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Dr. Elke Vesper zum Frauentag "Sich aufs Sofa zu setzen und zu denken: 'Ich bin als zarte Frau geboren', wird nichts ändern"

Dr. Elke Vesper hat sich ihr Leben lang weitergebildet, das ist nur eine Facette ihrer Art von Neugier
Dr. Elke Vesper hat sich ihr Leben lang weitergebildet, das ist nur eine Facette ihrer Art von Neugier
© Lena Jacobsen
Beim Frauentag, Internationalen Frauentag, Weltfrauentag stehen zwei Themen im Vordergrund: Gleichberechtigung und gerechte Gehälter. Seit mehr als 110 Jahren. Ähnlich wie beim Klimawandel zeigen sich die Fortschritte in der Politik nur seeehr laaangsaaam – wenn überhaupt. Mit dem Blick auf ältere Frauen hat Elke Vesper dem lahmen Gaul nun neuen Schwung verliehen.

Vier Jahre lang hat Elke Vesper Gespräche mit Frauen im Alter zwischen 60 und 100 Jahren geführt, es wären noch viel mehr geworden, wäre nicht die Corona-Pandemie dazwischen gekommen. So aber haben es immerhin 18 von ihnen in ihr neuestes Buch geschafft, die sie alle in Europa getroffen hat. Vesper selbst ist 73 Jahre alt und erzählt in "Jetzt erst recht" von 18 Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand genommen haben. Neben bekannteren wie Margot Käßmann, Heidi Hetzer oder Esther Bejarano schildert Vesper Lebenswege, die für erstaunliche Inspirationen sorgen.

Vesper selbst machte ebenfalls schon immer ihr eigenes Ding: Sie promovierte in Literatur und Philosophie, war Fremdsprachenkorrespondentin, Lehrerin, Tanz-, Paar- und Psychotherapeutin und veröffentlicht seit 1982 auch Romane (etwa die Familiensaga der "Wolkenraths"). Zudem bereiste sie die Welt und wohnte nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich und Spanien. Sie hat drei Kinder und fünf Enkelkinder. Doch um "Omas" geht es nicht in diesem Werk, sondern um "Frauen, die nicht jammern, sondern machen".

Der stern hat die Autorin zu ihrem Credo befragt, was es braucht, um im Alter glücklich zu sein: Neugier, Lust, gestalten wollen und sich etwas trauen. Auch zwei Krebs-OPs konnten sie selbst nicht davon abhalten.

Elke Vesper hat für ihr neues Buch mit 18 Frauen zwischen 60 und 100 Jahren gesprochen, sowohl mit Esther Bejarano, Heidi Hetzer und Margot Käßmann als auch mit Frauen aus der Mitte der Gesellschaft. Das Coole ist: keine würde sich als Oma bezeichnen, denn alle führen ihr eigenes Leben.  Hier bestellbar.
Elke Vesper hat für ihr neues Buch mit 18 Frauen zwischen 60 und 100 Jahren gesprochen, sowohl mit Esther Bejarano, Heidi Hetzer und Margot Käßmann als auch mit Frauen aus der Mitte der Gesellschaft. Das Coole ist: keine würde sich als Oma bezeichnen, denn alle führen ihr eigenes Leben.
Hier bestellbar.
© Knesebeck Verlag / Hersteller

"Diese Frauen jammern nicht"

Sie haben für Ihr Buch "Jetzt erst recht" mit Frauen gesprochen, die man gemeinhin "alte Frauen" nennt. Was unterscheidet diese Interviewpartnerinnen vom Klischee einer "Oma"?
Ich wollte das Buch ursprünglich "Gefährliche alte Frauen" nennen. Weltweit gibt es natürlich viel mehr Frauen, die sich nicht in dieses Klischee pressen lassen: Die Frau ab 50, muss man ja schon sagen, ist keine richtige Frau mehr, ist eigentlich eine Oma, ihr einziges Glück besteht scheinbar darin, für ihren Mann oder Kinder oder Enkelkinder zu sorgen. Das ist gesellschaftlich extrem praktisch, weil diese Frauen volkswirtschaftlich unglaublich viel übernehmen: in der Pflege, in der Sorge, in der Erlaubnis für ihre Töchter und Söhne, Familie zu haben und arbeiten zu gehen. Dann stehen die Omas parat. Es ist zum Beispiel erwiesen, dass Männer, die ins Krankenhaus müssen, viel kürzer bleiben, weil diese Frauen sie anschließend versorgen.

