"Es ist Krieg" war auf den Plakaten der protestierenden DaimlerChrysler-Beschäftigten in dieser Woche zu lesen. Akzeptiert man diese Bezeichnung für die immer heftiger ausgetragene Auseinandersetzung zwischen großen Industriekonzernen und der Gewerkschaft, dann hielt sich IG-Metall-Chef Jürgen Peters in den ersten Schlachten auffällig zurück und überließ das Feld seinen Kompaniechefs draußen an der Front. In der Frankfurter Kommandozentrale grübeln Peters und sein Stellvertreter Berthold Huber indes über der Frage, wie sie den Kanonendonner der Arbeitgeber auf Dauer verstummen lassen können.
Siemens-Kompromiss sollte Einzelfall sein
Zunächst versuchte die Gewerkschaft, den Kompromiss einer Arbeitszeitverlängerung auf 40 Stunden in zwei Handy-Werken des Siemens-Konzerns als Einzelfall hinzustellen. Doch die andere Seite scherte sich wenig um solche Interpretationen. So liebäugeln inzwischen mehrere große Unternehmen mit der Siemens-Lösung und wollen längere Arbeitszeiten. Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, heißt es aus dem Arbeitgeberlager.
Auch der Autokonzern DaimlerChrysler nutzte die Gunst der Stunde und droht wie Siemens mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen, um drastische Einsparungen durchzusetzen. "Die Gewerkschaft steht wieder einmal mit dem Rücken zur Wand", meint Reinhard Bahnmüller vom Tübinger Forschungsinstitut für Arbeit, Technik und Kultur.
DaimlerChrysler hat Modellwirkung
Zwar geht es in dem jüngsten Konflikt vordergründig um regional begrenzte Errungenschaften wie Extra-Pausen und Zuschläge. Doch die Symbolik des Falls ist kaum zu bestreiten: DaimlerChrysler ist nicht nur das größte deutsche Unternehmen, sondern in der Regel auch direkt an den Pilotabschlüssen für die Metall- und Elektroindustrie beteiligt. Alle zwei Jahre, wenn die Tarifparteien im Südwesten zu später Stunde den Kompromiss für die ganze Branche aushandeln, sitzen neben den Vertretern von Arbeitgeberverband und IG Metall meist nur noch der Personalvorstand und der Betriebsratschef des Stuttgarter Autokonzerns mit am Tisch.
Peters, der seit fast einem Jahr der Industriegewerkschaft vorsteht, hat einen schweren Start in das Amt hinter sich. Mit Huber, dem Wunschkandidaten seines Vorgängers Klaus Zwickel, musste er sich auf eine gemeinsame Linie verständigen. Gemeinsam stimmten beide in der diesjährigen Metall-Tarifrunde einem Abschluss zu, der den einzelnen Betrieben mehr Spielraum für Arbeitszeitregelungen einräumt: Ein großer Schritt für die Gewerkschaft, von dem aber inzwischen keiner mehr spricht - erst recht nicht die Arbeitgeber. Sie erwarten immer neue Zugeständnisse von der IG Metall.
Überrollt werden oder mitgestalten
"Für die Gewerkschaften stellt sich die Frage, ob sie den Prozess mitgestalten oder sich überrollen lassen", glaubt Michael Hüther, Direktor des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft. Er sieht die Lösung nicht in einer pauschalen Arbeitszeitverlängerung, sondern in der Kombination verschiedener Sparmaßnahmen je nach Situation der Unternehmen. Von einer solchen Tarifpolitik könnte die Botschaft ausgehen, dass die deutsche Wirtschaft der Globalisierung nicht hilflos ausgesetzt ist, sondern aus eigener Kraft ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern kann.
Arbeitsexperte Bahnmüller hält Kostensenkungen hingegen für den falschen Weg. Anstatt sich gegenseitig zu unterbieten, sollten die Konzerne stärker auf Innovationen setzen, um das Wachstum anzukurbeln. Zum Beispiel wäre eine längere Arbeitszeit nur dann sinnvoll, wenn die Unternehmen sie für Weiterbildung und Qualifizierung nutzten. Von den Gewerkschaften wünscht sich Bahnmüller eine aktivere Rolle. "Wenn die IG Metall die Vermittlung von Perspektiven selbst in die Hand nimmt, müsste sie sich vielleicht nicht die Debatte über die Abwärtsspirale des Standorts Deutschland aufnötigen lassen."