Wein aus Österreich Wiener Weinwunder

Von Robert Kropf
Der "Gemischte Satz" ist zur Spezialität geworden
Der "Gemischte Satz" ist zur Spezialität geworden
© Colourbox
Einst sorgte er für Kopfweh, heute wird er in Sterne-Restaurants serviert: Der Wiener Wein ist mit Verspätung im neuen Qualitätsjahrtausend angekommen. Und mit ihm Heurigenlokale, die auf Design setzen statt auf Schrammelkitsch.

Kein altes Weinfass im Gastzimmer, kein Plastikweinlaub an der Wand, keine rotkarierten Tischdecken, weg mit der verstaubten Gemütlichkeit: Hans Peter Göbel mag es nüchtern. Göbel ist Winzer, Heurigenwirt und Architekt. "Ich konnte das alles nicht mehr sehen, ich habe den ganzen Krempel rausgeworfen", sagt er. Dementsprechend sieht seine Weinschenke in Stammersdorf bei Wien aus: klare Formen, schnörkellos, weiße Wände, inszeniertes Licht für preisgekrönte Weine - ein Prototyp des neuen Wiener Heurigen. Mittlerweile nennt man derartige Einrichtungen schon Lounge-Heurige. Eine erstaunliche Karriere für eine Gattung von Gaststätten, der man nachsagt, sie reiche allenfalls zum Abfüllen "geschmackloser" Gäste mit saurem Wein und fetttriefendem Selbstbedienungsbüfett für Busgruppen.

Ein paar Kilometer weiter: Gerade noch kurvte Fritz Wieninger auf seinem Traktor durch die noblen Döblinger Gassen, da, wo der Geldadel der Stadt wohnt. Jetzt steht er vor seinem vier Hektar großen Weinberg in bester Lage am Nussberg. "Eine Stunde brauche ich mit dem Traktor durch den dichten Stadtverkehr", erzählt er. Wieninger ist ein Wein-Wahnsinniger. In den 1990er Jahren pachtete er diesen Rebgarten, zu einer Zeit, als der Wiener Wein gern mal für Gänsehaut und Kopfweh sorgte. Ihn zu trinken hatte damals etwas von Boxkampf: Nach zwei oder drei Runden gab es die ersten Wirkungstreffer, nicht selten endete der Besuch beim Heurigen dann mit einem K. o. "Die Betriebe boomten trotzdem, und es gab keinen Anlass, an der Qualität des Weins zu schrauben", erinnert sich der Winzer, "der Sauertopf verkaufte sich wie von selbst." Das blieb nicht immer so.

Gute Wein-Adressen für Wien

Wahrscheinlich ist Wien der einzige Weinbauort der Welt, der eine U-Bahn hat. Im Stadtgebiet werden von 300 Winzern auf etwa 700 Hektar Reben angepflanzt.
Hier können Sie den Gemischten Satz probieren:
Design-Heuriger Rainer Christ
Modern, Ausschank eigener Weine, Amtsstraße 10-14, 1210 Jedlersdorf, Tel.: 01/292 51 52.
Architekturheuriger Hans Peter Göbel Cooles Ambiente, preisgekrönte Weine. Stammersdorfer Kellergasse 151, 1210 Wien, Tel.: 01/294 84 20.
Buschenschank in Residence Im Kamaldulenserhof, Sieveringer Straße 170, 1190 Wien. Nur gelegentlich geöffnet, Termine findet man unter unter www.jutta-ambrositsch.at
Tel.: 0664/500 60 95.
Sirbu Schöner Heuriger mitten im Weinberg, mit Aussicht auf Wien. Kahlenberger Str. 210, 1190 Wien, Tel. 01/320 59 28.
Do & Co Luxushotel am Stephansdom mit schönster Aussichtsterrasse der Stadt. Stephansplatz 1, 1010 Wien. Tel.: 01/24 188.
Restaurant Steirereck,
2 Michelin-Sterne, vier Hauben. Steirereck im Stadtpark, 1030 Wien, Tel.: 01/713 31 68.
Szenebars mit Wien-Wein:
Wieno Weinbar ausschließlich mit Weinen von Wiener Winzern. Lichtenfelsgasse 3, 1010 Wien,
www.wieno.info
Vinothek "Unger & Klein", Gölsdorfgasse 2, 1010 Wien.
www.ungerundklein.at
Wein & Co Bars zum Beispiel am Stephansplatz (Jasomirgottstraße 3-5), am Wiener Naschmarkt, am Schottentor. Gibt es aber auch in Salzburg und Graz. www.weinundco.at
Allgemeine Wien-Infos: Wien Tourismus, 1020 Wien, Tel.: 0043/1/245 55, www.wien.info

