Société Générale Skandalhändler verzockte 4,9 Milliarden

Ein milliardenschwerer Betrugsfall im eigenen Aktienhandel: Société Générale, das zweitgrößte Geldinstitut Frankreichs, muss einen Verlust von 4,9 Milliarden Euro verkraften. Der verantwortliche Händler gilt als Einzeltäter und hat sich nicht bereichert.

Ein milliardenschwerer Betrugsfall im eigenen Aktienhandel erschüttert die französische Großbank Société Générale. Das zweitgrößte Institut des Landes teilte am Donnerstag mit, der daraus entstandene Verlust belaufe sich auf 4,9 Milliarden Euro. Das Loch in den Büchern, die zusätzlich durch Abschreibungen wegen der Finanzkrise belastet werden, soll mit einer Kapitalerhöhung von 5,5 Milliarden Euro gestopft werden. Es ist einer der schwersten Fälle in der Finanzgeschichte und erinnert an den britischen Händler Nick Leeson, der 1995 mit massiven Fehlspekulationen die Handelsbank Barings zu Fall gebracht hatte.

Nick Leeson ist entsetzt

Leeson hat sich entsetzt über den aufgedeckten spektakulären Betrug gezeigt. Nicht der Betrug als solcher überrasche, sagte Leeson der britischen BBC. Aggressive Handelsgeschäfte wie das jetzt bekannt gewordene seien vermutlich immer noch an der Tagesordnung an den Finanzmärkten. "Was mich wirklich schockiert hat, ist das Ausmaß des Betrugs", sagte er. 1995 hatte Leeson international Schlagzeilen gemacht: Mit Fehlspekulationen erschütterte er die Finanzwelt Asiens und trieb die traditionsreiche britische Barings Bank mit Verlusten von 860 Millionen Pfund (damals rund 1,4 Milliarden Dollar) in den Ruin.

Anzeigen erstattet

Inzwischen haben mehrere Parteien Anzeige erstattet, darunter die Société Générale selbst: "Urkundenfälschung, Benutzen von Fälschungen und unerlaubtes Eindringen in Computersysteme" lautet die Anzeige.

Kein großer Trader, sondern kleiner Händler

Am Donnerstag hatte die Société Générale erklärt, einen "außergewöhnlichen Betrug" in einer Handelssparte aufgedeckt zu haben. Jérôme Kerviel, ein in Paris ansässiger Händler, habe Positionen mit Optionsscheinen aufgebaut, die über sein erlaubtes Limit hinausgegangen seien. Kerviel und seine Vorgesetzten seien entlassen und rechtliche Schritte eingeleitet worden. Ein Rücktrittsgesuch des Vorstandschefs Daniel Bouton sei abgelehnt worden. Die französische Zentralbank erklärte, sie werde umgehend eine Untersuchung einleiten.

ZItat

"Er hat seine Prämie für 2007 noch nicht bekommen und ich glaube auch nicht, dass er sie fordern wird."

Der Chef der Bank Société Générale, Daniel Bouton, am Donnerstag in Paris über den 30 Jahre alten Händler, der der Bank mit Scheingeschäften einen Verlust in Höhe von fast fünf Milliarden Euro eingehandelt hat. Bouton war gefragt worden, ob der Mann ein Starhändler gewesen sei und hohe Prämien kassiert habe

Kerviel sei etwa 30 Jahre alt, sagte Bankchef Daniel Bouton am Donnerstag in Paris. Er sein kein Starspekulant gewesen, sondern habe unspektakuläre Kursabsicherungen betrieben. "Wir spekulieren hier nicht." Der Mann hatte viele kleine Geschäfte auf europäische Aktienindizes mit Futures absichern sollen. "Das war ein Trader, der mit kleinen Positionen umging", sagte Bouton. Er habe weniger als 5000 Euro verdient. Auf die Frage, ob Kerviel auch hohe Prämien kassiert habe, sagte Bouton: "Er hat seine Prämie für 2007 noch nicht bekommen und ich glaube auch nicht, dass er sie fordern wird."

