Das Amazon Fulfillment Center in Erfurt ist das größte Logistikzentrum des Unternehmens in Deutschland. Mehr als 2000 Menschen arbeiten dort. Einer von ihnen ist vor Kurzem während einer Schicht verstorben.
Nach Informationen des stern wurde am 17. November ein 59 Jahre alter Mitarbeiter leblos auf der Toilette gefunden. Die Staatsanwaltschaft hat ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet.
Amazon bestätigte den Todesfall. Ein Sprecher sagte dazu, das Unternehmen sei tief bestürzt. Angehörigen seien Hilfsangebote unterbreitet worden, psychologisches Personal sei für die Mitarbeiter vor Ort.
Amazon-Mitarbeiter stirbt während Schicht
Am Todestag des 59-Jährigen soll laut Berichten aus der Belegschaft Folgendes passiert sein: Der Mitarbeiter habe während der Frühschicht plötzlich gemeldet, dass es ihm nicht gut gehe. Einige Stunden später sei er dann von Kollegen leblos auf der Firmentoilette gefunden worden. Todesursache sei ein Herzinfarkt gewesen, heißt es.
Matthias Adorf, Verdi-Gewerkschaftssekretär für den Fachbereich Handel, sagt dem stern: "Wie viel Verantwortung Amazon bei dem Todesfall hat, können wir schwer einschätzen. Aber was wir auf jeden Fall wissen: Die Arbeitsbedingungen, die wir bei Amazon vorfinden, machen krank."
Zum heutigen Black Friday rüsten sich weltweit Tausende Amazon-Mitarbeiter für eine Welle koordinierter Streiks und Proteste in mehr als 30 Ländern. Sie werfen dem Konzern vor, Ungleichheit zu befeuern, demokratische Rechte zu untergraben und Gewerkschaften zu zerschlagen.
Besonders die Arbeit im Logistikzentrum Erfurt sei belastend, so Adorf. Es unterscheide sich in einem Aspekt von anderen Zentren. "Etwa 80 Prozent der Belegschaft sind meiner Einschätzung nach befristet beschäftigt. Außerdem nehme ich immer wieder bei unseren Aktionen dort wahr, dass ein Großteil der Beschäftigten migrantisch ist. Die meisten davon sind zudem Drittstaatler", berichtet Adorf. "Das heißt, an ihrer Anstellung bei Amazon hängt oft ihr Aufenthaltstitel, ihr Bleiberecht in Deutschland." Diese unsichere Situation nutze Amazon gezielt aus, so der Vorwurf des Gewerkschafters.
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"Amazon teilt den Leuten indirekt mit: 'Wenn du einen sicheren Aufenthaltstitel haben willst, dann sieh zu, dass du den Job hier hältst.' Und dann ist es problematisch, wenn du zu oft krank wirst. Es ist problematisch, wenn du aufmuckst. Das ist das Klima, das in Erfurt vorherrscht."
Zudem habe es vor Kurzem eine Änderung im Logistikzentrum Erfurt gegeben. "Früher gab es dort mal einen Betriebssanitäter. Das heißt, die Leute, die sich krank fühlten, wurden zum Betriebssanitäter geschickt, der den Gesundheitszustand medizinisch einschätzen konnte." Diese Sanitäter seien aber abgeschafft worden. "Warum? Es wurden zu viele kranke Mitarbeiter nach Hause geschickt."
Amazon äußert sich zum Todesfall
Auf Anfrage des stern sagte ein Sprecher von Amazon: "Die Gewerkschaft versucht, ein falsches Bild von dem tragischen Geschehen zu schaffen, das unser Team in Erfurt sehr bewegt. Wir sind tief bestürzt über diese Situation und unsere Gedanken sind bei den Angehörigen und Freunden des betroffenen Mitarbeiters."
Man konzentriere sich darauf, die Angehörigen und Mitarbeitenden zu unterstützen und arbeite mit den Behörden zusammen. "Wir möchten betonen, dass es sich bei diesem tragischen Vorfall um keinen Arbeitsunfall handelte", so der Amazon-Sprecher. Zusammen mit dem Betriebsrat habe man intensiv mit den Mitarbeitenden kommuniziert und den Angehörigen ebenfalls Hilfsangebote unterbreitet. Zu dem Geschehen am Todestag wollte sich Amazon nicht im Detail äußern.
Weiter heißt es: "Allein in den letzten Monaten haben wir intensiv daran gearbeitet, unser Ersthelfer-Programm in unserem Logistikzentrum in Erfurt erheblich auszubauen: Dort sind knapp 300 Kolleg:innen entsprechend geschult und damit übererfüllen wir sämtliche Vorgaben um ein Vielfaches. Zudem ist unser Standort mit automatisierten externen Defibrillatoren ausgestattet, die von jedem Helfenden eingesetzt werden können."
Kollege des Verstorbenen schildert den Tag
Der stern konnte auch mit einem Kollegen des Verstorbenen sprechen. Zum Schutz seiner Identität bleibt sein Name hier ungenannt. Er berichtet von dem Tag wie folgt: "Der Kollege arbeitete in der Frühschicht. Ich hatte Spätschicht an dem Tag. Meine Kollegen und ich sollten uns an diesem Tag erstmal in der Kantine versammeln. Dann teilte uns die Leitung mit, dass der Kollege tot auf der Toilette gefunden worden sei."
In der Bekanntgabe an die Belegschaft hieß es, man habe mit dem verstorbenen Kollegen vereinbart, er solle nach Hause gehen. Dann sei er verschwunden und erst Stunden später gefunden worden. Der Mitarbeiter, mit dem der stern gesprochen hat, sagt aber: "Von den direkten Kollegen des Verstorbenen habe ich gehört, dass er bereits am Tag zuvor sagte, dass er sich krank fühle. Dann sei aber Druck auf ihn aufgebaut worden, am nächsten Tag zur Schicht zu erscheinen."
Dies sei systematisch so. "Wenn man einem Teamleiter sagt, man ist krank, antworten manche: 'Das ist nicht mein Problem.' Man braucht unbedingt ein Attest, um nicht arbeiten zu können. Und selbst wenn man den hat: Die Angst, dass der eigene Vertrag nicht verlängert wird, wird geschürt. Krank zu sein, ist negativ für eine Verlängerung. Die passiert oft erst zwei Wochen vor Vertragsende." Amazon nutze den unsicheren Status der migrantischen Mitarbeiter aus. "Wer nicht funktioniert, wird ausgetauscht", so der Kollege des Verstorbenen.