Wien, 2009: Die Zahl der Heurigen ist massiv gesunken, nur noch rund 150 der ursprünglich 300 haben "ausgesteckt", also geöffnet. Fritz Wieninger dagegen wurde in der städtischen Weinszene zur treibenden Kraft. Längst ist er international anerkannt, er war einer der ersten, die mit neuen Sorten, mit temperaturkontrollierter Gärung und Barriqueausbau experimentierten. Wieninger widmet sich auf seinen insgesamt 35 Hektar vor allem der Renaissance des Wiener "Gemischten Satzes". Dabei wachsen die Rebensorten durcheinander in einem Weingarten. In seinem Weinberg stehen zum Beispiel zur frühen Reife neigende Sorten wie Weißburgunder und Neuburger neben spätreifenden Reben, die viel Säure mitbringen, etwa Riesling oder Grüner Veltliner. Dazu kommt meist noch der Traminer. "Die Trauben werden zusammen geerntet und verarbeitet", sagt Wieninger. "Anders als bei einer Cuvée, bei der die Weine sortenrein vergoren und dann verschnitten werden, findet hier die Vermählung schon in der Natur statt." Damit wird jeder "Gemischte Satz" in seiner Zusammensetzung zu einem Unikat - so einzigartig, dass ihn die Slow-Food-Organisation als schützenswertes Produkt aufgenommen hat. Wieninger ging noch einen Schritt weiter. Gemeinsam mit den Winzern Richard Zahel, Rainer Christ und Michael Edlmoser gründete er die Gruppe "Wien-Wein": Die vier setzten neue Qualitätsstandards und machten Spitzenprodukte. Sie starteten eine Imageoffensive, veranstalten Workshops und Weinproben, um mit dem Sauertopf-Klischee aufzuräumen.

Die Verkaufszahlen steigen

Mit Erfolg: Ihre Weine werden inzwischen in 29 Ländern verkauft. Durch den "Gemischten Satz" haben sie in Österreich Verkaufszuwächse von 65 Prozent erzielt. Ingesamt vertreibt Wien-Wein schon mehr als 600.000 Flaschen im Jahr - 100.000 davon allein in der österreichischen Spitzengastronomie. Hätte man vor Jahren beim Sommelier danach gefragt, wäre man für unzurechnungsfähig erklärt worden. Heute ist er beliebt, auch in der City: Anfang des Jahres eröffnete "Wieno", die erste Weinbar in Österreichs Hauptstadt, die ausschließlich Wiener Gewächse ausschenkt - insgesamt 60 verschiedene Weine von 18 Winzern.