Kontrolle geschickt umgangen

Der Händler hatte nach Angaben von Société Générale mit sogenannten Plain-Vanilla-Futures auf europäische Aktienindizies gehandelt. Aufgrund seiner früheren Tätigkeit im Middle Office - also der Abteilung, die die Risiken der Produkte bewertet - habe er es geschafft, die Positionen durch ein System "komplizierter fiktiver Transaktionen zu verbergen", teilte die Bank mit: Er wusste, wann und wo welche Schritte kontrolliert werden. Plain-Vanilla-Papiere sind Standard-Optionsscheine, die als eigenständiges Wertpapier gehandelt werden können.

Nun ist Kerviel verschwunden. "Vielleicht haben wir da einen Fehler begangen", gab Bouton zu. "Aber wenn er flieht, wird er schon wieder gefunden werden - da gibt es keinen Zweifel." Warum der Aktienhändler die Bank betrogen hat, ist unklar. "Anscheinend hat er sich nicht bereichert", sagt Bouton. "Interessant wäre zu wissen, ob er sich hätte bereichern können." Sein Gehalt belaufe sich inklusive Bonus auf 100.000 Euro im Jahr.

"Das ist eine unerklärliche Tat der Böswilligkeit", sagte Jean-Pierre Mustier, der Chef der Finanz- und Investment Bank der Société Générale, auf einer Pressekonferenz. "Diese Person hatte einfach kein Gewissen bei dem, was sie tat." Ein Journalist fügte hinzu, Kerviel habe wohl eine Art "Second Life der Finanzwelt" geführt.

An eine Gruppe von Tätern glaubt Bouton hingegen nicht: "Ich bin fest davon überzeugt, dass es ein Einzeltäter ist." Am Wochenende habe die Bankführung über die von dem Mann eingegangenen Geschäfte beraten. "Wir haben am Sonntag um 11.00 Uhr begriffen, dass wir bei diesen Positionen ein riesiges Risiko trugen. Es war unsere Pflicht, die Risikopositionen so schnell wie möglich glattzustellen", sagt Bouton. Das habe die Bank von Montag bis Mittwoch getan. Anschließend wurde der Markt informiert. "Hätten wir am Montagmorgen gesagt, wie die Lage ist, wären die Verluste zehn Mal so hoch gewesen."

Finanzkrise koste weitere zwei Milliarden Euro

Börsianer bezweifeln, dass die Bank - wie sie selbst behauptet - erst vor wenigen Tagen von den problematischen Handelspositionen erfahren haben soll. "Ich finde es schwer zu verstehen, dass ein Händler in der Lage gewesen sein soll, ein 'geheimes Geschäft' von 4,9 Milliarden getätigt zu haben, ohne dass jemand davon gewusst hat", sagte Ion-Marc Valahu von der Amas-Bank in der Schweiz. "Jetzt redet jeder von Betrug - aber das ist für mich pure Rhetorik. Meiner Einschätzung nach war das ein Riesenmangel im Risikomanagement der Bank", sagte ein Aktienhändler einer deutschen Großbank.

Zusätzlich zu den Verlusten häuften sich bei der 1864 gegründeten Société Générale im vierten Quartal wegen der weltweiten Finanzkrise Abschreibungen von zwei Milliarden Euro an. Für das vergangene Jahr geht das Institut deshalb von einem Einbruch des Nettogewinns auf 600 bis 800 Millionen Euro aus. In der Investmentsparte wird ein Verlust von 2,3 Milliarden Euro erwartet. Sämtliche Banken rund um den Globus haben derzeit mit Milliardenabschreibungen zu kämpfen.

Aktien vom Handel ausgesetzt

Die Société Générale-Aktie war an der Pariser Börse zunächst vom Handel ausgesetzt worden, am Mittag notierte das Papier bei rund sechs Prozent im Minus. Nach der Ankündigung von Société Générale teilte der französische Wettbewerber BNP Paribas mit, außerordentliche Verluste in der Bilanz seien nicht zu erwarten.

AP · Reuters
AP/Reuters