Annika ist aufgrund familiärer Probleme auf der Straße gelandet, näher möchte die 19-Jährige aus Berlin nicht auf ihre Situation eingehen. Sie hat zwar einen Schlafplatz in einem betreuten Wohnheim, aber dort fühlt sie sich nicht wohl. "Da sind lauter alte Frauen, ich gehöre da nicht hin", sagt die junge Frau mit den kurzen aschblonden Haaren und dem weichen Gesicht. Seit vier Jahren wird Annika von Straßenkinder e.V. betreut. Streetworkerin Victoria Utri erinnert sich noch daran, wie sie den 15. Geburtstag von Annika in der Anlaufstelle in Berlin-Friedrichshain gefeiert haben.
Die Gründe, warum Jugendliche auf der Straße landen, seien vielfältig, erklärt Sozialarbeiterin Utri: marode Familienverhältnisse, keine Hoffnung. Doch auf der Straße ist es gefährlich, vor allem nachts müssen junge Frauen aufpassen. Annika wurde bereits einmal mit einem Schlagstock am Kopf verletzt, weil sie eine Freundin in einer Drogensache schützen wollte. "Hätten meine Freunde nichts mitbekommen, wäre ich in der Nacht vielleicht verblutet", sagt sie.

Spatenstich für die "Butze"
Deshalb freut sich Annika, dass sie an dem offiziellen Spatenstich der "Butze" teilnehmen konnte. In Berlin-Lichtenberg soll in den nächsten zwei Jahren ein Haus mit sieben Etagen und rund 40 verschiedenen Wohn- und Schlafplätzen in Form Mikroapartments für Notübernachtungen entstehen. "Hier bekommen wir dann endlich einen Schlafplatz, feste Ansprechpartner, jemanden zum Reden und Ausheulen. Man kriegt öfter was zu essen und muss nicht mehr schnorren", sagt Annika.
Insgesamt 19 Millionen Euro wird das bundesweit einmalige Projekt kosten. Finanziert wird es ausschließlich durch Spenden – auch von der Stiftung stern, die Straßenkinder e.V. seit Jahren eng begleitet. Zum Spatenstich haben sich Spenderinnen und Spender in der Baugrube versammelt, darunter auch Birgit und Thomas Rabe (Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann und Vorsitzender der Geschäftsführung von RTL Deutschland, wozu auch der stern gehört).
Ilka Bessin, bekannt geworden durch ihre Kunstfigur "Cindy aus Marzahn", unterstützt Straßenkinder e.V. seit Jahren, sie sorgt für Aufmerksamkeit bei dem Thema Obdachlosigkeit und will auch weiter "die Klappe aufmachen", wie sie sagt. Bundesminister a.D. Ronald Pofalla setzt sich ebenfalls für Straßenkinder e.V. ein.

6500 Kinder und Jugendliche sind obdachlos
In Deutschland leben aktuell mindestens 6500 Minderjährige auf der Straße. Je nach Jahreszeit mehrere hundert davon in Berlin. Wahrscheinlich ist die Dunkelziffer aber noch viel höher. "Die 'Butze' soll diesen notleidenden Jugendlichen eine Perspektive geben und ihnen den Weg in ein selbstständiges Leben zeigen", sagt Eckhard Bauman, der Vorsitzende des Vereins Straßenkinder.
Die drastische Zunahme der Jugendobdachlosigkeit und die beiden stark überlaufenen Anlaufstellen des Vereins machen deutlich, wie dringend die "Butze" benötigt wird. Bisher schaffen es die Mitarbeiter des Vereins pro Jahr 40 bis 60 Jugendliche von der Straße zu holen, in Zukunft könnten es bis zu hundert werden, hofft Baumann.
Eröffnung fürs Frühjahr 2025 geplant
Auf der Fläche von rund 3400 Quadratmetern soll es neben Schlafplätzen, eine Wärmestube, eine Großküche, Büros für Sozial- und Rechtsberatung, Werkstätten, Duschgelegenheiten, Waschräume, eine Kleiderkammer sowie eine Basisstation für Streetwork geben. Im Frühjahr 2025 wird die "Butze" hoffentlich eröffnet. Annika will weg von der Straße, "nach vorn kommen" wie sie sagt. Und es hoffentlich irgendwann allein schaffen.
Die Liste der finanziellen Unterstützer des Bauvorhabens ist lang. Neben der "Birgit und Thomas Rabe Stiftung" und der Stiftung RTL – Wir helfen Kindern e.V. finden sich etliche weitere Stiftungen sowie zahlreiche Klein- und Großspender.
19 Millionen Euro sind sehr viel Geld, daher werden weiterhin Spenden für den Bau der "Butze" benötigt..