Patric Faßbender ist über die Idee, die sein Leben veränderte, im wahrsten Sinne des Wortes gestolpert: Im Kinderzimmer traf er auf einen Haufen CD´s, die auf dem Boden lagen. Davor seine Kinder, die aus den verschrammten und zerkratzten Tonträgern und ihrem Kinder-CD-Spieler kaum noch Töne heraus bekamen. Entweder sprang das Hörspiel wild hin und her, es stotterte, oder es war gar nichts mehr zu hören. „Irgendwie klar“, dachte Faßbender, der damals noch bei einer Düsseldorfer Werbeagentur beschäftigt war. „Die filigrane Lasertechnik ist ja auch nicht für den ruppigen Kinderalltag gemacht.“ Aber im Digitalzeitalter sollte es eigentlich eine bessere Lösung geben.
Faßbender machte sich auf die Suche. Er selbst war mit robusten Hörspielkassetten aufgewachsen und erinnerte sich an Stunden voller Hörglück. „Ich habe tolle Erinnerungen an die Drei Fragezeichen“, sagt er. Die wollte er für seine Kinder auch. Also klapperte er Spielwarenläden ab und klickte sich durchs Internet. Ergebnis: Hörspiele gab es inzwischen zwar auch Digital, doch an kindgerechten Abspielgeräten mangelte es. „Ich wollte meinen drei oder vierjährigen Kindern kein i-Pad mit riesigem Bildschirm ins Kinderzimmer legen“, sagt er. Außerdem sind die auch nicht gerade solide und funktionieren nur mit Kopfhörern. Und ein MP3-Player ist für Erwachsene gemacht und viel zu komplex in der Bedienung. „Ich wollte etwas intuitives“, sagt Faßbender.
Alexa ist nichts fürs Kinderzimmer
Vollvernetzte Systeme wie Amazons Alexa konnte er sich ebenfalls nicht vorstellen: „Die zeichnen ständig auf und sind im Netz. Das ist nicht kindgerecht.“ Also begann er bei Null: Was sollte das perfekte Gerät können? „Es sollte Musik und Hörspiele in guter Qualität abspielen, leicht von Kindern zu bedienen sein, stabil und sicher, mobil einsetzbar und trotzdem digital.“
Heraus kam die Idee der Tonie-Box, eines bunten Würfels mit zwei verschieden großen Ohren, an denen man für laut und leise zieht, einem Lautsprecher und einer Buchse fürs Ladekabel. Was die Box abspielt bestimmen die Kinder, indem sie eine etwa fünf Zentimeter große Spielfigur aus der gewünschten Geschichte auf die Box stellen: Räuber Hotzenplotz poltert dann sofort los. Oder Benjamin Blümchen trötet. Oder Feuerwehrman Sam löscht. Und zwar genau so lange, wie die Figur dort steht. Nimmt man sie weg, ist die Box aus. Vor- und zurückgesprungen wird durch intuitives Kippen der Kiste. Kinder brauchen nur Sekunden, um zu kapieren, wie es geht.
Die Kompetenz kam aus der Kita
Doch 2013, als Patric Faßbender über die CD´s gestolpert war, war das alles nur eine Idee. Der Werbemensch Faßbender fühlte sich als Unternehmensgründer etwas überfordert. Aber er erinnerte sich an jemanden, dem er dabei mehr Geschick unterstellte. Also rief er Marcus Stahl an. Er hatte den Wirtschaftsingenieur einige Jahre vorher in der Kita kennengelernt, als die beiden Väter ihre Kinder dort hin brachten. Stahl war ein erfahrener Manager. Zuletzt hatte er das Nokia-Werk in Bochum geleitet, war also tief in der IT-Welt drin. Nachdem er die Grundzüge der Idee gehört hatte, war er von dem Projekt begeistert. „Ich kannte die Probleme mit den CD´s und den komplizierten Digitalgeräten und fand Patrics Lösung genial.“
Beide ließen ihre bisherigen Berufe hinter sich und stürzten sich ins Gründungsabenteuer. Sie nannten ihre Firma „Boxine GmbH“. „So sollten die Geräte zuerst heißen, aber schließlich haben wir uns dann doch für den Namen „Tonies“ entschieden“, sagt Stahl. „Der war irgendwie passender und nicht so sperrig.“
Die Tonies haben die Kinderzimmer im Sturm erobert
Sie sammelten Geld ein, bauten Prototypen, suchten Produzenten für die Abspielgeräte und die Figuren und gingen in Lizenzverhandlungen. Zu Weihnachten 2016 kamen die Tonie-Boxen in Deutschland auf den Markt und eroberten die Kinderzimmer der Republik im Sturm. Im zweiten Jahr vervierfachte sich der Umsatz, in diesem Jahr soll er sich noch einmal verdoppeln. Über 100 Mitarbeiter arbeiten inzwischen bei dem Düsseldorfer Unternehmen. Millionen Geräte stehen in deutschen Kinderzimmern und werden eifrig genutzt.
Das wissen Stahl und Faßbender, weil die Tonie-Boxen sich per WLAN mit dem Internet verbinden und die Daten der Hörspiele von dem Boxine-Server herunterladen, sobald eine neue Figur auf der Box steht. Dann erst werden die Hörspiele dauerhaft in der Box gespeichert und sind auch ohne Netzanschluß verfügbar. „Ganz wichtig ist uns aber, dass die Tonie-Box über kein Mikrophone verfügt“, sagt Stahl. „Es hört also niemand im Kinderzimmer mit.“ Im Schnitt haben Kinder mit Box etwa neun Hörspiele, Tendenz steigend. Darunter sind auch so genannte Kreativ-Tonies, auf denen eigene Aufnahmen hinterlegt werden können – etwa Gute-Nacht-Geschichten, die per Handyapp von überall auf der Welt zum Papa- oder Mama-Tonie übertragen werden können und abspielen, sobald die entsprechende Figur vom Kind auf die Box gestellt wird.
Mit den Tonies über den großen Teich
Als nächstes soll die Tonie-Idee auch international ausgerollt werden. „Wir sind bereits in England und wollen natürlich auch in die USA“, sagt Faßbender. „Aber da ist die Hörspiel-Kultur bei weitem nicht so ausgeprägt. Da müssen wir viel Erklär-Arbeit leisten.“ Trotzdem ist das Interesse von Händlern und Inhalteanbietern groß. Und sicher auch von Kindern, die eigentlich überall auf der Welt gerne Geschichten hören.
Die Boxine GmbH von Marcus Stahl und Patric Faßbender ist einer von drei Finalisten der Kategorie Aufsteiger des Deutschen Gründerpreis 2019. Der Preis wird vom stern zusammen mit den Sparkassen, Porsche und dem ZDF jährlich in den Kategorien Schüler, Startup, Aufsteiger und Lebenswerk vergeben und zeichnet Deutschlands beste Gründer aus. Die Preisverleihung findet am 2. Juli im Zollernhof in Berlin statt.