Ursprünglich wollte ich um die ganze Welt reisen und etwa Iris Apfel treffen, diese Amerikanerin mit der großen Brille, die finde ich unglaublich toll. Sie sagt: "Weniger ist weniger und mehr ist mehr." Sie stellt den Satz "Weniger ist mehr" auf den Kopf – und so lebt sie auch. Ich wollte auch nach Johannisburg, weil es dort alte Frauen gibt, die Boxen lernen. Das interessante ist: In den Medien lautet die Überschrift dann: "Oma lernt boxen". Das ist eine absolute Diffamierung. Vor allem auch für Frauen, die keine Omas sind. Frauen, die keinen Mann oder keine Kinder haben, werden damit als defizitär angesehen. 

Ich wollte so viele Frauen besuchen, aber dann kam Corona und der Radius wurde kleiner.

Was unterscheidet diese Frauen von einer Oma?
Das sind keine Frauen, die sich über ihre Enkelkinder definieren, sie definieren sich über sich selbst. Über ihr Leben, ihre Begeisterung – und sie hören auch mit 50 oder 60 nicht auf, eine Frau zu sein. Ich habe zum Beispiel Othella Dallas noch mit 94 auf der Bühne erlebt: In einem weißen super sexy Outfit hat sie zwei Stunden lang gestanden, mit ihren Musikern geflirtet und noch einen gekonnten Shimmy hingelegt. Das Publikum war sehr jung und hat getobt! Sie hat einen Sohn und auch Enkelkinder, aber sie war Othella und nicht Oma.

Ihre Interviewpartnerinnen haben ihre Leben unter unterschiedlichen finanziellen Voraussetzungen geführt und zum Teil nach dem Tod des Ehemannes neu gestaltet. Gibt es etwas, was sie alle verbindet?
Dass sie Frauen sind! 

Lena Jacobsen im Porträt
Die Fotografin Lena Jacobsen traf mit Elke Vesper die Protagonistinnen für "Jetzt erst recht" und porträtierte sie. Aufgrund der Pandemie mussten die beiden Frauen ihre Reisen auf Europa beschränken.
© Lena Jacobsen

Waren diese Frauen Kämpfernaturen?
Das finde ich schwierig. Alle Frauen, die ich interviewt habe, hatten einen schweren Start, sie hatten es nicht leicht. Keine der Frauen wurde auf Rosen gebettet. Alle hatten auch früh das Frauenthema, etwa weil sie Brüder hatten. Die Mädchen mussten sonntags abwaschen, sie brauchten nicht auf die höhere Schule, sie mussten nicht studieren, wohingegen die Söhne in ihrem Schul- und Karriereweg unterstützt wurden – und im Übrigen auch häufig gescheitert sind. Aber auch da finde ich eine Verallgemeinerung sehr schwierig. Manche sind vor dem Ersten, manche nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Ich möchte nicht, dass Frauen sagen: Die haben es leichter oder die sind anders.

Ich glaube, die meisten Frauen erfahren in ihrem Leben zwangsläufig, mit vielen Veränderungen zu leben. Ob Geburt oder Menopause, jede Frau muss im Laufe ihres Lebens lernen, mit Schwierigkeiten umzugehen, etwa mit körperlichen Widrigkeiten und gesellschaftlicher Diskriminierung. Vielleicht ist es so, dass die Frauen sich nicht haben kleinkriegen lassen, dass sie Widrigkeiten in Stärke umgewandelt haben.

Was diese Frauen, glaube ich, eint, ist, dass sie nicht jammern. Und dass sie sich nicht in eine Schublade stecken lassen: Jetzt bist du alt und nichts mehr wert. Die Schublade der defizitären Alten. Keine dieser Frauen ist hinter einem Jugendlichkeitswahn hergelaufen, bei dem sie so tun, als wären sie noch jung. 

