Die Dellen an meinem Hintern sind verschwunden. Früher drückte sich mein Geldbeutel mit all dem Kleingeld in meine rechte Gesäßtasche. Heute findet man Bargeld nur noch im Museum oder auf Mittelaltermärkten. Es ist das Jahr 2020.
Niemand bezahlt mehr mit Münzen und Scheine, der Personalausweis ist schon längst digitalisiert worden und meine Gesundheitsdaten brauchen keine Krankenkassenkarte mehr. Meine Hosentasche ist frei, meine Identität und Zahlungsfähigkeit hängt jetzt an meinem Handgelenk. All das, für das man früher Metall, Papier und Plastik benötigte, ist heute auf der Smart Watch gespeichert.
Heute Abend gehe ich aus. Ich brauche Geld, also checke ich schnell den Kontostand. Die Zahlen werden direkt auf meine Kontaktlinsen projiziert. Während vor meinem linken Auge Nummernkolonen tanzen, sehe ich im Winkel des rechten Auges ein Elektroauto vorbeischnurren. Gut, mein Gehalt wurde bereits überwiesen. 2073 Neu-Mark sollten gerade so für einen netten Samstagabend reichen. An den Euro erinnert sich kaum noch jemand, Menschen vergessen schnell.
Keine Schlangen, keine Überfälle
Rein in die U-Bahn. Früher hätte man am Fahrkartenautomat verzweifelt nach passendem Kleingeld gesucht, die Münzen am Metallgehäuse gerubbelt und zugesehen, wie sie wieder unten in das Auffangbecken klackern. Heute erkennt ein Scanner an den Türen automatisch meine ID und bucht den Betrag für die Fahrt direkt von meinem Konto ab. Unterwegs vibriert es an meinem Handgelenk. Einmal kurz geblinzelt und schon wird mir ein Zeitungsartikel, der für mich interessant sein könnte, auf der linken Linse angezeigt. Mist, der HSV hat schon wieder verloren. Zum siebten Mal in Folge geht es in die Relegation. Das werde ich später lesen. Einmal kurz den Daumen auf meine Watch gedrückt und schon wird der Text in meiner persönlichen Cloud gespeichert.
Der Elektrozug gleitet in die Haltestelle. Raus aus der Bahn, rein in den Kiosk, erst mal ein Bierchen kaufen. Wahllos stehen verschiedene Flaschen in den Regalen, der Besitzer pfläzt sich hinter der Theke und erzählt jedem, den es interessiert - und auch allen anderen -, warum früher alles besser gewesen sein soll. Eigentlich müsste er nicht hier sitzen: Es gibt kein Kramen im Portemonnaie, keine lange Schlange an der Kasse. Ich halte einfach die Bierflasche vor das Display an meinem Handgelenk und habe das Getränk gekauft. Bevor der Alte mich in ein Gespräch verwickeln kann, verlasse ich den Laden.
(Fast) immer genug Geld dabei
Gemütlich schlendere ich durch die Straßen. Angst vor Überfällen oder Diebstählen brauche ich nicht zu haben. Mein Eigentum ist sicher gespeichert, niemand kann mir hier mein wohlverdientes Geld einfach aus der Hosentasche fischen. Mein Konto ist mit meinem Fingerabdruck verbunden und kann mit einer kurzen Augenbewegung sofort gesperrt werden. In einem kleinen Restaurant lasse ich mich zum Abendessen nieder. Frisch gestärkt kann es dann endlich ans Feiern gehen. Das früher so lästige Warten auf den Kellner gibt es zum Glück nicht mehr. Ich rufe meiner Spracherkennungssoftware noch den Betrag für ein kleines Trinkgeld zu und bestätige die Zahlung wieder mit meinem Daumen. Als ich das Restaurant verlasse, suche ich den Kellner, um mich zu bedanken. Der Service war gut, das Essen lecker. Aber ich habe ihm Trinkgeld gezahlt.
In einer Bar treffe ich mich mit einem Freund, der - wie immer - knapp bei Kasse ist. Ehrensache, dass ich da eben aushelfe und ihm etwas leihe. Die Suche nach einem Geldautomaten, wie früher üblich, spare ich mir. Wir drücken unsere Handgelenke aneinander, die Smart Watches verbinden sich miteinander und ich schiebe per Sprachbefehl einen kleinen Betrag auf sein Konto. Einem guten Abend steht jetzt nichts mehr im Wege.
Eine unendliche Welt
Früh am nächsten Morgen trete ich meinen Heimweg an und schaue noch kurz beim Bäcker vorbei, um mir ein kleines Frühstück mitzunehmen. An der Theke muss ich schmunzeln: Wie oft habe ich früher mein letztes Kleingeld zusammengezählt, zuerste Groschen auf Groschen, dann Cent auf Cent. Ein trockenes Brötchen, mehr konnte ich mir für mit dem Klimpergeld selten leisten. Jetzt steht mir die schier unendliche Welt der duftenden Backwaren zur Verfügung. Dank der bargeldlosen Welt habe ich ja immer genug Zaster dabei.
Gegenüber von meiner Wohnung sehe ich einen Obdachlosen auf der Bank liegen. Er rappelt sich hoch und bittet mich um eine kleine Spende. Vielleicht für ein Brötchen, denke ich. Ich greife in meine rechte Hosentasche - doch da ist nichts. Keine Münzen, keine Scheine. Nur eine leere Tasche. Ich kann ihm nichts geben. Er hat weder eine Smart Watch, noch ein Konto - nur einen alten Pappbecher, in dem ein paar alte Euromünzen liegen, die er wohl von unverbesserlichen Nostalgikern bekommen hat. Merkwürdig, dass sich manche Dinge einfach nicht verändern.
Ich gebe ihm meine Brötchentüte und gehe ins Bett.