Im vergangenen Jahr waren die Oscars weniger von einem Film als von einer filmreifen Szene geprägt: Die schallende Ohrfeige von Hollywood-Star Will Smith gegen den Komiker Chris Rock schockierte die Kinowelt und überschattete die glamouröse Preisverleihung. In diesem Jahr soll tatsächlich wieder die Filmkunst im Zentrum der Gala im Dolby Theatre in Hollywood stehen. Dabei könnte es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen einem wilden Science-Fiction-Abenteuer und einem düsteren deutschen Antikriegsfilm geben.
Oscars 2023: "Im Westen nichts Neues" und "Everything Everywhere All At Once" die beiden Top-Favoriten
Denn "Everything Everywhere All At Once" über die Chefin eines Waschsalons, die plötzlich in ein Multiversum aus Parallelwelten katapultiert wird, geht am Sonntag mit elf Nominierungen als Favorit in die 95. Academy Awards. Der Film der Regisseure Daniel Kwan und Daniel Scheinert – in Hollywood inzwischen als "die Daniels" bekannt – hat in den vergangenen Wochen bei so ziemlich jedem anderen US-Filmpreis abgeräumt.
"Man wird nicht viele Leute finden, die das Risiko eingehen werden, gegen 'Everything Everywhere' zu wetten", sagt der Filmjournalist Scott Feinberg vom Branchenmagazin "Hollywood Reporter". "Hinter dem Film steht eine Gruppe sehr liebenswerter Menschen, für die man sich einfach freuen muss."
Allerdings könnte der Film, in dem Hot Dogs als Finger und Sexspielzeuge als Waffen dienen, einigen Mitgliedern der Oscar-Akademie zu ausgeflippt sein – was die Chancen auf den Hauptpreis als bester Film schmälern könnte. Das würde "Im Westen nichts Neues" begünstigen, die deutsche Verfilmung des gleichnamigen Antikriegsromans von Erich Maria Remarque.
Die Netflix-Produktion von Regisseur Edward Berger hat neun Oscar-Nominierungen errungen und damit mehr als jeder andere deutsche Film zuvor. "Im Westen nichts Neues", bereits der große Sieger der britischen Filmpreise Bafta, könnte nicht nur den Oscar als bester internationaler Film gewinnen, sondern auch den Oscar als bester Film überhaupt – was noch nie zuvor einer deutschen Produktion gelungen ist.
Auch in anderen Kategorien sind die Rennen eng
Aber auch andere Filme haben Chancen auf den Hauptpreis, darunter der Piloten-Actionfilm "Top Gun: Maverick" mit Superstar Tom Cruise. Der Blockbuster wird von vielen dafür gefeiert, nach den Lockdowns der Corona-Pandemie wieder ein großes Publikum in die Kinos gelockt zu haben. Regie-Legende Steven Spielberg sagte kürzlich sogar, die "Top Gun"-Fortsetzung habe womöglich "die ganze Filmindustrie gerettet".
Bei anderen Kategorien zeichnen sich ebenfalls enge Rennen ab. Cate Blanchett gilt für ihre Verkörperung einer Dirigentin in "Tár" zwar als Favoritin für den Oscar als beste Hauptdarstellerin. "Everything Everywhere"-Schauspielerin Michelle Yeoh hat aber auch gute Chancen auf die Trophäe. Die Malaysierin könnte damit als erste Frau aus Asien in dieser Kategorie gewinnen.
Beim Preis für den besten Hauptdarsteller zeichnet sich ein Dreikampf zwischen "Elvis"-Schauspieler Austin Butler, Brendan Fraser ("The Whale") und Colin Farrell ("The Banshees of Inisherin") ab.
Den Oscar in dieser Kategorie hatte im vergangenen Jahr Will Smith erhalten – nur kurz nach seiner Attacke gegen Chris Rock, der einen Witz über Smiths unter Hausausfall leidenden Ehefrau Jada Pinkett Smith gemacht hatte. Der aus Filmen wie "Independence Day" und "Men in Black" bekannte Superstar darf bei der diesjährigen Preisverleihung nicht teilnehmen: Er wurde für zehn Jahre von allen Oscar-Veranstaltungen verbannt.
Oscars und eine Ohrfeige: Bilder der 94. Academy Awards

Die Erinnerung an die Attacke dürfte bei der Gala aber allgegenwärtig sein. Moderator Jimmy Kimmel dürfte sich kaum die Chance entgehen lassen, den einen oder anderen Witz über den Vorfall zu reißen.
Gar nicht lustig finden allerdings die Oscar-Organisatoren das Thema. Sie wollen unter allen Umständen vermeiden, dass sich so eine Szene wiederholt – und haben für mögliche Spannungen sogar ein "Krisenteam" aufgestellt.