Aktionäre Von uns werden Sie abgespeist

In jedem Frühjahr jagt eine Hauptversammlung die nächste. Kleinaktionäre können die Sau rauslassen. Das Management bedankt sich mit Würstchen, Hostessen und Klappstühlen. Sieben Kostproben.

Die Enttäuschung stand vielen der rund 400 Besucher ins Gesicht geschrieben. Man war hier bei der Hauptversammlung der Beate Uhse AG, dem größten Erotik-Konzern der Welt - und die Hostessen trugen ordinäre Jeans und züchtige T-Shirts. Prickelfaktor: null. "Wo sind denn die flotten Models?", lautete eine häufig gestellte Frage am Rande des Aktionärstreffens 2005 in Hamburg. Ein Herr im fortgeschrittenen Alter maulte: "Im vergangenen Jahr konnten wir uns noch mit Models im knappen Bustier fotografieren lassen."

Schlaff ging es auch beim Essen weiter. Vorbei die Zeit, als noch asiatisches Fingerfood die Aktionärsgaumen erfreute. Der Appetit war früher so groß gewesen, dass sich viele die Häppchen nicht nur in den Mund, sondern auch in die Tasche gesteckt hatten. Als später die kleine Gruppe pflichtbewusster Aktionäre nach Aussprache und Abstimmung zum Büfett kam, war alles abgegrast und der Ärger groß. Die Konsequenz: Vergangenes Jahr gab es das Essen erst zu Sitzungsende - und dann auch nur Wurst, Brezel und trockene Brötchen.

Mancher mag nun fragen: Gibt es nichts Wichtigeres über Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften zu berichten? Über das Parlament der Aktionäre, in dem auch Herr Meier und Frau Schneider einmal im Jahr den Vorstandschef der Telekom mit Fragen löchern oder bei Siemens über die Verwendung des Gewinns entscheiden dürfen (siehe Seite 31: "Ihr Recht als Aktionär"). Nun, wer so fragt, war wohl noch nie bei einer Hauptversammlung.

Derzeit besteht

dazu wieder reichlich Gelegenheit. 979 börsennotierte Gesellschaften laden bis zum Sommer ihre Anteilseigner in Messehallen und Kongresssäle. Wer der Einladung folgt, stellt schnell fest: Reden ist erlaubt - entschieden ist aber längst alles durch die großen Anteilseigner. Aktionärs-Demokratie? Der berühmte Ökonom John Kenneth Galbraith hält das für ein "Ammenmärchen". Hauptversammlungen glichen "einem religiösen Ritus", schreibt der 97-Jährige in seinem aktuellen Beitrag "Diktatur der Manager": "Man ergeht sich in Formeln der Selbstbeweihräucherung und meidet jedes böse Wort. Abtrünnige, die Widerworte wagen und Korrekturen anmahnen, werden kaltgestellt, und der Vorstand wird fast immer buchstäblich entlastet."

So zählt für die meisten Hauptversammlungsbesucher etwas ganz anderes. Sie wollen ein bisschen über die Millionengehälter des Chefs meckern, sich an den tollen Produkten des Konzerns erbauen - und absahnen, was es abzusahnen gibt.

Dabei kommt es darauf an, die richtigen Aktien zu besitzen, wie der Besuch von zehn Hauptversammlungen im vergangenen Jahr zeigte - von einer Mega-Veranstaltung mit 5300 Teilnehmern (Allianz) bis zum Stuttgarter Schwabenverlag, zu dessen Treffen nur 72 Aktionäre kamen. Zwar sparen alle Firmen am Essen; Brot, Frikadellen und Würstchen füllen die Büfetts bergeweise. Ließen die Großkonzerne während des Börsenbooms noch 30 Euro je Aktionär springen, darf das Essen heute nicht mehr als zehn Euro pro Person kosten.

Es gibt aber Ausnahmen.

Wer es lukullisch gediegener liebt, sollte in kleine börsennotierte Unternehmen in Süddeutschland investieren. Beim Spezialisten für Fassadendämmung Sto im württembergischen Stühlingen etwa gab es Lachsravioli mit Zitronensauce, dazu wurde Wein und Bier gereicht. Der Schwabenverlag in Stuttgart servierte mariniertes Gemüse, Spieße mit Putenfleisch sowie Schnitzel mit schwäbischem Kartoffelsalat und zum Dessert rote Grütze mit Sahne.

Die Aktionäre speisten unter Sonnenschirmen an gedeckten Tischen im Innenhof der Tagungsstätte Hohenheim. Angesichts dieser Köstlichkeiten spielte die schlappe Kursentwicklung der Aktie bei den Gesprächen an den Tischen keine Rolle. "Wir kommen schon auf unsere Kosten", hieß es unisono beim kauenden Publikum. Zum Abschied gab es noch das Büchlein "Helle Sommertage wünsch ich dir" sowie einen Postkartenkalender mit Engelsmotiven. Auch bei den Präsenten ist der Schwabenverlag damit Spitze. Mehrheitlich beschränken sich die Unternehmen auf Kugelschreiber und Schreibblöcke.

Ein Herz für

seine Aktionäre zeigte Volkswagen. Der Automobilkonzern hatte die gesamte Fahrzeugpalette aufgeboten: vom kleinen VW-Fox bis zum Bentley Continental Flying Spur mit 552 PS. "Spitzengeschwindigkeit 312 Stundenkilometer", erklärte eine Hostess. Jeder wollte einmal Probe sitzen. "Was meine Firma so alles draufhat", flüsterte ein Pensionär seiner Frau ins Ohr und strich vorsichtig übers blank geputzte Blech. Da gab man sich gerne mit Kartoffelsuppe und Bockwurst zufrieden.

Der Hit aber war der Stand von VW-Betriebsarzt Uwe Brandenburg. Kein Wunder angesichts des augenscheinlichen Durchschnittsalters der Aktionäre von 65 Jahren. Während sich im riesigen Saal des Hamburger Congress-Zentrums VW-Chef Bernd Pischetsrieder im trockenen Lagebericht erging, standen die Rentner beim Doktor Schlange. Hier erhielten sie wahren Shareholder-Value: Brandenburg analysierte das Körperfett, testete die Lungenfunktion und maß den Blutdruck. Zum Beispiel den von Johannes Neumann. Er ist 87 Jahre alt, seit 40 Jahren VW-Aktionär und fährt jährlich mit Ehefrau im Auto von Erlangen zur Hauptversammlung nach Hamburg: "Wir lassen uns hier immer untersuchen und können so viele Arztbesuche sparen.

print
Von Joachim Reuter