Dieses Interview stammt aus dem stern-Archiv und erschien zuerst am 29. November 2023.
Frau Sick, wann haben Sie zum ersten Mal verstanden, wie wichtig Geld ist?
Als ich zu Hause auszog und mit Job und eigenem Geld in München lebte. Plötzlich konnte ich über mein Leben selbst entscheiden.
Gab es Momente, in denen Sie versucht waren, ein Stück Ihrer Freiheit herzugeben, um weniger zu arbeiten?
Nie im Leben. Nein, wirklich nicht. Ich war erst Sekretärin bei einem großen Baukonzern. Die haben schnell erkannt, was ich kann, und ich bin Chefsekretärin geworden. Ich hatte sehr nette Kolleginnen.
Ein Vorurteil sagt, dass Frauen am liebsten gegeneinander arbeiteten.
Ich arbeite bis heute in Frauen-Teams und habe das nie erlebt. Es gibt diesen enorm blöden Ausdruck der Stutenbissigkeit. Ja, Frauen sind manchmal untereinander rivalistisch, Männer aber doch auch. Was soll daran schlimm sein?

Ihre Kindheit dagegen war eindeutig schlimm: Ihre Mutter beschreiben Sie als gewalttätig, und Ihr Vater, so sagen Sie, habe Sie missbraucht.
Es war furchtbar für mich, ich habe meinen Eltern auch nicht verziehen. Aber ich habe damit abgeschlossen und leide nicht mehr darunter. Ich erzähle, was war, weil es zu meinem Leben gehört. Aber ich jammere nicht. Heute im Alter von 82 Jahren habe ich das schönste Leben, das ich je hatte.
Woher hatten Sie die Kraft, damit fertig zu werden?
Das einzig Positive, was ich von meiner Mutter mitgekriegt habe, ist ihre Energie. Außerdem habe ich mir Hilfe gesucht, Therapien gemacht. Und die Arbeit. Arbeit war mein Mittel, das Leben zu bewältigen. Ich habe positive Rückmeldung bekommen und gemerkt, dass ich nicht so wertlos und unfähig bin, wie meine Mutter immer behauptet hat. Ich hatte die Chance, aus meinem Leben etwas zu machen, obwohl ich die allerschlechtesten Bedingungen hatte.

Sie beschreiben in Ihrer Biografie auch den Einfluss Ihrer Tante auf diesen Unabhängigkeitsdrang.
Meine Tante Maria war verheiratet mit einem schrecklichen Menschen. Er kam mindestens einmal die Woche sturzbetrunken heim, hat sie grün und blau geschlagen und aus dem Haus geschmissen, das Bettzeug hinterher. Sie schlief drei Nächte im Stall und kehrte trotzdem zu ihm zurück. Irgendwann habe ich sie gefragt, warum. Da weinte sie ganz furchtbar und sagte: Wo soll ich hingehen? Mir kommen bis heute die Tränen, wenn ich daran denke. Sie hatte nichts, keinen Beruf, kein Geld, musste bei ihm bleiben. Ihr Leben wurde erst schön, als ihr Mann gestorben war. Ich habe damals natürlich nicht die Dimension, die größeren Zusammenhänge begriffen.
Später wurden Sie kaufmännische Geschäftsführerin in einem Frauenhaus. Wahrscheinlich haben Sie dort ähnliche Geschichten gehört.
Ich habe gesehen, dass die Frauen, die im Frauenhaus waren, nicht nur schwer misshandelt wurden, sondern überwiegend auch kein Geld hatten. Manchmal war der Entzug von Geld sogar Teil der psychischen Misshandlung. Wenn eine Frau kein Geld hat, kann sie ja nicht mal eine Trambahnkarte kaufen. Geld war aber zu der Zeit kein Thema im Zusammenhang mit Frauen.

Das Frauenhaus wurde in den 1970ern gegründet, eine Zeit, in der die Frauenbewegung aufblühte.
Die Bewegung war wichtig für mich, weil ich verstanden habe: Meine Geschichte war kein Einzelschicksal. Das war Frauenschicksal. Aber damals stand in den gesellschaftlichen Debatten das Thema Geld nicht im Vordergrund. Es ging um Sexualität und Partnerschaft, um Unabhängigkeit. Geld wurde noch nicht als Mittel dazu gesehen. Ich habe diese Verbindung damals schon begriffen.
Auch Sie haben aufgehört zu arbeiten, als Sie mit Ihrem Mann ein vierjähriges Kind adoptierten.
Ja, vier Jahre lang war ich nicht erwerbstätig. Aber ich habe in dieser Zeit ein Abendstudium in BWL absolviert. In der Elternzeit habe ich gemerkt, was es macht, kein eigenes Geld zu haben. Mein Mann war großzügig, hat mir seine Bankkarte gegeben und gut verdient, aber ich hatte Probleme, etwas für mich zu kaufen.
Wie kamen Sie auf die Idee einer eigenen Finanzberatung für Frauen?
Ich habe einen Artikel gelesen über zwei Frauen in Bremen, die so eine Finanzberatung gegründet hatten. Ich wusste sofort: Das ist es. Und dann habe ich viel gelesen, bin zu Seminaren nach Frankfurt gefahren und habe mich weitergebildet. Ich habe als Ein-Frau-Betrieb angefangen.
Wer kam zu Ihnen?
Viele Frauen über 45, die in einer Lebenskrise waren. Entweder hatten sie eine Scheidung hinter sich, oder der Mann war gestorben. Und der Partner hatte bisher alles Finanzielle geregelt.