Aus England kennt man all diese kuriosen Fälle von Orten, die man komplett anders ausspricht, als man sie schreibt: man denke nur an Worcester (spricht sich: "Wuhster"). Eine amüsante Eigenart unserer britischen Freunde? Nein – auch viele deutsche Ortsnamen werden ganz anders ausgesprochen, als ihre Schreibung vermuten lässt. Das liegt einerseits an historischen Lautentwicklungen, andererseits an regionalen Besonderheiten, die sich über Jahrhunderte erhalten haben. Eine sprachliche Stolperfalle für Ortsunkundige!
Der niedersächsische Ort Syke etwa wird korrekt "Sieke" ausgesprochen. Die Schreibweise verweist auf niederdeutsche Wurzeln, denn "Siek" bezeichnet dort feuchte Senken oder kleine Bachtäler. Und auch das norddeutsche Jever, bekannt durch das gleichnamige Bier, überrascht: Es wird korrekt "Jefer" ausgesprochen. Das oft weich wiedergegebene V ist in diesem Fall eigentlich ein scharfes. Etwas weiter südwestlich wird es nicht minder interessant: Bad Oeynhausen spricht sich Bad "Öhnhausen".
Ortsnamen, die Nicht-Eingeweihte verwirren
Wir haben den Linguisten Simon Meier-Vieracker, Professor an der Technischen Universität Dresden und auf Instagram als "Fußballlinguist" aktiv, gefragt, warum es in Deutschland zu diesem Auseinanderdriften von Schreibweise und Aussprache gekommen ist. "Ortsnamen sind meist sehr alt, und sie sind als Eigennamen, die nur für eben genau diesen einen Ort Verwendung finden, oft stabiler als normale Wörter", erklärt er.
"Hinzu kommt, dass sich in Ortsnamen oft dialektale Prägungen spiegeln, die sich gegenüber den Standardisierungen der Sprache widerständig zeigen. Das heißt: Die Ausspracheregeln, die wir für das Standarddeutsche kennen, gelten für die Ortsnamen oft nicht, und wo Ortsunkundige sie trotzdem anwenden, kommt es dann zu Fehlern."
Spannende sprachliche Entwicklungen
Auch für das oft auftauchende, irritierende E, das man nicht mitspricht, hat er eine Erklärung: "Das ist das sogenannte Dehnungs-E, das im heutigen Standarddeutschen nur noch nach I vorkommt, sich aber in Eigennamen erhalten hat. Sie werden nicht gesprochen, sondern zeigen (wie das heutige H nach Vokalen) nur die Länge des vorangehenden Vokals an. Dieses E ist ein Erbe der mittelniederländischen-niederrheinischen Schreibtradition."
Ein markantes Beispiel ist Oer-Erkenschwick, dessen "Oer" wie "Ohr" ausgesprochen wird. Der Name geht aus dem mittelhochdeutschen "ôr" ("Ufer, Rand") hervor. Genauso irreführend ist Soest, das entgegen der Schreibung schlicht "Sohst" heißt. Auch Coesfeld folgt dieser Tradition und wird "Kohsfeld" ausgesprochen. Und Troisdorf bei Bonn schließlich heißt eigentlich "Trohsdorf": "Das Dehnungs-I ist eher in südlicheren Teilen des Rheinlands, vor allem rund um Köln gebräuchlich, ist aber auch ein Erbe älterer Schriftsprachstufen", erklärt Meier-Vieracker.
Faszination Ortsnamen
Besonders kurios ist Owen bei Stuttgart. Das Örtchen mit der englisch anmutenden Schreibweise spricht sich "Auen" aus. Grund ist der Name des Adelsgeschlechts von Ouwen, aus dem sich die regionale Aussprache bis heute erhalten hat.
Die Beispiele zeigen: Wer Deutschland bereist, begegnet einer lebendigen sprachgeschichtlichen Landkarte. Ortsnamen sind oft sehr alt und ihre Geschichte ist manchmal überraschend spannend.