Peter Uhler sitzt vor seinem kleinen Schrebergartenhaus, er trinkt einen Riesling, Marke Eigenbau. Im Hauptberuf ist er Musiker, er spielt die erste Geige im Radiosymphonieorchester Wien und gibt den Ton bei den "Neuen Wiener Concert-Schrammeln" an. Uhler zählt zu den rund zwei Dutzend Quereinsteigern in der lokalen Winzerszene. "Ich habe ein kleines Gartenhäuschen mit Blick auf den Nussberg geerbt, bald war mir das bloße Hinsehen zu wenig." Vor sechs Jahren begann er einen kleinen Weingarten am Nussberg zu bewirtschaften. Uhler studierte Fachliteratur, nahm an Kursen teil und lernte mit einem Minitraktor den Boden zu bearbeiten. Mittlerweile sind seine Weingärten am Reisenberg und am Nussberg eineinhalb Hektar groß, sein Schrebergartenhäuschen baute er in eine moderne Garagen-Winery um. Peter Uhler möchte "möglichst alles im Ablauf bis zur Weinwerdung selbst machen", das ist sein Ehrgeiz.

Einen ähnlichen Weg ging Jutta Ambrositsch. Sie arbeitete als Werbegrafikerin, bevor sie zur Wiener Winzerin wurde. Ambrositschs Sortenspektrum umfasst einen "Gemischten Satz" aus einem Uraltweingarten in Grinzing, Riesling und Grünen Veltliner von Reisenberg und Nussberg, knapp zwei Hektar werden von ihr bearbeitet. Ambrositsch hat sich mit drei Kollegen zu den "Wiener Orchideen-Winzern" zusammengeschlossen. Warum gerade Orchideen? "Weil wir unsere Weingärten pflegen wie andere die empfindlichsten Blumen", sagt die junge Frau Ambrositsch.

Neue Weingläser

Dann gibt es Quereinsteiger, die gleich ganz groß starten: Hans Schmid zum Beispiel, Exwerbeguru, Verleger und Millionär. Er besitzt mittlerweile 50 Hektar und die beiden Traditionsweingüter "Mayer am Pfarrplatz" und "Pfarrwirt". Aus Letzterem, einem der ältesten Gasthäuser Wiens, machte er mit viel Aufwand und Geld ein modernes Toprestaurant, in dem er seine prämierten "Gemischten Sätze" auch glasweise ausschenkt.

Die Qualitätsoffensive hat weitere Folgen: "Trinkservice No. 280 - Wiener Gemischter Satz" heißt eine neue Glasserie, sie ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem Traditionsglasunternehmen Lobmeyr, der WienWein- Gruppe und dem österreichischen Design-Duo Polka, Monica Singer und Marie Rahm. Viele gute Gespräche und Verkostungen führten zur Kreation zweier Weingläser, eines für Wiener Weißweine, eines für Rotweine. Daraus trinken kann man zum Beispiel bei Rainer Christ, der seinem Heurigen ebenfalls eine Frischzellenkur verpasst hat. Mit dem Resultat, dass nach der Renovierung mehr Gäste kamen als vorher, vor allem junge. Christ baute mit dem Architektenteam "Raum-Werk-Stadt" rund um den ehrwürdigen Heurigen in Jedlersdorf ein modernes Weingut aus Holz, Naturstein und Sichtbeton. Der Verkostungsraum würde auch in ein Design-Hotel passen, der Barriquekeller ist durch ein geschickt angeordnetes Sichtfenster von außen einsehbar. Darin lagert Christ den "Bisamberg, Alte Reben", einen der besten "Gemischten Sätze" der Stadt, den Riesling "Alte Reben" und die rote Cuvée "Mephisto".

Zurzeit ist Orchideen-Winzerin Jutta Ambrositsch im Stress. Schließlich hat ihr Heuriger wieder geöffnet: In der Sieveringer Straße holt die junge Frau zum Beispiel den Kamaldulenserhof aus dem Dornröschenschlaf. "Buschenschank in Residence" nennt sie ihr Projekt: Sie mietet diesen oder auch andere seit Langem geschlossene Heurige wochenweise, schenkt dort ihre eigenen Weine aus und serviert dazu einfache Speisen - immer in bester Qualität. Ein Heuriger im Retro-Design sozusagen - simpel und dadurch ganz wunderbar modern.

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