epizentrum und den ersten Erfassungen der Stationen bietet es eine Zeitspanne von 20 bis 120 Sekunden vor dem Eintreffen eines Erdbebens", schreibt das mexikanische Zentrum für seismische Instrumentierung und Registrierung (CIRES). Die Zeitspanne hänge von der Entfernung des Epizentrums ab.
Über Sirenen wird seit 1993 ein einzigartiger Warnton versendet, der für alle wiedererkennbar sein soll. Neben den Sirenen gibt es weitere Verbreitungskanäle. Dazu gehören mehrere Radio- und Fernsehsender, spezielle Radioempfänger, Funkempfänger und öffentliche Lautsprecher.
In Mexiko-Stadt etwa fangen die Sirenen ab einer Erdbebenstärke von mindestens 5 an zu heulen. Dann erfolgen auch Warnungen über TV und Radio. Dies kann beispielsweise so aussehen wie in diesem Video: In einer Fernsehsendung sind die Sirenen zu hören. Auf den Bildschirmen wird die Erdbebenwarnung eingeblendet, der Moderator warnt seine Zuschauer. Wenig später ist das Erdbeben in Mexiko-Stadt live zu sehen.
Sasmex habe mehr als 9800 Erdbeben korrekt festgestellt und vor mehr als 111 gewarnt, heißt es in einem Fachartikel im Magazin "Frontiers in Earth Sience".
Quellen: Nachrichtenagentur DPA, Japan Meteorological Agency, Regierung China, "Remote Sensing", "Science and Technology Daily", "South China Morning Post", "Frontiers in Earth Sience", CIRES, BBC, Youtube