Ein Plakat zum Frauentag von 1914
Der erste Frauentag wurde am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz gefeiert. Die Idee dazu kam aus den USA. Dort hatten Frauen der Sozialistischen Partei Amerikas im Jahr 1908 ein Nationales Frauenkomitee gegründet, das beschloss, einen nationalen Kampftag für das Frauenstimmrecht zu initiieren.
Heute haben Frauen zwar ein Wahlrecht – in der Schweiz seit 1971 – doch längst noch keine Gleichberechtigung, insbesondere im Hinblick auf gleiche Gehälter.
© Karl Maria Stadler, Wikipedia

Zum Weltfrauentag

Noch immer gibt es keine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, etwa bei der sogenannten Care-Arbeit oder bei Gehältern. Ist der Schlüssel zum Glück die Selbstständigkeit? 
Nein, es gibt viele selbstständige Frauen, die vor sich hin krauchen. Ich glaube, es wäre falsch zu sagen: "Macht euch selbstständig und dann geht's euch besser." Frauendiskriminierung trifft alle, die Selbstständigen ebenso wie die Angestellten. Ich glaube, es gibt kein allgemeines Rezept, sondern nur erstens den Rat, an dem persönlichen Rezept innerlich zu arbeiten. Zweitens: sich etwas trauen, was auch immer es ist. Und drittens, ich komme ja aus dem Feminismus: Wir haben nicht ausgekämpft. Wir müssen politisch aktiv sein und was tun! Genau wie "Fridays for Future" etwas bewegt hat, weil die Menschen rausgegangen sind.

Vielen Frauen, besonders alleinerziehenden Müttern, droht Altersarmut. Zum Teil trotz eines Vollzeitjobs, bei dem sie "nebenbei" ihre Kinder großgezogen haben. Was können diese Frauen im Alter machen, wenn die Rente maximal dafür reicht, in einem Zimmerchen vor sich hin zu verhungern?
Das ist eine schwierige Frage, darüber habe ich, während ich dieses Buch geplant und geschrieben habe, viel nachgedacht. Ich dachte: Mensch, verharmlose, verniedliche ich nicht ein gesellschaftliches Problem der Altersarmut für Frauen? Das ist ein politisches Problem und das ist eine Schweinerei! Aber nehmen wir mal Nana Naumann aus einem Buch, sie hat als Malerin eine ganz kleine Rente, ist aber trotzdem mit Mitte 60 das erste Mal nach Sibirien gefahren. Sie hat da völlig ärmlich bei der Tochter eines Schmieds gelebt und gesagt: "Auch wir sind reich." Ich will Altersarmut nicht verharmlosen, aber um zu reisen, braucht man nicht viel Geld. Es ist dann allerdings auch nicht luxuriös.  

Ich will damit nicht sagen: Ihr müsst nur kreativ sein. Aber wir haben mehr Möglichkeiten. Wir könnten uns ausprobieren, gucken, mit anderen Frauen gemeinsam etwas auf die Beine stellen. Ich möchte gar nicht über Altersarmut reden, denn da habe ich kein Patentrezept, sondern eine politische Haltung: Die Reichen sollen gefälligst von ihrem Geld etwas abgeben und die Frauen gefälligst genauso viel verdienen wie die Männer.

Seit mehr als 110 Jahren gibt es den Internationalen Frauentag. Glauben Sie, es besteht noch Hoffnung auf Gleichberechtigung und faire Gehälter?
Ich habe eine Frau interviewt, die in der Matriarchatsforschung arbeitet. Es gibt mehr und mehr erforschte Matriarchate. Hoffnungslosigkeit ist das letzte, was ich propagieren würde. Dass es überall auf der Welt Frauen gibt, in Indien, Indonesien, in den USA und so weiter, die das gleiche erleben, wusste sie nicht. Sich aufs Sofa zu setzen und zu denken: "Ich bin als zarte Frau geboren", wird nichts ändern. Greta Thunberg ist da ein tolles Beispiel. Sie hat sich einfach hingesetzt, aber draußen!

Hilfe für bedrohte Frauen in Deutschland
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