Bei Kölmel bestehe der Verdacht der Untreue und der Insolvenzverschleppung, sagte noch am Dienstag ein Sprecher der Staatsanwaltschaft München I. Damit kommt auf die Münchner Justiz weitere Arbeit zu. In den kommenden Wochen beginnen hier bereits die Prozesse gegen EM.TV-Gründer Thomas Haffa und seinen Bruder Florian sowie gegen den Ex-Chef des Telematik-Unternehmens ComRoad, Bodo Schnabel. Bei den betroffenen Unternehmen handelt es sich um die einstigen Schwergewichte am Neuen Markt, die in der Börseneuphorie des Jahres 2000 Milliarden wert waren. Börsenexperten, Kleinaktionäre, Schutzvereine und Juristen blicken gebannt nach München, wird in den meisten Fällen doch juristisches Neuland betreten.
Die Geschichte von Kinowelt ist symptomatisch für den Neuen Markt. Kino-Freak Michael Kölmel, der schon während seines Studiums der Mathematik und Volkswirtschaft in den Uni-Sälen in Göttingen Filme vorgeführt hatte, wagte 1984 den Sprung in die Selbstständigkeit und gründete den Kinowelt-Filmverleih. Die Gruppe wuchs kontinuierlich bis auf einen Umsatz von rund 55 Millionen Euro im Jahr 1997. Ein Jahr später geht die Kinowelt Medien AG an den Neuen Markt.
Tödliche Expansion
Die Börseneuphorie und die scheinbar unbegrenzten Finanzierungsmöglichkeiten steigen auch Kölmel zu Kopf. Kinowelt geht auf Einkaufstour und expandiert in neue Geschäftsfelder. Kölmel träumt vom eigenen Fernsehsender und den Bundesliga-Fernsehrechten und stieg sogar selbst bei einer Reihe von Fußballvereinen ein. Auch im Kerngeschäft wurden Fehler gemacht. Nach ersten Erfolgen im Filmrechte-Handel mit Produktionen wie »Der englische Patient« will Kölmel in die Weltliga aufsteigen. Für etwa 250 Millionen Euro überbot er im Poker um ein Filmpaket des US-Konzerns Time Warner die Konkurrenten Bertelsmann und Kirch. Da RTL und die Sender der KirchGruppe Kölmel auf seinen Rechten sitzen ließen und keine Kinowelt-Filme mehr abnahmen, geriet das Unternehmen in die Sackgasse. Mitte des vergangenen Jahres beliefen sich die kurzfristigen Schulden auf fast 600 Millionen Euro.
Wie so viele andere Unternehmen am Neuen Markt ging Kinowelt pleite, die Aktie notiert mittlerweile im Cent-Bereich. Besonders bizarr im Fall Kinowelt: Kölmel und sein Bruder Rainer boten für das Kerngeschäft und bekamen für 32 Millionen Euro den Zuschlag, das Insolvenzrecht macht es möglich. Die Arbeitnehmer reagierten erbost, nicht nur, weil die Kölmels den Firmensitz nach Leipzig verlagern wollten. »Es ist zweifelhaft, wenn Alteigentümer die Unternehmen, die sie in den Sand gesetzt haben, für ein bisschen Butter und Brot wieder zurückkaufen können«, sagt Steffen Schmidt von der Gewerkschaft ver.di.
Vorwurf: 'Dubiose Machenschaften'
Zudem werfen Arbeitnehmer Kölmel schon länger dubiose Machenschaften vor. Im Zusammenhang mit möglichen Unregelmäßigkeiten der Kölmels forderte der Betriebsrat seit Wochen Einblick in die Ergebnisse einer Sonderprüfung, so Schmidt. Die Verhaftung Kölmels kam also nicht unerwartet. »Wenn man sich anschaut, was für Erfahrungen wir in der Vergangenheit mit den Gebrüdern Kölmel gemacht haben, sind wir nicht überrascht.«
Der Haftbefehl sei außer Vollzug gesetzt worden, ruderte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft München I am Mittwoch zurück. Kölmel hatte die im Rahmen der Haftprüfung am Vortag geforderte Kaution von 400 000 Euro hinterlegt. Einzelheiten zu den Ermittlungen wollte die Staatsanwaltschaft mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht nennen. Kölmel wird der Insolvenzverschleppung und Untreue verdächtigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen seinen Bruder und Geschäftspartner Rainer Kölmel.
Unklar ist, wie es nun mit Kinowelt weitergeht. Die beiden Kölmels wollten ursprünglich zum 1. November das Kerngeschäft des zusammengebrochenen Konzerns wieder übernehmen. Der Kaufpreis von 32 Millionen Euro sollte bis Ende Oktober bezahlt werden. In Branchenkreisen wurde nun aber zumindest eine Verzögerung für möglich gehalten. Man muss abwarten, ob die finanzierenden Banken bei der Stange bleiben.
Langes Leiden
Kinowelt hatte im Dezember 2001 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt, nachdem das Unternehmen in den ersten neun Monaten Verluste von mehr als 300 Millionen Euro gemacht hatte. Im Mai wurde das Insolvenzverfahren offiziell eröffnet. (DPA)