Die Krone der Turn-Königin Swetlana Chorkina hat in Amsterdam Kratzer bekommen. Mit versteinerter Miene bahnte sich die russische Diva nach ihrem verpatzten Mehrkampf bei den Europameisterschaften den Weg durch die Journalisten, wortlos ignorierte sie jeden Interviewwunsch. Nachdem sie zum Auftakt den nach ihr benannten Sprung "Chorkina II" nicht in den Stand gebracht hatte, war der Traum vom EM-Rekord schnell ausgeträumt. Die 25- Jährige hatte damit die große Chance verpasst, im letzten Jahr ihrer langen Erfolgskarriere zum vierten Mal in Serie Europameisterin im Vierkampf zu werden - ein Kunststück, das bislang niemand schaffte.
Nach dem starken Mehrkampf in der Team-Entscheidung war die beste Turnerin des zurückliegenden Jahrzehnts optimistisch, trotz einer gerade überstandenen Fersen-Verletzung auch in Amsterdam vor begeisterten 6200 Fans dominieren zu können. Doch in der Stunde der Entscheidung stahlen ihr zwei 16-Jährige die Show. Dabei wurde Daniela Sofronie aus Rumänien schon vorzeitig als Siegerin gefeiert, ehe ihr die Ukrainerin Alina Kozich mit einer tollen, allerdings aber etwas zu hoch bewerteten Boden-Übung den EM-Titel in letzter Sekunde entriss. "Ich war froh und dachte, jetzt hätte ich Silber sicher", gab Kozich später zu, von der 9,462-Wertung überrascht zu sein, mit der sie die Rumänin noch mit der Winzigkeit von 0,038 Punkten abfing.
An Ausstrahlung nicht zu übertreffen
An Ausstrahlung nicht zu übertreffen war aber wiederum Chorkina, die mit Platz vier zufrieden sein musste. Jedoch wunderten sich viele Turn-Fans über die Figur der spindeldünnen Russin, um die seit Jahren Magersucht-Gerüchte kursieren. Kaum jemand geht davon aus, dass die 1,64 m große Dame aus Belgorod noch jene 47 Kilo wiegt, mit denen sie in der offiziellen Porträt-Kartei des Weltturnverbandes FIG geführt ist. "Sie überragt die Konkurrentinnen um einen Kopf. Da ist es ihre einzige Chance, ihr Gewicht zu reduzieren, um mithalten zu können", meinte die deutsche Cheftrainerin Petra Nissinen.
Deutschland unter "ferner liefen"
Ihr eigenes Team gab ihr nur wenig Grund zur Freude. Einziger Lichtblick war das Erreichen des Sprung-Finales durch Yvonne Musik aus Bergisch-Gladbach, die damit lange Phase der Erfolglosigkeit beendete: Die 18-Jährige ist die erste Deutsche seit 1990, die in ein Geräte-Endkampf einzog. Obwohl die EM nicht als Qualifikation gilt, hat Musik damit doch einen Pluspunkt im Kampf um die zwei Olympia- Plätze gesammelt. Lisa Brüggemann hingegen plagte sich seit Tagen mit einer schmerzhaften Fersenprellung, musste am Balken wichtige Elemente auslassen und patzte zwei Mal am Boden. So blieb der Kölnerin als bester Deutschen nur der 16. Rang im Mehrkampf-Finale. "Wir hatten uns mehr erhofft", gestand Nissinen und bezog das vor allem auf den blamablen 12. Platz in der Team-Wertung.