1995 wurde Nick Leeson berühmt-berüchtigt, weil er die Bank Barings in den Ruin trieb. In Deutschland verspekulierte sich die WestLB mit Porsche- und VW-Aktien. Und jetzt kam gerade der größte Finanzskandal der Geschichte in Frankreich ans Licht. Sind das alles Einzelfälle oder handelt es sich um die Spitze eines Eisberges?
Das Handelssystem einer Bank ist ein komplexes System mit einer Vielzahl von Transaktionen. Da wird schnell eine Grenze, ein Limit überschritten. Schlimm muss das jedoch nicht gleich sein. Im kleineren Umfang passieren daher sicher auch woanders Fälle, die geräuschlos bereinigt werden.
Was hingegen zu Buche schlägt sind Transaktionen, die eine Größenordnung wie die bei der Société Générale annehmen. Dabei handelt es sich aber um Einzelfälle – schließlich geht es um einige Milliarden. Ein Fall reicht da aus, um eine Bank in eine schwere Krise zu stürzen. Denn das Bankengeschäft ist nun mal zum größten Teil ein Vertrauensgeschäft.
Zur Person
Thomas Hartmann-Wendels ist Professor und geschäftsführender Direkter des Instituts für Bankwirtschaft und Bankrecht an der Universität zu Köln. Eines seiner Hauptarbeitsgebiete ist das Risikomanagement bei Banken, insbesondere das Management von Kreditrisiken.
Welche Mechanismen gibt es, die solchen Betrug verhindern sollen? Wie sieht das System der Kontrolle genau aus?
International gibt es Basel II. Das ist ein unverbindliches Werk von Regeln für Finanzinstitute, das auch Länder wie Japan und die USA mit einschließt. Innerhalb der EU wurde Basel II in eine EU-Richtlinie umgesetzt. Die Länder müssen also nationales Recht dafür schaffen. Das variiert zwar von Staat zu Staat, die Grundstruktur bleibt aber dieselbe. In Deutschland heißen die Regelungen "MaRisk", die Mindestanforderungen an das Risikomanagement.
Und diese bestehen aus Folgendem: Erstens muss jede Bank eine Risikostrategie haben. In der soll stehen, mit welchen Produkten gehandelt wird und in welcher Höhe Risiken eingegangen werden sollen. Zweitens darf jeder Händler nur bis zu einem gewissen Limit Kontrakte eingehen. Drittens sollte auf verdächtige Kontobewegungen geachtet werden. Und viertens sollten die eigentlichen Aktienhändler durch Kontrolleure überprüft werden. Diese beiden Akteure sollten logischerweise nicht ein und dieselbe Person sein - wie das ja bei Nick Leeson damals der Fall war.
Ist das ein Problem der Händler, der durch seine Provision an Spekulationen mitverdient? Wird dadurch nicht ein Wagnis interessanter?
Es ist natürlich ein Problem, dass die Provision asymmetrisch angelegt ist: Nur, wenn Gewinn erwirtschaftet wird, bekommt der Händler eine Provision. An den Verlusten wird er nicht beteiligt. Das schafft natürlich Anreiz, höhere Risiken einzugehen. Der Händler kann ja immer mehr gewinnen als verlieren. Das zweite Problem ist: Wenn erstmal ein Verlust eingetreten ist, gibt es ein "gambling for resurrection". Die einzige Chance, sich noch zu retten, ist, ein immer größeres Rad zu drehen, und immer größere Risiken einzugehen. Am Ende geht es dann um alles oder nichts.
Und inwiefern sind Menschen allgemein bei einem solchen System anfällig für eine solche Casino-Mentalität? Denken Sie, psychologische Kontrollen bei der Einstellung wären sinnvoll, um zu testen, wie robust potentielle Angestellte bei solchen Versuchungen widerstehen können?
Natürlich sind persönliche Voraussetzungen wichtig. Jedoch besteht einfach die Gefahr, dass die Tätigkeit das Handeln ändert. Händler haben jeden Tag mit großen Summen zu tun, da verliert jeder irgendwann das Gefühl für Geld.
Sind die Informatiksysteme der Banken wasserdicht? Eigentlich hätte ja der Computer der Société Générale dem Aktienhändler einen Riegel vorschieben sollen.
Das ist immer ein Katz und Maus-Spiel. Es handelt sich einfach um sehr komplexe Systeme. Vorsichtsmaßnahmen werden da zunächst eingebaut, wo die Bank sich einen Missbrauch vorstellen kann. Pfiffige Händler finden da trotzdem Lücken.
Zweitens ist die Komplexität der Kontrolle irgendwann selbst die Gefahr: Vorschriften alleine nützen nichts, sie müssen auch gelebt und umgesetzt werden. Dabei kann sich Routine einschleichen und die Kontrolleure werden nachlässig. Wenn das System nämlich zu perfekt ist, schlägt es bei jeder kleinen Überschreitung sofort Alarm. Die Angestellten selber verlassen sich dann zu sehr auf das System und übersehen so, wenn es einen echten Notfall gibt.
Wo sind die Löcher im System und wie sähe ein perfekter Kontrollmechanismus aus - gibt es einen solchen?
Ein perfektes System wird es niemals geben. Wenn eine Lücke erkannt wird, wird die natürlich geschlossen. Aber das schließt nicht aus, dass es woanders Lücken gibt, die unentdeckt bleiben. Und wie gesagt, das System ist die eine Sache, wie es später gelebt wird, ist die andere. Das Vier Augen-Prinzip nützt nichts, wenn das zweite Augenpaar gar nicht mitdenkt. Durch die Checklistenmentalität wird viel routinemäßig überprüft und dicke Fische gehen durchs Netz. Das Gefühl geht verloren, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren.
Kervein und Leeson waren beide normale Angestellte, keine Star-Trader. Wie sollen Banken solche Betrüge verhindern, wenn im Prinzip jeder Angestellte ein Verdächtiger ist?
Aus dem Fall haben wir verschiedene Dinge gelernt: Das Erste ist das Transaktions-Limit. Das hat Kervein umgangen durch fiktive Gegengeschäfte. Die Frage ist: wieso konnte das unentdeckt bleiben? Was hat das für einen Sinn, wenn auf der einen Seite Käufe getätigt werden und auf der anderen Seite in der gleichen Höhe Verkäufe. Das hätte auffallen müssen. Anstelle von Nettopositionen hätten also auch Bruttopositionen überprüft werden müssen. Wenn ich 1000 Terminkontrakte kaufe und 900 verkaufe, stehen da netto nur 100. Ohne die Bruttoposition sehen die Kontrolleure einfach nichts. Außerdem müssen regelmäßig Verluste angefallen sein. Termingeschäfte, mit denen Kervein gearbeitet hat, sind nämlich kurzfristig und haben oft eine Dauer von etwa drei Monaten.