Kreditkarten-Blase Die Sorge mit den zwölf Nullen

  • von Karsten Lemm
Allein mit Kreditkarten haben die US-Bürger einen Schuldenberg von drei Billionen Dollar angehäuft. Nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes fürchten Experten deshalb hier den nächsten Dammbruch. Mit guter Schuldnerberatung schafft manch einer aber die Flucht aus der Schuldenfalle.

Die Billion ist eine erstaunlich große Zahl; sie steht für eine Eins gefolgt von zwölf Nullen: 1.000.000.000.000. Eine Million mal eine Million. Die Kreditkartenschulden, die Amerikaner mit sich herumschleppen, sind fast dreimal so hoch - knapp drei Billionen Dollar. Das entspricht ungefähr dem Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland.

In guten Zeiten kümmerte dieser enorme Fehlbetrag die US-Banken nicht. Im Gegenteil: Kunden, die ihr Plastikgeld nutzen und am Monatsende nur einen Teil der Kreditkartenrechnung begleichen, sind theoretisch die besten Kunden - sie zahlen Zinsen und Gebühren, an denen die Banken hervorragend verdienen. "Kreditkarten-Einkünfte liegen beständig über allen anderen kommerziellen Bankgeschäften", stellte die US-Notenbank in einem Bericht im Juni fest. Auf der Jagd nach Marktanteilen senkten Kreditkartenriesen wie Capital One und JP Morgan Chase jahrelang die Ansprüche - mit der Folge, dass viele Amerikaner, die es sich eigentlich nicht leisten konnten, nahezu ungehindert auf Pump einkaufen gehen durften.

Angst vor dem nächsten Dammbruch

Nun allerdings, da der Häusermarkt zusammengebrochen ist und die Börsen von einem schwarzen Freitag zum nächsten schlingern, befürchten viele Geldinstitute zwischen New York und Los Angeles das Schlimmste: dass bei Kreditkartenschulden der nächste Dammbruch droht. Schon im ersten Halbjahr mussten sie mehr als 20 Milliarden Dollar abschreiben, die bei säumigen Zahlern nicht mehr hereinzuholen waren - und bis Ende 2010 könnten weitere 55 Milliarden an Miesen hinzukommen, schätzen Analysten. "Die Kreditkartenverluste werden steigen", bestätigt Richard Kovacevich, Aufsichtsratschef der Großbank Wells Fargo, gegenüber stern.de. Er fürchtet zwar keine Wiederholung des Häusermarkt-Debakels, doch der Aderlass, glaubt er, "wird beträchtlich sein".

Immer mehr Amerikaner, die ihre Rechnungen nicht zahlen können, flüchten sich in den Privatkonkurs oder suchen Hilfe bei Schuldnerberatungen, die mit den Gläubigern vergünstigte Konditionen aushandeln. Ein Beispiel sind Krista und Joe Wallis, die der stern im Frühjahr in Oklahoma City besuchte: Das Paar hatte eine erdrückende Last von mehr als 30.000 Dollar an Schulden angehäuft ehe es sich Hilfe suchend an den gemeinnützigen Credit Counseling Service of Oklahoma, einer Schuldenberatung, wandte. Nach langem Tauziehen ließen sich die Gläubigerbanken auf niedrigere Zinsen und andere Zugeständnisse ein, die es dem Ehepaar Wallis erlauben, seine Schulden über Jahre hinweg in kleinen Zahlungen zu begleichen.

Eine frische Brise bei den Wallis

"Es ist mühsam, so als wollte man mit einem Teelöffel eine tiefe Grube graben", berichtet Krista Wallis, die als Sekretärin bei der Luftfahrtbehörde FAA arbeitet. "Aber irgendwann schaut man sich um und sieht, wie viel man schon geschafft hat - das macht Mut." Etwa 6000 Dollar haben die 38-Jährige und ihr Mann inzwischen zurückgezahlt, und das Telefon, das früher Sturm klingelte, gibt nun Ruhe. Offene Arztrechnungen, die nicht Teil des Entschuldungsprogramms sind, führen noch manchmal dazu, dass Gläubiger anrufen - doch anders als früher wagen Joe und Krista Wallis es nun wieder, ans Telefon zu gehen. "Wir versuchen, kleine Beträge zurückzuzahlen", sagt Joe, denn bei diesen Schulden müssen sie keine horrenden Zinsen von 20 Prozent und mehr mitbedienen, wie das bei ihren Kreditkarten üblich war.

"Wir sind mit keiner unserer Zahlungen mehr im Rückstand", erklärt der 41-jährige Computerfachmann stolz, und auch sonst hat sich das Blatt gewendet: Bei seinem Arbeitgeber Dell wechselt Joe im November auf einen besser bezahlten Managerposten, und seit kurzem versucht er sich zusammen mit seiner Frau als Feierabend-Unternehmer. Auf einem Basar stießen die beiden auf eine Firma, die Duftkerzen ohne Docht herstellt und sie nach dem Tupperwaren-Prinzip unters Volk bringt: Private Vertreter organisieren Partys in der guten Stube und kassieren im Gegenzug einen Teil der Einnahmen. "Es ist ein wunderbares Produkt, mit dem ich mich hundertprozentig identifiziere", schwärmt Krista Wallis, denn da die Kerzen ihren Duft ohne Flamme verströmen, könne nie versehentlich ein Feuer ausbrechen.

So riecht es nun im Wallis-Häuschen am Stadtrand von Oklahoma City nach "Clean Breeze" (einer frischen Brise), nach Clementine, Zimt und auch ein bisschen, sehr angenehm, nach Geld - denn gleich die erste Verkaufsparty spülte über 1200 Dollar in die Kasse; das bedeutet bei 25 Prozent Kommission gut 300 Dollar Gewinn. "Ich überlege ständig, wie ich das Geschäft ankurbeln kann", erzählt Krista begeistert, "ich gehe völlig darin auf." Die nächsten drei Partys stehen schon auf dem Programm, und wenn es so weitergeht, könnte die Nebenbeschäftigung dem Pärchen helfen, seine Schulden schneller abzutragen als geplant. Fünf Jahre hätten sie Zeit, doch Joe gibt sich zuversichtlich: "Wir sind fest davon überzeugt, dass wir es in drei Jahren schaffen können."