Sir Alexander Chapman Ferguson wird an Silvester 69 Jahre alt. 23 lange Jahre ist der Schotte im Amt, aber eine United-Elf wie beim 4:0-Auswärtssieg gegen West Ham United am Samstag dürfte er noch nie gesehen haben: "Totaler Fußball" war das in der Schlussphase, zumindest was die Positionswechsel in der Defensive anging.
Patrice Evra (1,73 Meter), der etatmäßige Linksverteidiger, gab in der Zentrale "den kleinsten Manndecker der Welt" (Ferguson); für ihn war Routinier Ryan Giggs auf die Außenbahn der Viererkette gerückt. Mittelfeldballverteiler Michael Carrick spielte den zweiten Innenverteidiger. "Ich bin nicht gerade der neue Rio Ferdinand", sagte der 28-Jährige, "aber es hat Spaß gemacht. Man hat von da hinten eine ganz neue Sicht auf das Spiel." Eine ungewöhnliche Perspektive genoss auch der vierte Mann in dem experimentellen Quartett: Der ansonsten ebenfalls in der Zentrale werkelnde Darren Fletcher durfte sich im Upton Park als rechter Verteidiger versuchen.
Die Behelfsabwehr bestand den Test gegen harmlose "Hammers" und muss heute auch in Wolfsburg auflaufen (20.45 Uhr, live auf stern.de und bei Sky). Nachdem sich der Serbe Nemanja Vidic nicht rechtzeitig von einer Grippe erholt hat, verfügt Ferguson über keine seriösen Alternativen mehr im Kader. Eventuell darf das belgische Talent Ritchie De Laet, 21, verteidigen. Ferdinand, Wes Brown, Jonny Evans, John O'Shea, sowie die brasilianischen Zwilllinge Rafael und Fabio fehlen allesamt verletzt. Torhüter Edwin van der Sar steht wegen einer Knieverletzung auch nicht zur Verfügung, der Niederländer wird von Tomasz Kuszczak ersetzt.
"Wolfsburg hat ein bisschen verrückte Vorstellungen"
"Wir wollen in Deutschland gewinnen und Gruppenerster werden", sagt Ferguson ungeachtet der vielen Ausfälle. Wie wenig ernst es dem Trainer mit diesem Vorhaben ist, sieht man am Aufgebot: Die Stürmer Michael Owen und Dimitar Berbatow ließ er zu Hause, dafür kamen Reservisten wie Oliver Gill, der 19-jährige Sohn des United-Geschäftsführers David Gill, mit. Der Verteidiger wurde vor Beginn der Champions League nicht bei der Uefa gemeldet, bekommt aber wohl eine Sondergenehmigung. "Wir können froh sein, dass wir uns in dieser schweren Gruppe vorzeitig qualifiziert haben", sagt Ferguson, der bereits an das wichtige Heimspiel gegen Aston Villa am kommenden Samstag denkt.
In der Liga haben die "Red Devils" nach Chelseas 1:2-Niederlage bei ManCity den Rückstand auf den Tabellenführer auf zwei Punkte verkürzt. Armin Vehs Elf kann also durchaus optimistisch in die Partie gehen: Eine bessere Chance, ManU zu besiegen, wird diese Saison keine europäische Mannschaft mehr bekommen.
Die Misere in der Abwehr hat aus Sicht des englischen Meisters einen angenehmen Nebeneffekt: Ferguson wird so die Gelegenheit bekommen, Edin Dzeko genauer zu begutachten. United bestätigte am Wochenende ungewöhnlich offen das Interesse am bosnischen Stürmer, der beim 1:2 des Bundesligisten im Old Trafford das Tor für die Wolfsburger erzielte und mit einer starken Leistung auffiel. "Er gehört zu den Spielern, die wir uns anschauen", sagte Assistenztrainer Mike Phelan. Vielleicht will Ferguson aber auch nur künstlich den Preis hochtreiben, damit die Rivalen vom FC Arsenal nicht zum Zug kommen - Arsène Wenger braucht dringend Verstärkung in der Offensive und ist ebenfalls ein Bewunderer Dzekos. "Wolfsburg hat ein bisschen verrückte Vorstellungen, was die Ablöse betrifft", hat der Franzose gesagt. Falls Fergusons ungewöhnliche Viererkette heute nicht hält und der VfL ins Achtelfinale einzieht, dürfte die Preisvorstellung noch etwas verrückter werden.
Diesen Text haben wir für Sie in der Financial Times Deutschland gefunden.